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Simulierter Aufprall regt zum Nachdenken an

Simulierter Aufprall regt zum Nachdenken an

Am Ãœberschlagsimulator führt Jürgen Schöbel vom DVR den Fahrern hautnah vor Augen, welche Wirkung der Sicherheitsgurt hat und warum in der Lkw-Kabine nicht alles lose herumstehen sollte. | Foto: kk

Oberlausitz. Mit einem Simulator führt die Polizei Lkw-Fahrern die Wirkung des Sicherheitsgurts vor Augen. "Hat's geklickt?" heißt die Aktion. Einige Unbelehrbare waren auch diesmal unter den Unangeschnallten.  

Hand aufs Herz, sind Sie schon mal unangeschnallt im Auto gefahren? Die kurze Strecke zum Bäcker bestimmt. Doch bei den meisten Autofahrern geht Sicherheit vor. Laut offiziellen Angaben des Bundesanwalts für Straßenwesen legen 98 Prozent der Fahrzeuginsassen den Sicherheitsgurt an. Während Pkw-Fahrer der Gurtpflicht meist nachkommen, ist es bei Lkw-Fahrern nicht so, stellt die Polizei immer wieder fest.

Und weil Belehrungen und Strafen allein nicht den gewünschten Erfolg haben, hat der Verkehrsüberwachungsdienst des Autobahnpolizeireviers Bautzen für einige Tage in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) einen Gurtschlitten und einen Überschlagsimulator an der A4-Raststelle Oberlausitz-Nord aufgestellt.  "Hat's geklickt?" heißt die Aktion, die schon zum dritten Mal stattfindet.

Mit zwei Kontrollfahrzeugen lotsen die Polizisten unangeschnallte Lkw-Fahrer auf den Rastplatz. Bei der allgemeinen Verkehrskontrolle kommt auch der nicht angelegte Sicherheitsgurt zur Sprache. "Mancher Fahrer ist einsichtig, andere streiten bis aufs Messer", berichtet Polizeioberkommissar Michael Noack. "An diesem Tag haben sie die Chance, die 30 Euro Verwarngeld zu sparen. Dafür müssen sie im Gurtschlitten und dem Überschlagsimulator Platz nehmen."

Zwar bin ich kein Lkw-Fahrer – die sind noch bei der Verkehrskontrolle – trotzdem fordert mich Jürgen Schöbel auf, den Gurtschlitten zu probieren. Der Lkw-Sitz ist ungewohnt groß, das Anschallen funktioniert wie im Pkw. Der DVRExperte kontrolliert und zieht den unteren, über das Becken verlaufenden Gurt fester. "So sollte es sein", sagt er, drückt den Knopf und die Simulation startet. Keine Sekunde später steht der Sitz schon wieder. Es bleibt ein wirklich deutlicher Druck quer über den Oberkörper. Hier hat mich der Sicherheitsgurt gehalten und verhindert, dass mein Körper beim simulierten Aufprall nach vorn aufs Lenkrad schlägt. Jürgen Schöbel will wissen, mit welcher Geschwindigkeit der Zusammenstoß erfolgte. Es fühlte sich schnell an, aber 50 km/h waren es wohl nicht, denke ich und antworte: "Vielleicht 30 km/h?" Tatsächlich waren es nur 10 km/h. Beeindruckend, ich möchte gar nicht wissen, was unangeschnallt passiert wäre.

Eine Tabelle neben dem Gurtschlitten gibt einen kleinen Eindruck, welche Kräfte bei einem Auffahrunfall wirken. Ein 80 Kilogramm schwerer Fahrer wird bei einem Aufprall mit einer Geschwindigkeit von 10 km/h mit 310 Kilogramm in den Gurt gedrückt. Bei 50 km/h muss der Gurt schon 7.700 Kilogramm halten und bei 100 km/h sind es über 30 Tonnen. "Es ist Grundlagenphysik, Masse mal Geschwindigkeit ist Wirkung", so Jürgen Schöbel. Wer nicht angeschnallt ist, knallt eben mit diesem Gewicht gegen Lenkrad oder Frontscheibe, verletzt sich schwer oder segelt gar durch die Scheibe.

Ein weiteres Thema ist der Sicherheitsabstand. Dieser sollte bei 90 km/h mindestens 50 Meter betragen. Oft ist es weniger. Windschattenfahren, um Sprit zu sparen, ist eine der häufigsten Erklärungen, die Polizist Michael Noack zu hören bekommt. Ebenfalls im Simulator wird den Fahrern vor Augen geführt, dass man selbst bei 30 Metern und 40 Tonnen im Rücken nicht rechtzeitig anhalten kann und mit etwa 18 km/h auf den Vorausfahrenden knallt.

Damit ist die Schulung noch nicht beendet. Im Überschlagsimulator zeigt Jürgen Schöbel den Brummi-Fahrern noch einmal den Sinn des Sicherheitsgurts. Die moderne Kabine eines Lkw ist fast zwei Meter hoch und etwa 2,4 Meter breit. Viel Platz, um im Fall eines Überschlags weit zu fallen. Und während der Fahrer gesichert im Stuhl die Kopfüberdrehung mitmacht, purzeln die Kuscheltiere und Schaumstoffteile in der Kabine wild durcheinander und treffen natürlich auch den Fahrer. In der Realität würden Kaffeemaschine, Bücher, Papiere, Fernseher und andere Dinge durch die Fahrerkabine poltern, erklärt der DVR-Experte. Gefährlich sei eine solche Gerümpelbude aber nicht nur im Lkw, sondern auch im Pkw.

Etwa 40 Fahrer pro Tag nehmen das Angebot der Polizei an und lassen sich in den verschiedenen Simulatoren, die Folgen ihres Verhaltens in der Wirklichkeit vorführen. Andere lehnen ab – mit der Begründung, es schon einmal gemacht zu haben. Warum sie trotzdem unangeschnallt unterwegs waren, ist nicht nur den Polizisten ein Rätsel. "Manche sind eben unbelehrbar", so Jürgen Schöbel.

Aber die Aufklärungsarbeit zeigt Wirkung. Jürgen Schöbel und sein Kollege vom DVR führen seit über zehn Jahren gemeinsam mit der Polizei oder in den Betrieben für die Berufsgenossenschaft Sicherheitsschulungen vor allem für Lkw-Fahrer in ganz Deutschland durch. "Als wir begonnen haben fuhren etwa 15 Prozent der Lkw-Fahrer angeschnallt, heute sind es etwa 55 Prozent", so Schöbel. Während am Tag 75 Prozent angeschnallt sind, legen nachts gerade mal 20 Prozent den Sicherheitsgurt an. "Dabei passieren gerade in den frühen Morgenstunden die meisten Unfälle", berichtet Jürgen Schöbel. Es bleibt also noch einiges zu tun.

Katrin Kunipatz / 04.04.2016

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