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Das Rätsel um die Toten von Hochkirch

Das Rätsel um die Toten von Hochkirch

Mitarbeiter des Landesamtes für Archäologie legten bis zum Beginn dieser Woche auf einem privaten Baufeld die sterblichen Überreste von rund 30 Personen frei.

Ein grausamer und zugleich geschichtsträchtiger Fund ist in diesen Tagen in einem Dorf im Bautzener Osten das Gesprächsthema. Auf einem Privatgrundstück sind die sterblichen Überreste von zahlreichen Menschen entdeckt worden. Doch nicht die Polizei bemüht sich aktuell um Aufklärung. Den Fall hat eine andere Behörde an sich gezogen.

Hochkirch.
Diesen Anruf wird Doris K. (Name von der Redaktion geändert) ihr Leben lang nicht mehr vergessen. Als das Telefon klingelt, ahnen die 66-Jährige und ihr ein Jahr jüngerer Mann nicht, was ihnen der Fahrer eines Baggers im nächsten Moment berichten wird. Nachdem sein Baugerät gerade dazu ansetzte, auf einem etwa 700 Quadratmeter großen Grundstück die Baugrube für das neue Eigenheim der beiden auszuheben, förderte die Baggerschaufel Knochen zu Tage. Dass es sich hierbei nicht um die sterblichen Überreste eines Tieres handelte, wurde recht schnell offensichtlich. Die Bauherren informierten umgehend die Polizei und die ließ das Gelände erst einmal absperren. Ein hinzugezogener Spezialist konnte jedoch wenig später auch schon wieder Entwarnung geben. Die gefundenen Skelettteile lassen sich keinem aktuellen Verbrechen zuordnen. Der Sterbezeitraum liegt viele Jahrzehnte zurück. „Es ist schon komisch“, meinen Chiara und Frieda beim Blick auf das Baufeld. Die beiden Mädchen nutzten früher des Öfteren die Fläche, um Fangen zu spielen oder herumzutoben. Damals war es noch ein Acker. Dass sich darunter ein ganzer Friedhof befindet, damit rechnete dann wohl niemand. Selbst die Denkmalbehörde hatte keine Kenntnis davon, versichert Bauherrin Doris K. „In deren Unterlagen war nichts Entsprechendes verzeichnet. Deshalb gab sie auch ihr Okay für die Arbeiten.“

Seit dem ersten Fund sind bis Montagmittag 29 weitere hinzugekommen. Mitarbeiter des Landesamtes für Archäologie übernahmen in der Zwischenzeit die Regie vor Ort. Mit Pinseln und kleinen Schippen bewaffnet, gruben sie den Erdboden Zentimeter für Zentimeter um und machten dabei so manch heikle Entdeckung. „Mittlerweile gehen wir davon aus, dass wir es hier mit den sterblichen Überresten von 40 Menschen zu tun haben“, sagte einer der Fachleute im Gespräch mit unserer Zeitung. „Zu welcher Nationalität sie gehören, lässt sich eventuell an den Uniformknöpfen festmachen, die wir ebenfalls sicherstellen konnten. Die müssten allerdings zuvor restauriert werden.“ Damit spielte der Experte auf ein Ereignis an, das den Ort vor vielen Jahrzehnten in Atem hielt. Im Oktober 1758 tobte dort eine kämpferische Auseinandersetzung zwischen österreichischen und preußischen Truppen.

Diese Schlacht des Siebenjährigen Krieges ist als zweite persönliche Niederlage Friedrichs des Großen in die Geschichte eingegangen. Allerdings scheint auch ein anderes Ereignis denkbar. 1813 kam es im Zuge der Befreiungskriege gegen das napoleonische Frankreich ebenso zu Gefechten in der Gegend.

Alternativer Text Infobild

Nur wenige Zentimeter unter der Erdoberfläche wurden die Gebeine von bis zu 40 Soldaten entdeckt und anschließend geborgen. Fotos: RK

„Bis zu ihrer Umbettung werden die Skelettteile an einem sicheren Ort verwahrt“, erklärte indes Doris K. Bürgermeister Norbert Wolf wiederum bestätigte auf Anfrage, dass die Kommune zusammen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde bereits nach einer würdevollen Begräbnisstätte Ausschau hielt. „Damit wollen wir den Soldaten, die hier ihr Leben ließen, den nötigen Respekt zollen“, erklärte das Gemeindeoberhaupt. „Dass die Skelette lediglich einen Meter unter der Erdoberfläche entdeckt wurden, lässt darauf schließen, dass die Menschen damals regelrecht verscharrt wurden.“

Pfarrer Thomas Hänchen fügte hinzu: „Für die am Fundort geborgenen Gebeine soll es auf dem Kirchhof in Hochkirch eine würdige Grabstelle geben. Entsprechend der Anzahl der zu bestattenden Gebeine wird diese Stelle ausgewählt werden. Nach Abschluss der Untersuchungen möchten wir eine Beisetzung mit einem Gottesdienst gestalten. Im Abschluss werden die Gebeine gemeinsam in einer Grabstätte beigesetzt. Dabei sollen nach Möglichkeit die Gebeine einzelner Personen, so sie zu unterscheiden sind, auch als solche bestattet werden.“

Umbettungen wie die jetzt geplante sind in der Gemeinde bislang eher selten, wie der Geistliche weiß. „Bekannt ist, dass Feldmarschall Keith 1758 in Hochkirch beigesetzt und kurze Zeit später nach Potsdam in die Garnisonkirche überführt wurde. Nach dem Zweiten Weltkrieg sind mehrere sowjetische Soldaten bestattet worden, die dann in die zentrale Gedenkstätte nach Bautzen umgebettet wurden.“

Für den Bürgermeister steht schon jetzt fest: Das Ganze findet zumindest Einzug in die Ortschronik. Hingegen ist das momentan Erlebte für die Bauherren und ihre Nachbarn Geschichte quasi zum Anfassen.

 

Roland Kaiser / 18.07.2020

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