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Bautzens Handel in Nöten

Bautzens Handel in Nöten

Alles muss raus im Kinderwarenhaus: Ein Jahr nach dem Einzug gibt Remo Gäbler sein Geschäft am Bautzener Kornmarkt schon wieder auf. Die Gründe dafür sind vielfältig. Foto: RK

Bautzen. Am 31. Oktober soll Schluss sein im Kornmarkthaus. Spätestens dann will Remo Gäbler sein dort ansässiges Geschäft für immer schließen. Bis dahin läuft der Ausverkauf, auf den große Plakate im Eingangsbereich hinweisen. Nach dem Umzug von der Karl-Marx-Straße in den Nachfolger des einstigen DDR-Hochhauses hätten sich die Erwartungen nicht erfüllt, die der Kubschützer noch 2018 an den Wechsel knüpfte. „Nach insgesamt 18 Jahren ist mir der Entschluss wahrlich nicht leicht gefallen“, versichert er. Immerhin sind vier Mitarbeiterinnen betroffen, denen nun nichts anderes übrig bleibe, als sich nach einem neuen Job umzuschauen. Nicht jede von ihnen habe das verkündete Aus kritiklos hingenommen. „Bereits seit Mai trage ich mich mit dem Gedanken“, führte der Unternehmer weiter aus. „Im August zog ich schließlich in Abstimmung mit meiner Familie die Notbremse.“ Für Remo Gäbler liegen die Gründe klar auf der Hand. Auf der einen Seite nahmen die Kunden den neuen Standort nicht so an, wie er es sich erhoffte. „Andererseits wandert nach wie vor viel Kaufkraft ins Internet ab. Hinzukommt, dass viele Leute nicht mehr bereit sind, den vollen Preis zu bezahlen. Da große Online-Anbieter jedoch andere Konditionen bei den Herstellern genießen, geraten wir ins Hintertreffen. Denn mit denen können wir nicht mithalten.“ Der gebürtige Spreestädter sieht sich inzwischen als Teil eines knallharten Verdrängungswettbewerbs. Es gehe dabei in erster Linie um Marktanteile, auch wenn Verluste erwirtschaftet und einkalkuliert werden. „Aber irgendeinen gibt es immer wieder, der in solche Unternehmen Geld pumpt.“ Diesen Investor hatte der Bautzener nicht an seiner Seite. Zudem kritisiert Remo Gäbler die Aufhebung der Preisbindung, die vor 15 Jahren unter der rot-grünen Bundesregierung erfolgte. „Das führte dazu, dass nunmehr im Internet jeder machen kann, was er will. Rabatte sind dadurch jederzeit möglich und nicht von irgendwelchen Anlässen wie Schlussverkäufen abhängig.“ Vielleicht wäre es weitergegangen, hätte sich der Unternehmer nur von einem Teil seiner Belegschaft getrennt. „Dann würden meine Frau und ich pausenlos im Laden stehen. Allerdings wollen wir auch Zeit für unsere schulpflichtige Tochter aufbringen. Ehrlich gesagt möchte ich nicht mein eigener Sklave sein und die Woche über von früh bis abends im Geschäft stehen. Das ist doch kein Leben.“ Mit Blick auf die allgemein zu beobachtende Entwicklung prophezeit Remo Gäbler dem stationären Einzelhandel in seiner Heimatstadt das gleiche Schicksal, wie es bereits Löbau oder Kamenz erfuhren. Er beruft sich dabei auf Zahlen, die der Handelsverband Deutschland (HDE) veröffentlichte. „Zehntausende Geschäfte werden in den kommenden Jahren bundesweit schließen“, meint der Unternehmer. Zwei Gründe für das Dilemma liegen für ihn klar auf der Hand: „Die Generationen nach uns wachsen quasi mit dem Smartphone in der Hand auf. Darüber hinaus verspüren viele Menschen nach der Arbeit keine Lust mehr darauf, in die Stadt zu fahren, um dort einzukaufen.“ Das veränderte Kundenverhalten spiegelt sich auch in einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes Mente>Factum wider. Im Auftrag eines Telefonbuchverlages hatte es 1.004 Menschen in Deutschland ab 16 Jahren befragt. Damit eine Verödung der Innenstädte nicht weiter voranschreitet, sollten sich in erster Linie Lokalpolitiker vor Ort darum kümmern. Das meinten 86 Prozent der Befragten. 83 Prozent meinten, die Verbraucher selbst könnten mit ihrem Einkaufsverhalten eine Wende herbeiführen. 62 Prozent wiederum wünschten sich, dass Vermieter von Ladenflächen ihren Beitrag dazu leisten, dass die Innenstädte lebendig bleiben. Unterm Strich ziehen die Forscher folgendes Fazit: Das Spiel ist einfach und hat doch schwerwiegende Folgen. Wie aus der Untersuchung weiter hervorgeht, schätzen 93 Prozent der Verbraucher die Freundlichkeit und das Fachwissen der lokalen Anbieter. Doch das würden sie schamlos ausnutzen. „Sie lassen sich im Laden ausführlich beraten, um die ausgesuchte Ware dann für ein paar Euro weniger im Internet zu bestellen.“ Obendrein mache die Kommunalpolitik immer mehr Innenstädte autofrei oder erhöhe die Parkgebühren. „Verbraucher reagieren darauf, indem sie zu Hause vom Sofa aus bei internationalen Online-Warenhäusern shoppen oder die großen, verkehrsgünstigen Shoppingmalls in Außengebieten nutzen.“ Doch wo keine Kunden sind, könne auch das beste lokale Geschäft nicht überleben. Bleibt der Umsatz aus, seien auch die Mieten nicht mehr drin. Ein Teufelskreis, bei dem Ladenleerstand und von großen Ketten dominierte Fußgängerzonen die Folge seien. Nicht ohne Grund gab es auch in Bautzen die Forderung, unter anderem bei den Parkgebühren in der Innenstadt nachzubessern beziehungsweise ein kostenloses Kurzzeitparken einzuführen.
Doch so schwarz, wie manche Experten die Lage des Einzelhandels einschätzen, sieht City-Managerin Yvonne Tatzel die Entwicklung für die Spreestadt nicht. „Dass Bautzen schon jetzt auf einem guten Weg ist, zeigt beispielsweise die schrittweise Belebung von Geschäften an der Reichenstraße“, sagte die 41-Jährige dem Oberlausitzer Kurier kurz nach ihrem Amtsantritt im Juni dieses Jahres. „Dort ging der Leerstand in den letzten Monaten spürbar zurück.“ Ex-Stadtrat Karl-Heinz Lehmann bezeichnete hingegen die Situation als bedenklich, die auch durch eine City-Managerin nicht gelöst werden könne. Er verwies dabei auf die rund 100 leerstehenden Geschäftseinrichtungen, die er in seiner Heimatstadt ausfindig gemacht haben will. Dirk Lübke von der CDU-Fraktion meinte: „Vor allem der Bautzener Handel scheint den Rohdaten der Statistik zufolge in akuten Schwierigkeiten zu stecken.“ Laut einem jüngst von der Verwaltung herausgegebenen Bericht hatten allein 2019 im Laufe des ersten Halbjahres 38 Händler das Handtuch geworfen, 29 wagten hingegen den Schritt in die Selbstständigkeit. Zum Vergleich: Im Vorjahreszeitraum gaben 20 Händler ihr Gewerbe auf, 30 strömten neu auf den Markt.
Egal wie es am Ende kommt – für Remo Gäbler ist das Thema Einzelhandel Geschichte. In einer anderen Branche will er demnächst neu durchstarten.
Indes denkt der Vermieter, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft BWB, schon einmal an die Zeit nach der Geschäftsaufgabe. Von ihm war zu erfahren, dass auf der rund 420 Quadratmeter großen Fläche ein Co-Working analog dem in der Tuchmacherstraße etabliert werden könnte. Dabei bekommen Unternehmensgründer die Möglichkeit, bei günstigeren Bedingungen durchzustarten. Außerdem sind sie auf diese Weise in der Lage, für sich abzuschätzen, ob für ihre Produkte beziehungsweise Dienstleistungen ein Bedarf besteht. In das Projekt ist die städtische Wirtschaftsförderung ebenso eingebunden.
Sowohl bei ihr als auch bei der BWB lassen sich Bewerbungen um einen Platz im Kornmarkthaus einreichen. Kontakt: (03591) 571-0.

Roland Kaiser / 21.09.2019

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