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Die Frage der Haltung

Die Frage der Haltung

Karikatur: Andreas Neumann-Nochten

Alternativer Text Infobild

OB-Kandidatin Franziska Schubert (Grüne) im Kreis ihrer Unterstützer. V.l.n.r. Dr. Michael Wieler (BfG), Danilo Kuscher (Motor Görlitz), Mike Altmann (Motor Görlitz) und Dr. Rolf Weidle (BfG). Nicht im Bild ist der Fotograf dieses Bildes Prof. Joachim Schulze (Grüne).

Am 26. Mai 2019 wird in Görlitz die Oberbürgermeisterwahl stattfinden. Mit Octavian Ursu (CDU) und Franziska Schubert (Grüne) sind die beiden ersten aussichtsreichen Kandidaten im Rennen. Das symbolisiert zugleich jedoch auch, dass sich der bürgerliche Block nicht mehr geschlossen zeigt.

Görlitz. Prof. Joachim Schulze, Sprecher der Görlitzer Grünen sagt bei der gemeinsamen Vorstellung – mit den Bürgern für Görlitz (BfG) und der Initiative „Motor Görlitz“ – seiner Parteifreundin, der 36-jährigen Neugersdorfer Landtagsabgeordneten, Franziska Schubert als Kandidaten für das Görlitzer Oberbürgermeisteramt: „Kommunalpolitik ist die komplexeste Art Politik zu machen, bei der man sich am stärksten vom politischen Lagerdenken lösen muss. Das sage ich auch immer meinen Studenten“. Der Stadtrat sei eben kein Parlament im eigentlichen Sinne, sondern eine Selbstverwaltung.

Wenige Tage vor Schuberts Vorstellung hatte sich ihr Plenumskollege aus dem Landtag Octavian Ursu (CDU) bekannt, bei der Oberbürgermeisterwahl anzutreten. Die langjährige Eintracht zwischen CDU, Grünen und BfG, die den scheidenden Siegfried Deinege getragen hatte, löst sich damit auf und im engeren Sinne schuld daran ist scheinbar – auch wenn man es vermeidet, dies auf den Punkt zu bringen – doch ein Lagerdenken. Gewiss: Schön länger hatte sich abgezeichnet, dass die Union keine Straßenausbaubeiträge wolle. Ebenso spürten die BfG den Druck aus der CDU im Hinblick auf eine Senkung der Gewerbesteuer. Neben Unterschieden in ökologischen Fragen belastete auch die Debatte um Integrationskonzepte die Zusammenarbeit.

Womit auch Görlitz nahezu unweigerlich in einer politischen Grundsatzfrage angekommen ist. Die Migration als „Mutter aller Probleme“? Und sei es auch nur als ein Indikator der gesellschaftlichen Positionierung?

Octavian Ursu hatte sich wenige Tage vor Franziska Schubert bereits der Presse gestellt, auch wenn eine förmliche Nominierung des Kandidaten in der Partei noch Ende Oktober aussteht.
Dabei betonte er, den Wahlkampf auf drei wesentliche Felder auszurichten: Wirtschaft und Arbeitsplätze mit der Sicherung von Siemens und Bombardier, der Schaffung eines deutsch-polnischen Forschungsinstituts und Bildung eines quasi Hochtechnologieclusters, der den Klein- und Mittelstand einbindet und ermöglicht, dass Görlitz wie Dresden oder Leipzig aus sich alleine wächst. Zweite Säule sei der Bereich     Familie und gesellschaftlicher Zusammenhalt mit den Stichworten lebenswertes Görlitz, Kita, Schule, Sport, Kultur oder deutsch-polnische Zusammenarbeit. Die genannten Inhalte klingen damit nicht deutlich anders als bei Franziska Schubert – tragen aber im Grunde eine andere Überschrift, die eine konservative Grundhaltung verrät.

Ursus dritte Säule „Sicheres Görlitz“ zu den Stichworten Ordnung und Sauberkeit behagt der Konkurrenz weniger. Wieso wird mir nachgesagt rechtskonservativ zu sein, fragt Ursu. „Weil ich mich für die Videoüberwachung einsetze?“.
Der gesellschaftliche Kitt bindet nicht mehr richtig und die Signale der Union auf Landesebene kommen auch in der Provinz an. Die Aufgabenteilung scheint klar. Ursu darf mit der Sicherheit in Görlitz punkten, für den staatsmännischen Hintergrund sorgt Ministerpräsident Michael Kretschmer bei seinen fast verdächtig vielen Terminen in der Heimat Görlitz, die im Kern vor allem eine Schlacht mit der AfD um die bei der Bundestagswahl verlorene Oberlausitz sind. Letztlich soll Kretschmer bei der Landtagswahl wohl dieses Scharte auswetzen.

Dennoch muss man ganz genau hinhören, will man ergründen, wo die eigenen Tabus liegen. Gegenüber dem Niederschlesischen Kurier betont Octavian Urus mit „jedem“ zu reden. Er habe ja viele Jahre für einen Personalrat gearbeitet und wüsste, wie weit Meinungen auseinander liegen könnten, die man dennoch moderieren müsse. Doch wo liegt der Punkt, wo im Ringen mit der AfD die Stallorder aus Dresden greift? Ursu betont, für ihn sei alles eine Frage der Haltung.
Die gleiche Karte zieht auch Franziska Schubert bei ihrer Vorstellung mit den BfG, Parteifreund Prof. Schulze und Mike Altmann sowie Danilo Kuscher von der Initiative Motor Görlitz.

Sie möchte ein „bürgerschaftlich getragenes Bündnis versammeln“, beschreibt sich als offenen Teamplayer. Die Atmosphäre ist herzlich, man kann sich gut vorstellen, dass sie damit mobilisieren kann, „dass junge Menschen nach Görlitz kommen und sich wohlfühlen sollen“. Sie werde in die Stadtteile gehen, in die Wirtschaft und Bürgerbeteiligung leben. Die Devise sei eine „Politik des Ermöglichens“. Die Neugersdorferin hat in Osnabrück und Budapest Europäische Studien und Internationale Beziehungen studiert und war an der Universität Dresden tätig. Besonders als Finanz- und Demografieexpertin ist die bürgerliche Katholikin Inbegriff einer Realo-Grünen. Sie ist angenehm vorsichtig bei der Wortwahl und ringt sich dennoch durch zu konstatieren, dass die vielbeschworenen Worte von „Leuchttürmen“ gewissermaßen schon verbrannt seien. Es gehe ihr nicht darum, wogegen sie sei, sondern wofür – dies sei auch günstiger für den eigenen Energiehaushalt. Sie befinde sich mit Anstand und Respekt nicht auf einem Kampfzug. Vielmehr freue sie sich zum Luftballonaufpumpen in die Kitas oder zu Gesprächen in die Altenheime zu gehen.

Der „liberal-progressive“ Hintergrund spiegelt sich bereits in ihrer Auswahl wieder. In ihrem Selbstfindungsprozess habe die Initiative Motor Görlitz „nicht die Tendenz entwickelt selbst Wählervereinigung zu sein“, so Initiator Mike Altmann, der durch ein Gespräch im März mit Schubert diese quasi zwischen den Partnern als Kandidatin vermittelte. „Motor Görlitz ist gleichwohl kein Kandidatenrekrutierungsverein“, auch wen man die Rolle der Gruppe darin sehe, Bürgerengagement in die Politik zu tragen und hierbei auch offen sei – mit Ausnahme allerdings der AfD. Politik müsse enkeltauglich sein und man müsse „reinen Wein einschenken“.
Während Altmann sowie auch Dr. Wieler und Dr. Weidle für die Bürger für Görlitz die Fundamentalabgrenzung zur AfD betonen, ist Schubert auch hier vorsichtiger. Den Namen des politischen Schreckgespenst nennt die OB-Kandidatin, die sich eine beeindruckende 100%-ige Unterstützung von 64 BfG-Mitgliedern und von 13 anwesenden der 20 Grünenmitglieder abholen durfte, nicht. Im Ohr klingt weiter ihre Devise nach, sie wolle „Perspektive anderer wertschätzen“.

Die vielen anderen kommen durch die beiden aussichtsreichen Bewerber langsam im Zugzwang. Innerhalb der AfD kursierten zuletzt zwei Namen, einer dementierte gegenüber dem Niederschlesischen Kurier antreten zu wollen, der andere hielt sich im Hinblick auf den Respekt vor den parteiinternen Gremien zurück. Sicher darf sein, dass es einen Kandidaten geben wird, so dass ein vermutlichen 2. Wahlgang der OB-Wahl hochspannend werden dürfte.

Das Wort „spannend“, ist auch das einzige, was der Görlitzer SPD-Vorsitzenden Gerhild Kreutziger im Hinblick auf die interne Meinungsfindung zu entlocken ist. Ebenso bedeckt hält sich Mirko Schultze für die Linken. FDP-Vorsitzender Frank Wittig meint, angesprochen auf die offene Positionierung der Parteien und Gruppen: „Ich erinnere mich, dass bei der Zuwanderungsdebatte in unseren Reihen alles dabei war. Es gab Mitglieder, die sich als Helfer engagiert haben, andere wollten gegen die Zuwanderungspolitik protestieren.“ Die Frage der Haltung kann man eben ganz unterschiedlich beantworten. Das Lagerdenken hat gute Chancen, denn der Bekenntnisdruck ist gesellschaftlich und medial überallgroß.

Octavian Ursu widerspricht dabei dem Stempel, man müsse stets das eine als progressiv bezeichnen, das andere nicht. „Wenn der Ministerpräsident altmodisch das persönliche Gespräch sucht, dann finde ich das besser als manche ’moderne“ Kommunikation über soziale Netzwerke“.

Till Scholtz-Knobloch / 18.09.2018

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