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Lebensmittel teilen statt wegwerfen

Lebensmittel teilen statt wegwerfen

Foodsharing-Botschafterin Christin Wegner vor dem Stützpunkt an der Post: Hier lassen sich täglich zwischen 8.00 und 20.00 Uhr Lebensmittel anliefern und zum Eigenverzehr mitnehmen. Foto: RK

Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt Lebensmittel weggeworfen, weil vielleicht das Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen war? Eine Initiative, die sich im Sommer in Bautzen formiert hat, ist der Ansicht: Das kommt viel zu oft vor. Deshalb hat sie sich auf die Fahnen geschrieben, die Verschwendung von Nahrungsgütern einzudämmen.

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Kühlschrank und Regale: Das Domizil der Bautzener Foodsharer bietet alle denkbaren Möglichkeiten zur Aufbewahrung von Lebensmitteln. Ein Schließdienst überwacht die Öffnungszeiten. Foto: RK

Bautzen. Direkt am Eingang zum Gelände des Postgebäudes am Bautzener Postplatz hat sich eine junge Frau einen Lebenstraum erfüllt. Zusammen mit zahlreichen Mitstreitern verwandelte sie das einstige Pförtnerhäuschen, das zuletzt als Lagerstätte diente, in einen Ort, an dem sich Lebensmittel tauschen lassen. Profitieren davon sollen auch Menschen, die nicht unbedingt auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Und jene, die keinen Zugang zu den Angeboten der Tafelvereine haben. Seit Mitte August existiert das Angebot im Herzen der Spreestadt bereits und es werde gut angenommen, sagt Christin Wegner. Sie selbst bezeichnet sich als Foodsharing-Botschafterin und arbeitet ehrenamtlich für ein bundesweites Netzwerk. Bautzen soll nicht die einzige Wirkungsstätte in der Region bleiben, erklärt sie. Auch im Raum Bischofswerda werde perspektivisch gesehen an einem Anlaufpunkt gearbeitet. Die Verfahrensweise ist jedoch überall ähnlich: Wer genießbare Lebensmittel abzugeben hat, darf diese zum jeweiligen Domizil der sogenannten Foodsharer bringen. Wer hingegen auf Nahrungsgüter angewiesen ist, schaut vorbei und nimmt sich das, was er gerade benötigt.

„Das alles auf eigene Gefahr“, meint die 33-Jährige. „Allerdings gibt es immer jemanden in unseren Reihen, der die Bestände auf deren Genießbarkeit kontrolliert.“ In dem Zusammenhang hält sie mit Kritik nicht hinterm Berg. „Für viele ist ein abgelaufenes Mindesthaltbarkeitsdatum Grund genug, um Lebensmittelprodukte in die Mülltonne zu werfen. Dagegen möchten wir etwas unternehmen. Die Rede ist nämlich davon, dass die Erzeugnisse durchaus länger genießbar sind. Das liegt nun einmal in der Natur des Wortes ‚mindestens’. Die Leute müssen zu einem Umdenken gebracht werden.“ Dabei nehmen Christin Wegner und ihre Unterstützer auch die Supermarktketten ins Gebet. „Es kann nicht angehen, dass beispielsweise verpackte Salami mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 13. November 2020 ungeöffnet im Abfall landet. Diese können sie genauso gut uns Foodsharern überlassen.“ Leider drohe in Deutschland eine Strafanzeige, wenn auf dem Gelände eines Supermarktes Lebensmittel aus dem Abfall gefischt werden, meint die junge Frau – und zwar wegen Diebstahls und Hausfriedensbruchs.

„Aber wir haben uns mit den Kommunen in Verbindung gesetzt, in deren Eigentum das Ganze im Entsorgungsfall übergeht. Wenn sie uns die Genehmigung erteilen, die weggeworfenen Lebensmittel zu sichten und zu übernehmen, ist ein Strafverfahren vom Tisch. Bleibt nur noch, den Zugang zum jeweiligen Marktgrundstück rechtlich sauber zu regeln. Jedoch haben uns einzelne Marktleiter bereits wissen lassen, dass sie uns diesbezüglich nicht entgegenkommen werden.“

Für das kommende Jahr planen die Bautzener Foodsharer die Gründung eines Vereins – auch um fortan Geldspenden für eine Aufrechterhaltung des Angebots entgegennehmen zu können. Da Betriebskosten und in absehbarer Zeit eventuell auch Mietzahlungen zu bestreiten sind, ist die Initiative auf finanzielle Hilfe genauso angewiesen wie beispielsweise auf das Obst und Gemüse von Klein- und Hobbygärtnern. „Die Lebensmittel, die bei uns ankommen, möchten wir gern auch mit der Bautzener Tafel teilen“, versichert Christin Wegner. „Wir nehmen also niemandem etwas weg.“ Exemplarisch führt sie eine Spende einer Fleischerei an. Diese hatte jüngst 2.000 Würstchen bereitgestellt. Ein Teil davon sei an die Tafel gegangen.

Mit ihrem Gedanken, in der Spreestadt einen kostenlosen Nahrungsmitteltausch zu etablieren, punktete die Initiative zuletzt beim Ideenwettbewerb „MitmachFonds Sachsen“ und räumte dort 780 Euro ab. Am Ende ließ sich dank dieser Summe und des ehrenamtlichen Einsatzes von zahlreichen Menschen ein mit Regalen und Kühlschrank ausgestattetes Domizil schaffen. Um dessen Eingangsbereich für mögliche Lieferanten und Foodsharing-Nutzer attraktiver zu machen, greifen die Stadtbegrüner an diesem Sonntag zu Werkzeug und Blumenerde und gleichzeitig den Food-sharern unter die Arme. Vor dem Pförtnerhäuschen sollen Hochbeete entstehen und ein tristes Zaunfeld aufgepeppt werden. Der Verwalter habe bereits sein Okay gegeben, sagt Christin Wegner. Dabei huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.

Roland Kaiser / 10.10.2020

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Kommentare zum Artikel "Lebensmittel teilen statt wegwerfen"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Matthias Berger schrieb am

    Seit heute (21.10.20) ist eine Saatgut-Tauschbox im Foodsharing- Verteiler an der alten Post in Bautzen aufgestellt. Damit kann (möglichst selbstgeerntetes) Saatgut abgegeben und weitergegeben werden. Es wird Wert darauf gelegt, dass nur samenfestes und gentechnikfreies Saatgut getauscht wird! Damit sollen die seit Jahrhunderten bewährten samenfesten Sorten für unsere Nachkommen erhalten werden. Diese werden zunehmend von den gängigen F1-Hybriden verdrängt, was zu einem enormen Verlust der Vielfalt führt. Bereits heute gibt es einige Gemüsesorten, von denen keine samenfesten Sorten mehr im Handel sind.

    Unterstützt wird die Saatgut-Box vom Verein zur Erhaltung der Nutzpflanzenvielfalt VEN, den Bautzener Stadtbegrünern und dem Netzwerk „Lebendige Vielfalt“ (koordiniert die Saatgut-Tauschbörsen in Sachsen).

    Die Tauschbox soll einen Vorgeschmack auf die im Frühjahr stattfindenden Saatgut- und Pflanzentauschbörsen geben, diese aber nicht ersetzen!
    Wir hoffen auf ein reges Tauschen und viele Saatguttütchen. Bei Bedarf kann die Box auch größer gestaltet werden!

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