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Köcheallianz gegen das Wirtshaussterben

Köcheallianz gegen das Wirtshaussterben

Henry Wunderling in seinem Reich: In der privaten Kochschule an der Nadelwitzer Straße können in erster Linie Hobbyköche Rezepte testen und ihre Fingerfertigkeiten verbessern. Foto: RK

Für so manch einen Gastronomen im ländlichen Raum wird der immer weiter um sich greifende Fachkräftemangel inzwischen zu einem existenziellen Risiko. Gasthäuser schließen, weil sich kein Koch oder keine Servicekraft findet. Ein noch zu gründender Verein will versuchen, dieser Entwicklung etwas entgegenzusetzen.

Bautzen. Henry Wunderling kennt die Probleme der Branche. Der gelernte Koch, erfahrene Küchenleiter und Lehrer am Beruflichen Schulzentrum für Ernährung und Hauswirtschaft verfügt zwar auch nicht über das Allheilmittel, womit sich die Schließung weiterer Gasthäuser in der Region abwenden lässt. Doch in der Gemeinschaft kann eine Strategie entwickelt werden, zeigt sich der 56-Jährige überzeugt. Mit einem Köcheverein wollen der gebürtige Sachsen-Anhaltiner und seine Mitstreiter im kommenden Jahr durchstarten. Ein Kollege aus Dresden habe ihn auf diese Idee gebracht. Damit knüpft Henry Wunderling an eine Tradition an. Schon im etwa 50 Kilometer entfernten Görlitz gab es bis zu dessen Auflösung vor wenigen Jahren ein ähnliches Konstrukt.

Unterdessen sind die Ziele bereits festgezurrt: Den gestandenen Köchen geht es um die Stärkung ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit, Auftritte bei Veranstaltungen in der Lausitz wie dem alljährlichen Vereinstag anlässlich des Bautzener Frühlings, den Austausch von Erfahrungen, gemeinsame Schulungen und Fortbildungen, Verbindungen zu regionalen Anbietern von Lebensmitteln, Gewinnung von Nachwuchs für den Beruf sowie dessen Förderung in der Ausbildung und darüber hinaus. 

Die Geschäftsstellenleiterin der IHK in Bautzen, Jeanette Schneider, kann solch eine Initiative nur begrüßen. Sie weiß ebenfalls um die Herausforderungen, mit denen die Gastronomen hier zu Lande zu kämpfen haben. Längst schon reifen Köche und Servicekräfte nicht mehr so stark nach wie noch in den 80er oder 90er Jahren. Unter anderem vor diesem Hintergrund mussten 2018 landkreisweit 138 Gastronomen ihren Geschäftsbetrieb einstellen. Zum Vergleich: Im Jahr zuvor waren es ähnlich viele. Das geht aus einer Statistik der Industrie- und Handelskammer Dresden hervor.

Auf die Frage, weshalb es immer schwieriger wird, gerade im ländlichen Raum Personal zu finden, sagte die Expertin: „Weil es sich hier um vermeintlich unattraktive Berufe handelt. Es wird gearbeitet, wenn andere Freizeit haben.“ Schichtdienste, Saisonarbeit, Überstunden und die geringe Planbarkeit seien weitere Punkte. „Und leider spielt auch hier das Thema Akademisierung hart mit rein. Abitur machen und studieren, als gäbe es keine Alternativen dazu. Leider entscheiden sich zu viele junge Menschen für diesen Weg – und brechen ihn dann gelegentlich ab. Von öffentlicher Wertschätzung für Dienstleistungsberufe brauchen wir gar nicht sprechen, die fehlt fast vollständig.“

Weniger Kochlehrlinge 

Die Zahlen der Prüflinge, die letztendlich eine Kochausbildung beendet haben, sind ein Synonym für diese Entwicklung. Zu früheren Zeiten waren in Ostsachsen im Schnitt bis zu 300 junge Frauen und Männer dazu bereit, ihre Lehre mit einem Abschluss zu krönen. Heutzutage sei es, so Henry Wunderling, nur noch etwa ein Zehntel. Gleichzeitig sank die Zahl der Azubis dramatisch. „Aktuell absolvieren landkreisweit etwa 20 Kochlehrlinge ihr drittes Lehrjahr“, weiß der Berufsschullehrer. „Auch in dem darunterliegenden Jahrgang sieht es nicht viel besser aus. Da sind es zwischen 16 und 18 Auszubildende.“ Die Krux an der Geschichte: Sollten die Klassen in der Zukunft noch kleiner ausfallen, droht womöglich das Aus für die schulische Kochausbildung in Bautzen. Jeanette Schneider will es gar nicht erst soweit kommen lassen: „Wir fordern einen Berufsschulnetzplan, der die ländlichen Regionen nicht benachteiligt, notfalls mit Ausnahmegenehmigungen für kleinere Klassen. Wenn nämlich die Berufsschule beispielsweise nur noch in Dresden ist und der Auszubildende nicht täglich in die Landeshauptstadt pendeln kann oder will und sich dort Wohnraum sucht, findet er schnell vor Ort einen Ausbildungsbetrieb. Schon ist er für uns verloren.“ Deshalb erachtet sie es ebenfalls als notwendig, den öffentlichen Nahverkehr zu verbessern. „Ein funktionierendes ÖPNV-Netz ist für uns wichtig, damit auch der Schüler von Lohsa oder Weifa in die Berufsschule nach Bautzen gelangen kann. Denn ohne eine Anbindung an den Nahverkehr nützt das nun endlich errungene Azubiticket leider nicht viel. Stattdessen hilft es im Wesentlichen den Bewohnern größerer Städte wie Dresden oder Leipzig mit deren in der Regel hervorragend ausgebauten Stadtnetzen aus Straßenbahn, Stadtbus, und S-Bahn.“

Begeisterung bei jungen Leuten wecken

Henry Wunderling, der an den Wochenenden in seiner eigenen Kochschule unter anderem Hobbyköchen die Möglichkeit einräumt, ihr Talent zu verfeinern, meint hingegen, junge Leute sollten nicht schon während ihrer Ausbildung „verheizt“ werden. „Wenn der Lehrling stets nur abwaschen oder grüne Salate zubereiten soll, verliert er mitunter recht schnell die Lust an der Arbeit. Gastronomen müssen darauf Acht geben, dass der Nachwuchs bei der Stange gehalten wird.“ 

Jeanette Schneider pflichtet ihm bei: „Die jungen Leute und auch die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehenden, arbeitswilligen Personen haben heute die Wahl und die Wechselbereitschaft ist viel höher als noch vor zehn Jahren. Manchmal sind es die kleinen Dinge außerhalb der Ausbildungsvergütung, Begeisterung für einen Ausbildungsbetrieb und -beruf zu wecken. Es muss ja nicht gleich der Firmenwagen sein, aber ein Smartphone oder ein Tablet zur privaten Nutzung, ein Benzingutschein oder einer für das Fitnesscenter sind eine schöne Geste. Ganz wichtig für die junge Generation ist auch das Betriebsklima. Zu respektieren, dass die junge Generation anders tickt, fällt vielen lebenserfahrenen Unternehmern schwer. Das betrifft im Übrigen nicht allein diese Branche.“ IHK-Sprecher Lars Fiehler unterstrich: „Im Endeffekt muss es für die Inhaber und Betreiber gelten, möglichst attraktive Arbeits- und Rahmenbedingungen für ihr Personal anzubieten. Das kann in der Praxis ganz verschieden aussehen, je nachdem, in welchem Alter und in welcher familiären Situation das Personal ist, ob der Arbeitsort gut zu erreichen ist oder ob Bezahlung oder Flexibilität eine wichtigere Rolle spielen. Ein Patentrezept gibt es da nicht.“ Als Beispiel, wo die Strategie aufgeht, einen Lehrling auf Dauer zu binden, nannte die IHK-Geschäftsstellenleiterin ein in Bautzen ansässiges Hotel. „Es bietet den Auszubildenden schon während der Lehre abwechslungsreiche Projekte, um sie zu halten.“

Trendwende schwer zu erkennen

Trotz der jetzt schon an den Tag gelegten Bemühungen glaubt Jeanette Schneider nicht daran, dass sich die seit einiger Zeit zu beobachtende Entwicklung noch einmal umkehren und ganz spontan eine größere Zahl an Arbeitskräften für die Branche finden lässt. Vielmehr werde das Wirtshaussterben auch in der Lausitzer weitergehen. „Die Demografie ist so, wie sie ist“, führte sie zur Begründung an. „Zudem weist der Arbeitsmarkt eine gewisse Stabilität auf. Viele ehemalige Saisonkräfte haben inzwischen eine unbefristete Beschäftigung gefunden und stehen jetzt in der Saison nicht mehr zur Verfügung. Grundsätzlich hat aber ebenso der Verbraucher ein Wörtchen mitzureden. Wenn keine Gäste kommen, gibt es keinen Umsatz. Die Folgen für den Gastwirt sind in dem Fall absehbar. Es muss sich dann aber auch niemand beschweren, wenn die Einrichtung geschlossen wird.“ Lars Fiehler: „Treffen die rückläufigen Prognosen für den ostsächsischen Raum tatsächlich ein, sinkt auch die Zahl potenzieller Gäste. Viele Inhaber und Betreiber erreichen zudem in den kommenden Jahren das Rentenalter.“ 

Köcheallianz möchte Probleme angehen

Vor diesem Hintergrund stellte er die Frage, ob sich genügend Nachfolger finden lassen oder werden auch auf diesem Weg weitere gastronomische Angebote verschwinden? „Gelingt es, das gesellschaftliche Ansehen und die Konditionen der Gastroberufe attraktiver zu gestalten oder nicht? Wollen auch in Zukunft so viele Jugendliche in Richtung einer akademischen Ausbildung streben oder gelingt es, wieder mehr Absolventen für eine Berufsausbildung zu begeistern?“ 

Als Antwort darauf planen Henry Wunderling und seine Unterstützer, ein Netzwerk zu spinnen, damit die Gastronomie im gesamten Landkreis, zu der laut IHK-Informationen aktuell 296 Restaurants zählen, eine Perspektive hat. Am Montag, 9. September, gibt es an der Nadelwitzer Straße 1 in Bautzen eine weitere Zusammenkunft vor der geplanten Vereinsgründung. Beginn ist 14.30 Uhr. Eingeladen sind alle Köche aus der Region und diejenigen, die ihn zum Beruf machen möchten. Selbst Sponsoren werden herzlich willkommen geheißen. Immerhin geht es um einen ganzen Berufsstand, der dringend Hilfe benötigt, bringt es Henry Wunderling abschließend auf den Punkt.
 

Roland Kaiser / 06.07.2019

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