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Deinege: Petition kommt um einige Jahre zu spät

Deinege: Petition kommt um einige Jahre zu spät

Oberbürgermeister Siegfried Deinege spricht im Interview über die Situation rund um Stadtratsbeschluss und OB-Widerspruch in Sachen Stadtreinigung.Foto: Stadtverwaltung Görlitz

Nach dem jüngsten Stadtratsbeschluss zur Petition von Matthias Lechner bezüglich des Verkaufes der Deponie Kunnersdorf an den Ravon im Jahre 1998 hat Oberbürgermeister Siegfried Deinege erneut Widerspruch eingelegt. Redakteur Frank-Uwe Michel fragte ihn nach den Hintergründen für diese in der Öffentlichkeit kaum noch nachvollziehbare Entscheidung.

Herr Deinege, ist Ihnen bewusst, dass mit dem Wechselspiel von Beschluss und Widerspruch zwischen Ihnen und dem Stadtrat große Verunsicherung in der Bevölkerung zum Thema Deponieverkauf und der Frage Schuld oder Nichtschuld des ehemaligen Geschäftsführers und der Aufsichtsräte herrscht?

Siegfried Deinege: Mir ist klar, dass die derzeitigen Vorgänge für alle, die die Inhalte zu dem Deponieverkauf von 1998 nicht kennen, schwer zu verstehen sind. Ich will versuchen, die Grundzüge dieser Angelegenheit kurz zu skizzieren. In der vorliegenden Petition wird der Versuch unternommen, nach 18 Jahren die Feststellung zu treffen, dass der Stadtratsbeschluss von damals, der zum Deponieverkauf führte, fehlerhaft vollzogen wurde und demzufolge die ehemaligen Aufsichtsräte der Stadtreinigung Görlitz GmbH (SRG) und der ehemalige Geschäftsführer nicht für den entstandenen Schaden bei der SRG verantwortlich sein sollen.
Ich halte die Fragestellung des Petenten, Herrn Lechner, an sich für legitim, nur kommt sie einige Jahre zu spät. Offensichtlich ist es nach meiner Einschätzung in der Vergangenheit versäumt worden, diesen Aspekt in den entsprechenden Verfahren vorzutragen. Die ehemaligen Aufsichtsräte hatten nämlich einen Vertrag mit einem Labor langfristig verlängert, obwohl die zu analysierende Deponie verkauft werden sollte. Das Landgericht Görlitz und das Oberlandesgericht Dresden hatten in mehreren Urteilen den ehemaligen Geschäftsführer und fünf Aufsichtsräte der SRG zu Schadenersatzleistungen in Höhe von 376.000 Euro sowie Zinsen an die SRG verurteilt. Bereits in diesen Verfahren hätte die hier nun behauptete Tatsache vorgetragen werden müssen, um dann von den Gerichten – wenn sie tatsächlich wahr wäre – bei der Urteilsfindung entsprechend berücksichtigt werden zu können.
Auch im Freistellungsverfahren hätten die ehemaligen Aufsichtsräte der Stadtreinigung die Gelegenheit gehabt, diese Tatsache vorzutragen. Dies ist ebenfalls unterblieben. Stattdessen ist die Angelegenheit der Freistellung der Aufsichtsräte von allen Beteiligten (SRG – Stadt Görlitz – Aufsichtsräte – ehemaliger Geschäftsführer) freiwillig mit einem Vergleich am 23. Oktober 2009 ausdrücklich „abschließend“ geregelt worden. Das heißt, dass ab dem Zeitpunkt der Vertragsunterzeichnung alle neuen Behauptungen, Spekulationen, Bestrebungen, die dem Ziel dienen, den Rechtsstreit in irgendeiner Weise zugunsten oder zu Lasten einer der Vertragsparteien zu verändern, zu unterlassen sind. Hier gilt klar der Grundsatz der Vertragstreue.

Wie muss man das Prozedere von Stadtratsbeschluss und OB-Widerspruch aus Ihrer Sicht nun aber einordnen? Wollen Sie die Wahrheit nicht anerkennen?

Deinege: Zunächst, die Stadträte haben meinen Respekt. Sie bewerten die Ergebnisse des Petitionsausschusses. Doch liegt die Hoheit für eine Entscheidung und Bewertung von Vorgehensweisen und Verfahren bei den Gerichten. Wie aus meinen Ausführungen bereits deutlich wurde, geht es hier nicht um meine persönliche Wahrnehmung oder meine persönliche Anerkennung von neu vorgetragenen Tatsachenbehauptungen des Petenten, sondern ausschließlich um die Frage, dass sich die Stadt Görlitz vertragstreu verhalten muss.

Es gibt also zwei verschiedene Ebenen, die nicht vermischt werden dürfen – die des Stadtrates, der sich eine Meinung bilden kann, und die der Gerichte, die letztlich über die Sache aus Sicht der Justiz zu entscheiden haben.

Deinege: Den Sachverhalt wie ein Gericht zu beurteilen, das kann ein Stadtrat naturgemäß nicht. Aber seine Beschlussfassungen müssen rechtskonform sein.

Matthias Lechner hat Sie nach eigener Aussage mehrfach um einen Termin sowie um Rederecht im Stadtrat gebeten, um die Zusammenhänge rund um den Deponieverkauf zu erläutern. Welche Rolle spielt für Sie der Ex-OB bei der Wahrheitsfindung?

Deinege: Hierbei ist meine persönliche Einschätzung nicht maßgeblich. Herr Lechner hätte als Zeuge, da er nicht selbst Partei der genannten Verfahren war, aber wohl in die Vorbereitung des Deponieverkaufes in seiner Amtszeit involviert war, zur Erforschung des Sachverhaltes möglicherweise beitragen können. Als Stadt haben wir einen Petitionsausschuss eingesetzt und Herr Lechner wurde vom Petitionsausschuss gehört. Der Petitionsausschuss hat erklärt, dass sich die Mitglieder ausreichend informiert fühlen. Dieser vorgetragenen Auffassung ist der Stadtrat in seiner Novembersitzung gefolgt und hat eine Anhörung von Herrn Lechner mehrheitlich abgelehnt.

Was ist aus Ihrer Sicht 1998 schief gelaufen, was sich heute nicht mehr reparieren ließe? Laut Herrn Lechner liegen Dokumente und Videos vor, aus denen die Sachlage klar hervor geht.

Deinege: Ich halte mich an die Tatsache, dass in der damaligen Stadtratssitzung der Beschluss zum Deponierverkauf mehrheitlich gefasst wurde. Sowohl in der damaligen Sitzung selbst, als auch in der Beschlussvorlage wurde auf mögliche Schadensersatzforderungen des Laborvertragsinhabers gegenüber der SRG hingewiesen, falls der Käufer – also der Ravon – den Vertrag nicht übernimmt. So ist es dann auch gekommen. Daraufhin hat die SRG ihrerseits Schadenersatzforderungen gegenüber den damaligen Aufsichtsräten und den Geschäftsführern geltend gemacht, die den Vertrag ohne Sonderkündigungsrechte bei Verkauf der Deponie verlängert haben.
In meinem Schreiben vom 3. Juni 2014 habe ich den Stadträten das Ergebnis der aufgrund der Petition von Herrn Lechner durchgeführten verwaltungsinternen Prüfung bekanntgegeben. Aus Sicht der Stadtverwaltung ist der Stadtratsbeschluss ordnungsgemäß vollzogen worden. Ansonsten halte ich mich an die diversen rechtskräftigen Entscheidungen der Gerichte, die eine Schadensersatzpflicht des ehemaligen Geschäftsführers und der fünf Aufsichtsräte der SRG festgestellt haben.

Für Außenstehende stellt sich die Situation jedoch so dar, dass der damalige OB Rolf Karbaum den umstrittenen Analytikvertrag aus dem Verkaufspaket, das von der Stadt an den Ravon übergehen sollte, herausgenommen hat, obwohl der Stadtrat den Komplettverkauf beschlossen hatte. Ist Ihr Amtsvorgänger die Schlüsselfigur in dem Prozedere? In einem Interview mit dem „Niederschlesischen Kurier“ hat ihm Herr Lechner zumindest „grobfahrlässiges Handeln“ vorgeworfen.

Deinege: Herr Lechner kann hierzu auf Grund der Meinungsfreiheit seine Meinung grundsätzlich frei äußern und ich respektiere das. Ich als Amtsträger habe mich dagegen an die Gebote der Sachlichkeit und inhaltlichen Richtigkeit zu halten.

Wäre es denn nicht fair, wenn der damalige Geschäftsführer der Stadtreinigungsgesellschaft und die ehrenamtlich arbeitenden Aufsichtsräte rehabilitiert würden, wenn sie sich nach Durchsicht der Dokumente tatsächlich nichts haben zuschulden kommen lassen. Was steht dem Ihrer Meinung entgegen?

Deinege: Ganz eindeutig der freiwillig abgeschlossene Vergleichsvertrag vom 23. Oktober 2009.

Inwieweit haben Sie sich mit der Kommunalaufsicht des Landratsamtes bei Ihren Widersprüchen abgestimmt?

Deinege: Meine Aufgabe ist es, Schaden von der Stadt, ihren Bürgern und den Stadträten fernzuhalten. Ich habe die Rechtsaufsicht über die besagten Stadtratsbeschlüsse und meine vorgesehenen Schritte informiert und mir Rat eingeholt.

Matthias Lechner regt für Januar 2017 eine Sondersitzung des Stadtrates an, um dort über das Prinzip von Wahrheit und Klarheit im Stadtrat – insbesondere im Zusammenhang mit den Vorgängen um die Stadtreinigung – zu diskutieren. Können Sie dieser Idee etwas Positives abgewinnen?

Deinege: Bezüglich der Stadtreinigung nein, denn das Thema ist auf Grund der Abgeltungsklausel des Vergleichsvertrages ad acta zu legen. Der Stadtrat ist ein politisches Gremium und kein Gericht.

Wie könnte aus Ihrer Sicht die Kontroverse zwischen Ihnen und dem Stadtrat in Sachen Deponieverkauf entschärft werden? Kann es die von Herrn Lechner geforderte Erklärung geben, dass die Beschuldigten zu Unrecht verurteilt worden sind und ihnen der entstandene Schaden ersetzt wird?

Deinege: Man sollte beginnen, den Vertragstext vom 23. Oktober 2009 ernst zu nehmen. Neue Behauptungen und Bestrebungen, das Thema wieder zu öffnen, sind angesichts der bestehenden Vertragslage unangebracht und widersprechen ganz klar dem Wortlaut des Vertrages.

Das Thema muss also von Gerichten neu beurteilt werden, wenn es denn dazu neue, bisher nicht bewertete Fakten gibt?

Deinege: Im Endeffekt liegt so eine Konsequenz grundsätzlich bei den Betroffenen selbst.

Frank-Uwe Michel / 12.12.2016

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