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Chancen und Risiken für mündige Bürger

Chancen und Risiken für mündige Bürger

VHS-Direktor Maik Gloge und Christiane Schmidt, Fachbereichsleiterin Politik, Gesellschaft und Umwelt sowie Marketingbeauftragte präsentieren das neue Kursprogramm. Foto: Till Scholtz-Knobloch

An der Görlitzer Volkshochschule hat das Herbstsemester 2019 begonnen. 100 Jahre nach Etablierung des Volkshochschulgedankens mit der Übersetzung akademischen Wissens in Wissen oder Fertigkeiten der Allgemeinheit ist in Görlitz vielleicht ein Höhepunkt erreicht. Denn es zeichnen sich auch Grenzen des Wachstums ab.

Görlitz. „Wir haben gegenüber dem Vorjahr die Anmeldungen zu Kursen noch einmal um 10 Prozent steigern können“, betont der Direktor der Görlitzer Volkshochschule Maik Gloge. Doch der eigentliche Erfolg in der kontinuierlichen Aufwärtsbewegung verbirgt sich in Umfang des Angebots. „In unserem Geschäftsbericht für 2018, in dem die Volkshochschule Görlitz ihr 100. Jubiläum feierte, konnten wir für die Jahre 2007 bis 2018 eine Verdreifachung von Kursangeboten, Stundenzahlen sowie auch Teilnehmern“ ausweisen, ergänzt die für Marketing zuständige Fachbereichsleiterin Christiane Schmidt. Das gerade begonnene Herbstsemester umfasst mittlerweile 600 Kurse!

Diese Erfolgsgeschichte führt Maik Gloge darauf zurück, dass mit etwas Verspätung gegenüber ähnlichen Entwicklungen im Westen Deutschlands die Arbeit nach der Jahrtausendwende professionalisiert wurde – insbesondere in Sachen der Öffentlichkeitsarbeit. Das habe auch viel mit dem Generationswechsel auf vielen Stellen im Haus vor einem Jahrzehnt zu tun.
Das mittlerweile über 100 Seiten starke Kursprogramm wird eben nicht wie früher nur an ausgewählten Stellen ausgelegt, sondern als Postwurf im ganzen Stadtgebiet und dem Umland verteilt. „Die Strategie scheint aufzugehen, dass viele Empfänger dabei nicht nur wie einst in nüchternen Übersichten der Angebote mit Daten blättern, sondern durch Interviews oder Porträts auch Hintergründe zu Akteuren und Entwicklungen erfahren können“, denkt Maik Gloge. Gewissermaßen hat hier die trotz Trägerschaft als e.V. ja indirekt öffentliche Hand von der Wirtschaft gelernt und seit Jahren erkannt: Vertrauen schafft Kundenbindung und Zufriedenheit.
Das Volkshochschulwesen, war nach dem Ersten Weltkrieg zur Bildung breiter Massen etabliert worden, die im hierarisch gegliederten Kaiserreich von breiter Bildung teils ausgeschlossen waren. Im Bereich der politisch-gesellschaftlichen Bildung ist jedoch der „öffentliche Auftrag“ in Abhängigkeit politischer Mehrheitsbildung nicht unproblematisch.

Die VHS Görlitz betont hier etwas verklausuliert: „Die Schwerpunkte im Fachbereich 1 liegen angesichts der gesellschaftlichen Entwicklung und den Ergebnissen des Super-Wahljahres stark auf der politischen Bildung und Gender-Themen“ oder anders ausgedrückt: Will der Wähler nicht so wie erhofft, muss eben noch eine Schippe mehr politische Bildung und Genderismus her. Dabei hat die Volkshochschule mit machen Veranstaltungen in der Vergangenheit durchaus bewiesen, dass sie es schaffen kann, sehr konträre Meinungen in einem Diskurs zusammenzubringen. Hier darf man sicher die Kooperation mit der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung hervorheben. Gemeinsam kündigen die Partner in Kürze z.B. einen interessanten Quervergleich zwischen Rechtsextremismus und Islamismus bei Jakobs Söhnen am 26. September um 19.00 Uhr in der Jakobstraße 5a an. Hingegen wird mit einer anderen Veranstaltung am 21. November gefragt, ob Rechtspopulismus den politischen Zusammenhalt gefährdet, womit Populismus per se einem Lager zugeschrieben wird, obwohl dies selbst eigentlicher Grund für schwindenden Zusammenhalt sein könnte. Man darf also auf manche vielleicht versteckte Botschaft gespannt sein, wenn die VHS wissen lässt: „Im Rahmen der Zusammenarbeit kommen im Laufe des Semesters weitere Vorträge zu politischen Themen zum derzeitigen Angebot, die noch nicht im Programmheft abgedruckt sind.“

Doch der Großteil der Veranstaltungen ist von gesellschaftlichen Deutungen tendenziell weniger betroffen. So ist erfreulicherweise der Kunstbereich so breit aufgestellt, wie nie zu vor. Die meisten Malrichtungen sind vertreten, sogar so spezielle Techniken wie Pop Art ab dem 14. November.

Im Gesundheitsbereich werden vermehrt Trends aufgegriffen wie Florcross ab dem 1. November oder Drums Alive, das Interessierte bei einem Schnupperkurs am 8. November ausprobieren können. Terminologisch ebenso schwierig erweist sich mitunter auch die digitale Grundbildung, die stärker in den Vordergrund gerückt ist: von der grundsätzlichen Bedienung von Smartphones, Tablets und Computern vor allem für die reifere Generation bis hin zum Grundwissen bei der Erstellung von Internetseiten. Aber auch moderne Techniken und Methoden kommen zum Einsatz, wie der 3D-Druck in einem Kurs ab dem 5. November.
Sprachlich kann man nun der Weltsprache Chinesisch bei einem Schnupperkurses ab dem 13. September auf der Spur sein, wobei Grundkurse folgen sollen.

Weitergeführt wird auch die VHS-Karte, in deren Programm 26 Kurse enthalten sind. Wer die Karte für zwölf Euro kauft, kann alle 26 Veranstaltungen kostenfrei besuchen und erhält Rabatte bei Koopertaionspartnern. Das Angebot umfasst Reise- oder Gesundheitsvorträge, Kreativ- und Fitnesskurse oder auch Veranstaltungen zu historischen oder religiösen Themen.

Erstmals ist im Programm der Bereich ’Junge VHS’ ausgewiesen. Angebote für Kinder und Jugendliche sind darin zusammengefasst, ebenso jedoch auch für Familien und Schulklassen. Vor allem im künstlerischen und handwerklichen Bereich ist für jede Altersgruppe etwas dabei wie die Herbst- und Winterakademie für freies Malen am 23. Oktober bzw. am 12. Februar oder die Holzwerkstatt für Kinder im Waidhaus ab dem 7. November oder dem 9. Januar.

Bevor das Programm in gesamter Breite Fahrt aufnimmt, ist die VHS jedoch Teilnehmer der bundesweiten Langen Nacht der VHS, in der die Idee der Bildung weiter Bevölkerungskreise nach 100 Jahren einfach einmal gefeiert wird und Appetithäppchen gestreut werden. An der bundesweit ersten Langen Nacht nehmen am 20. September rund 400 Volkshochschulen teil. Die Görlitzer können dabei einen Vorgeschmack auf das umfassende Semesterprogramm bekommen.

Der Abend startet mit „Brainfitness und Stabilisationstraining“ um 17.00 Uhr, womit gleichzeitig Körper und Geist gefordert werden. Ohne körperliche Anstrengung kann man um 18.30 Uhr dann einem Vortrag von Karin Mohr über Hawaii lausschen, die dort studiert hat. Der Vortrag soll zugleich Anregung für jeden sein, von eigenen Reiseeindrücken in der Welt zu erzählen. Ein solches „Fenster zur Welt“ soll als Serie dauerhaft geöffnet werden. Ein Sprachentreff um 19.00 Uhr weitet das Fenster zur Welt noch und ist Auftaktveranstaltung der verschiedenen Stammtische, die während des Semesters stattfinden. Gleichgesinnte und Muttersprachler tauschen sich dabei auf Französisch, Italienisch, Polnisch, Spanisch, Tschechisch und Slowakisch aus. Das Live-Webinar „Globale Krise, lokale Lösungen“ um 20.00 Uhr mit Dr. Fritz Reusswig vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, der mit Anna Kowalkowski und Jahro Abraham von Fridays for Future über den Klimawandel diskutiert, dürfte an diesem Abend wohl am wenigsten dem offenen Dialog entsprechen, ist doch hier unzweifelhaft erkennbar, dass am langen Förderarm der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey eine politisch gewünschte Botschaft unters Volk gebracht werden soll. Von wem soll in einer Sich-Bestätigungsrunde auch eine Gegenrede zu erwarten sein, erst recht wenn man als Empfänger aus dem fernen Potsdam hier nur Konsument ist? Dabei sollte die Erwachsenenbildung doch gerade einen mündigen Bürger formen helfen, der von verschiedenen Seiten Futter für eigenes Urteilsvermögen erhält.

Dafür gibt es anderes Futter. Ökologisch und ethisch wertvoller sollten sich Besucher der Langen Nacht eher bereits ab 17.30 Uhr mit gesunden Snacks verwöhnen, die nicht nur einen theoretischen Beitrag zur Klimaneutralität schaffen. Das muss auch nicht passiv geschehen, denn die Besucher bekochen sich unter fachgerechter Anleitung selbst. Das kulinarische Programm endet voraussichtlich um 22.00 Uhr.

Till Scholtz-Knobloch / 19.09.2019

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