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Wachkoma: Von einer schwierigen Reise zurück ins Leben

Wachkoma: Von einer schwierigen Reise zurück ins Leben

Jessica auf dem Foto wenige Tage vor dem schweren Unfall und im Rollstuhl 15 Jahre später. Foto: RK

Bautzen. Die Tränen steigen Roswitha Briesning noch heute in die Augen, wenn sie an den 16. Oktober 2004 zurückdenkt. Just in dem Moment schmunzelt ihr ein Mädchen – gerade einmal zarte 17 Jahre alt, schlank, die Haare gefärbt – von einem Foto entgegen. Der Schnappschuss entstand kurze Zeit vor dem schweren Autounfall, in den Tochter Jessica damals verwickelt wurde. Mit ihm endet eine erste Lebensphase der jungen Frau. Heute, 15 Jahre später, ist sie nach wie vor an den Rollstuhl gefesselt. Zwar zeigt sich des Öfteren wieder ein Lächeln auf ihrem Gesicht. Jedoch vermag niemand zu sagen, wie sehr Jessica bei Bewusstsein ist. Nach Operation und künstlichem Koma versucht sie noch immer, vollständig ins Leben zurückzukehren, sagen ihre Eltern. Die inzwischen 32-Jährige habe mittlerweile die sogenannte Remissionsphase vier erreicht. Davon gehen Roswitha Briesning und ihr Mann Hartmut aus. Bis Jessica jedoch wieder vollständig sie selbst ist, muss die junge Frau noch einen schwierigen und weiten Weg absolvieren.

Diesen beschreiben Experten folgendermaßen: „Vom Koma bis zum vollen Bewusstsein durchläuft der Patient sieben Remissionsphasen. Im Verlauf bestehen zwischen den einzelnen Phasen fließende Übergänge, und die Dauer der einzelnen Phasen kann von unterschiedlicher Länge sein. Nicht alle Patienten durchlaufen alle Stadien. Einige von ihnen können auch in einer früheren Phase verbleiben. Eine Rückbildung kann nach kurzer Zeit eintreten, aber auch erst nach monatelangem Bestehen des Vollbildes eines apallischen Durchgangssyndroms, zu deutsch Wachkomas.“

Damit zählt Jessica zu den Grenzgängern: wach, aber bewusstlos. Doch womöglich überschreitet sie derzeit eine Grenze und nimmt damit eine weitere Hürde. Das zeigt sich in den Fortschritten, die die junge Frau macht. Erst neulich habe ihre Tochter einen ersten Stehversuch unternommen, erzählt Roswitha Briesning. „Mit dem rechten Arm zog sie sich an einer Sprossenwand hoch. Für uns alle ist das ein großer emotionaler Moment gewesen. Leider habe ich ihn nicht dauerhaft festhalten können“, fügt die 54-Jährige etwas wehmütig hinzu. 

Dass ihr Kind dieses wichtige Etappenziel erreicht hat, führt sie vor allem auf die zahlreichen Therapien zurück, die Jessica bislang durchlaufen durfte. „Dafür möchten wir uns heute einmal von ganzem Herzen bedanken“, meint das Ehepaar. Auch ein Teil der verschriebenen Medikamente trug demnach dazu bei, dass sich die neurologischen Fähigkeiten der Tochter im Laufe der Zeit verbesserten. 

Rückblick: Am 16. Oktober 2004 waren in der Nähe von Neschwitz, dem früheren Wohnort der Familie, bei einem missglückten Überholmanöver zwei Autos frontal zusammengestoßen. In einem davon saß Jessica, die beim Eintreffen der Einsatzkräfte trotz der schwerwiegenden Kopfverletzung noch bei vollem Bewusstsein gewesen sein soll. Erst im Rettungswagen sei die damalige Schülerin, die so gern Säuglingsschwester auf der ITS werden wollte, kollabiert, gibt Roswitha Briesning Erzählungen von Augenzeugen wieder. Der mutmaßliche Unfallverursacher hingegen hatte die Kollision nicht überlebt. 

Seit diesem Tag hofft die Familie inständig darauf, dass ihr Kind irgendwann einmal wieder sprechen kann. Wenn Roswitha und Hartmut auf die vergangenen Jahre zurückblicken, haben sie auch allen Grund dazu, positiv zu denken. Jedoch kann das Paar mit einer Kritik nicht hinterm Berg halten. „Die Pflege ist nicht schlimm“, meint Jessicas Mama. „Schlimm ist, dass man immer wieder alles erstreiten muss. In vielen Fällen wird nach Aktenlage entschieden, die mitunter 15 Jahre alt ist. Es wäre viel einfacher, wenn sich Entscheidungsträger vor Ort ein Bild von der Situation machen würden.“ Damit nimmt sie unter anderem Bezug auf Einschätzungen der Kranken- und Unfallversicherung. „Sie könnte in solch einem Fall sicherlich erkennen, dass Jessica mehrere spezielle Trinkbecher benötigt – allein schon aufgrund der verzögerten Mundmotorik.“ Unterm Strich bleibt die Sorge, wer sich später einmal um Jessica kümmert, sollten Briesnings dieser Aufgabe nicht mehr gewachsen sein. „Wir sind uns zu 99 Prozent sicher, dass sich eine optimale Pflege ergeben wird, wenn es soweit ist“, sagen Roswitha und Hartmut wie aus einem Munde.

Roland Kaiser / 03.11.2019

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