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Frauenpower in einer Männerdomäne

Frauenpower in einer Männerdomäne

Kreishandwerksmeisterin Ines Briesowsky-Graf mit ihren Söhnen Andreas (links) und Christoph Graf. Foto: André Wirsig/Handwerkskammer Dresden

Bei der Kreishandwerkerschaft Görlitz steht jetzt mit Ines Briesowsky-Graf eine Frau an der Spitze. Die 52-Jährige trat die Nachfolge von Dr. Knut Scheibe an, der die Kreishandwerkerschaft Görlitz seit 2002 im Ehrenamt führte. Die Tischlermeisterin aus Löbau ist die erste Frau in dieser Funktion in Ostsachsen und die einzige im gesamten Freistaat. Unser Redakteur Steffen Linke unterhielt sich mit ihr.

Frau Briesowsky-Graf, wie ist das für Sie als Frau in Ihrer Funktion als Kreishandwerksmeisterin, einer Männerdomäne vorzustehen? Und wie sehr müssen Sie sich als Frau in dieser Männerdomäne auch durchsetzen?

Ines Briesowsky-Graf: Es ist weniger von Bedeutung, ob es ein Kreishandwerksmeister oder eine Kreishandwerksmeisterin ist. Das Handwerk ist vielseitig, lebt von den verschiedenen Charakteren und Ideen. Ich habe meinen Beruf von meinem Vater und führe als Handwerksmeisterin seit einem Jahrzehnt erfolgreich unser Familienunternehmen fort. Die Frage, ob ich mich im Handwerk durchsetzen kann, hat sich mir daher vor Amtsantritt gar nicht gestellt. Frauen sind keine Seltenheit im Handwerk.

Sie führen, wie Sie schon angesprochen haben, in Löbau einen erfolgreichen und innovativen Tischlerbetrieb, gemeinsam mit ihren Söhnen Christoph und Andreas Graf. Wer hat Ihnen wann die handwerklichen Fähigkeiten in die „Wiege“ gelegt?

Ines Briesowsky-Graf: Mein Vater gründete die Tischlerei 1964 und hat diese gemeinsam mit meiner Mutter aufgebaut. Familie und Arbeit waren damit untrennbar miteinander verflochten. Wir Kinder verlebten eine behütete Kindheit, in der die Tischlerei immer präsent war. Die Ausbildung zum Tischler hat sich dann aus der damaligen Situation heraus ergeben. Ich habe mich in diesem Beruf und der Familie immer wohl und geborgen gefühlt. Letztendlich habe ich das von meinen Eltern begonnene Vorhaben „Tischlerei“ fortgeführt. Mich hat nicht nur das Material, sondern mich haben auch die Menschen und das wunderbare Team begeistert, für das es sich zu arbeiten, jeden Tag aufs Neue lohnt. Sehr dankbar bin ich für das Engagement meiner Söhne, die mit sehr viel Einsatz und Kreativität am Fortbestand der Tischlerei arbeiten.

Wie sehen Sie in Ihrer Funktion als Kreishandwerksmeisterin die aktuelle Situation in Zeiten der Corona-Pandemie im Handwerk im Landkreis Görlitz?

Ines Briesowsky-Graf: Die aktuelle Situation stellt die Handwerksbetriebe in der Region – in einem unterschiedlichen Ausmaß – vor enorme Herausforderungen. Denken Sie an die Friseure und Kosmetiker, aber auch an die Ladengeschäfte von Keramikern und Goldschmieden – sie alle müssen derzeit schließen. Auch für das Nahrungsmittelhandwerk – mit geschlossenen Cafés und weggebrochenen Cateringaufträgen – und das Kfz-Handwerk ist es eine schwierige Zeit. Auf eine andere, aber sehr bedrückende Art herausfordernd ist es für die Bestatter. Vergleichsweise besser geht es vielen Betrieben im Bau- und Ausbaugewerbe, auch wenn hier zum Beispiel Materialengpässe und Lieferprobleme mitunter eine Rolle spielen. Aber die Pandemie zeigt uns auch: Das Handwerk ist nach wie vor eine tragende Säule der Wirtschaft und gerade in Zeiten wie diesen unabdingbar.

Hat das Handwerk immer noch goldenen Boden?

Ines Briesowsky-Graf: Ja! Der Berufsstand „Handwerk“ ist traditionell, bodenständig, kreativ, modern und auch innovativ. Mit handwerklichem Können und Fähigkeiten ist man gut ausgerüstet, das tägliche Leben zu meistern!

Der Außenstehende hat das Gefühl, dass immer mehr junge Menschen studieren wollen, anstatt zu arbeiten. Damit fehlt doch dem Handwerk in der Perspektive der Nachwuchs. Wie sehen Sie diese Situation?

Ines Briesowsky-Graf: Wenn ich circa zehn bis zwölf Jahre zurückdenke, als meine Söhne in den Abschlussklassen waren, habe ich die Situation tatsächlich so wie beschrieben wahrgenommen. Allerdings beobachte ich in den letzten Jahren mit Freude, dass hier eine Wende eingesetzt hat. Wir arbeiten hier mit Schulen zusammen, wo schon im Bewerbungszeitraum auf das Handwerk aufmerksam gemacht wird und das Interesse von jungen Leuten an handwerklichen Berufen steigt. Auch die Bedeutung von dualen Studiengängen nimmt zu und ist für viele Abiturienten eine Option. Sicher ist noch viel Arbeit notwendig, um das Interesse der jungen Leute zu wecken, aber ein Anfang ist getan.

Wie würden Sie denn junge Menschen heutzutage für das Handwerk begeistern?

Ines Briesowsky-Graf: Oskar Lafontaine hat einmal gesagt: „Nur wer begeistert ist, kann auch andere begeistern“. Also zeigen wir den jungen Menschen unsere Begeisterung für das Handwerk. Wir bieten die Möglichkeit, mit moderner Technik zu arbeiten, ohne das traditionelle Handwerk zu vergessen, kreativ und innovativ zu arbeiten, selbstbestimmt und regional zu wirken und zu leben. Das bietet nur ein Leben im Handwerk.

Vor welchen Herausforderungen steht das Handwerk in der Region?

Ines Briesowsky-Graf: Wir müssen weiter daran arbeiten, junge Leute für das Handwerk zu begeistern. Sie auch nach der Ausbildung hier zu halten. Wir müssen die jungen Gesellen und Meister ermutigen, Betriebe zu übernehmen, weiterzuführen oder neu zu gründen. Denn gerade in unserer Region stellt der demografische Wandel die Firmen vor große Herausforderungen.

Viele etablierte Betriebe suchen Nachfolger und gerade in Zeiten des Strukturwandels ist jeder auch noch so kleine Handwerksbetrieb wichtig. Die Politik ist hier gefragt, ihren Anteil zu leisten, damit Anreize und Hilfen für die Betriebe und Interessenten geschaffen werden. Wir leben in einer der wunderschönsten Regionen Deutschlands. Es lebt sich gut hier, also sollten wir Menschen ermutigen, hier zu bleiben, zurückzukehren oder herzukommen.

Welche Wünsche haben Sie in Ihrer Funktion als Kreishandwerksmeisterin?

Ines Briesowsky-Graf: Ich wünsche mir und arbeite mit der Kreishandwerkerschaft Görlitz und den Innungsobermeistern der Region daran, dass sich noch mehr Unternehmer – gerade auch aus der jüngeren Generation – in den Innungen engagieren.

Die derzeitige Situation zeigt einmal mehr, wie wichtig eine starke Interessenvertretung ist. Getreu dem Motto: Das Handwerk hält zusammen.

Redaktion / 19.01.2021

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