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Mit vielen Klimmzügen raus aus der Krise

Mit vielen Klimmzügen raus aus der Krise

Gudrun Garbe achtet auf die richtige Anspannung bei Fitnessfreund René Schmidt. Rechts im Bild Michael Walter. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Zwei Jahre Corona haben Handel und Dienstleistungen völlig umgepflügt. Die Auswirkungen gehen weit über das hinaus, was sich in der Wirtschaft ohnehin schon lange anbahnte. Ein Gespräch im Fitnessstudio liefert Einblicke in Handlungsstrategien aus der Krise und Frustrationstoleranz.

Görlitz. „Zwei Jahre lange war ich quasi Angestellter des Staates. Das klassisches Unternehmertum war mir untersagt – es gab ja keinen Rahmen etwas zu ‚unternehmen‘“, beklagt Michael Walter, Chef des Fitnessclubs im Görlitzer Neiße-Park. Damit schlägt er einen Bogen weit über sein eigenes Unternehmertum im Dienstleistungssektor hinaus.

Die Ausgangslage kommt schleichend daher: Immer mehr kleine Einzelhändler in den Innenstädten geben auf und schließen ihr Geschäft. Es dominieren mehr und mehr Einzelhandelsketten, die überall die gleichen Waren verkaufen und oft auch nicht die Innenstädte, sondern Außenbezirke beleben. Für Dienstleistungsanbieter lohnen sich in den Innenstadtlagen hohe Mietpreise oft ohnehin nicht, zumal ihre Leistungen nicht mit einem Einkaufsflair einhergehen müssen. Als Brandbeschleuniger der Anonymisierung des Handels durch Internetkäufe und damit auch des Abbaus persönlicher Kundenkontakte und der Vielfalt erwies sich letztlich Corona. „Solche Zusammenhänge sind für jeden nachvollziehbar, aber auch bei uns im Dienstleistungssektor gibt es Entwicklungen, die sich erst auf dem zweiten Blick erschließen“, meint Michael Walter. Ob „R-Wert“ oder Inzidenz, die ständig neuen Kriterien unter Corona, ob und wie er überhaupt öffnen konnte, hätten dazu geführt, dass er sein Vertrauen in die Politik völlig verloren habe. „Da wissen viele gar nicht genau, was es bedeutet, wenn 25 Jahre Arbeit mit einem Federstrich zunichte gemacht werden“, meint er auch nach vielen Gesprächen mit Kollegen in seiner Branche. „Viele fragen sich weiterhin: Lohnt sich das, was ich mache überhaupt noch? Lohnt es sich überhaupt noch, zu investieren?“. Als Unternehmer suche man zwar ständig kreativ Lücken, aber die Unternehmermentalität als solche habe auf ganzer Breite erheblich gelitten, denn die Erfahrungen hätten gelehrt: „Ich muss warten was passiert.“ Mit der Flucht nach vorn hatte auch Walter nicht allein Konsolidierung gesucht, sondern staatliche Hilfen für Investition in die Erweiterung der Außenangebote genutzt.

„Das habe ich nur gemacht, weil ich da noch Vertrauen hatte“, fügt er an. Anschließend sei er ja mit der Komplettschließung böse ausgeknockt worden.

Das führte automatisch zum Ausscheiden von Mitarbeitern. Eine Kollegin habe als Krankenschwester angeheuert, „eine andere putzt nun OP-Bestecke“, sagt er. Doch der Rattenschwanz der Folgen sei länger. Sehe man von der schweren Findung neuer Mitarbeiter ab, müsse man jetzt ständig mit neuen Mitarbeitern über Dinge reden, die bislang immer klar waren. Auch diese Erfahrung würden ganz viele Kollegen teilen. Denn letztlich müsse man wie bei einer Firmengründung von neuem die Unternehmensphilosophie vermitteln.

Vulnerable Gruppen gezüchtet

Und auch viele alte Handlungsweisen der Kunden kämen nicht automatisch wieder. Die Komplettschließung für Fitnessstudios unter Corona sei mit gesundem Menschenverstand schon letztes Jahr nicht begreiflich gewesen. Dies nicht nur mit der grundsätzlichen Erkenntnis, dass Sport das Immunsystem stärkt. Das Publikum bei ihm sei verjüngt, das heiße aber umgekehrt, dass einige 70-jährige „zwangsstillgelegt“ worden seien. Fitness sei etwas stetiges, wenn man zwei Wochen aussetze, seien Erfolge schnell auch wieder passé. „Kraft und Motivation sind bei nicht wenigen auf diese Weise verloren gegangen. Wir haben nach meiner Beobachtung vielmehr neue vulnerable Gruppen herangezüchtet“, meint der Betreiber des Fitnessstudios, das besonders im Segment 50+ einen Altersschwerpunkt hatte. Sport lebe überdies auch von sozialen Faktoren. Wenn man die Leute daheim einsperre, „dann lösen sich auch die fest eingeprägten Zeiten auf, in denen man weiß, wen man trifft und mit wem man plaudern kann. Die soziale Komponente wurde so gleich mitzerstört, obwohl sie für die Motivation enorm wichtig ist“, sagt Michael Walter.

An den Geräten im erweiterten Freigelände versucht sich gerade Stammkunde René Schmidt und wird hellhörig, schließlich hat er sich in der Krise gänzlich neu aufstellen müssen. Er legt eine Pause ein und meint: „Angefangen bei Investitionen im Marketing, um ein Geschäft der Öffentlichkeit zu präsentieren, über immer weiter steigende Preise z.B. bei den Zahlungsmethoden – pro Bezahlung mit einer Kreditkarte zahlt der Einzelhändler oder Dienstleistungsanbieter bis zu 65 Cent –, bis zum Preiskampf mit dem Onlinehandel, bei dem der Kunde sich im Fachhandel beraten lässt und dann doch im Internet kauft“, reiche oft die Gemengelage, in der örtliche Anbieter in die Zange genommen würden.

Lokale Anbieter fördern

Und so ist die Geschäftsbeziehung Walter/Schmidt nicht einseitig geblieben. Der sportbegeisterte René Schmidt lässt ein Teil seines Geldes im Studio, Michael Walter hat sich hingegen einem Verfahren angeschlossen, das Schmidt vertritt und bei dem die Banken nicht mitverdienen. Die Grundidee der von ihm vertretenen App sei, dass angeschlossene Einzelhändler an Umsätzen ihrer Kunden bei Onlineeinkäufen mitverdienen könnten und der lokale Anbieter vorrangig angezeigt werde, der gleiche Produkte anbiete. Vom Googeln kennt man gemeinhin das genaue Gegenteil – der Große steht vorne.

Vertrauen in die Politik weg

Viele kleine Bausteine müssen für Michael Walter nun her, die klaffenden Lücken wenigstens zum Teil zu schließen. Am 30. Juni würden nun wieder staatliche Corona-Hilfen abgerechnet. Aber das Vertrauen ist auch hier weg. Auf die Frage, ob es damit wieder vorwärts gehen könne, meint Walter: „Ein Lübecker Kollege hatte letztes Jahr im Januar Hilfen beantragt und dann wurden im Juni die FAQ’s geändert. Auf einmal passten die angenommen Voraussetzungen für die Hilfen nicht mehr“. Neben der Ernüchterung würde der Staat damit Betroffenen zu allem Überfluss auch noch ihre wertvolle Zeit stehlen.

Er räumt ein: „Ich mache heute viel weniger Umsatz.“ Mehr als zuvor müsse man nun an seinem Wohnort zusammenhalten. Denn Walter ist zugleich ein bewusster Anhänger einer lokalen Wertschöpfung, bei der Kunden mit ihrem Konsumverhalten beitragen, nicht den Ast abzusägen, auf dem man (noch) sitzt. „Ich bin noch bewusster dabei geworden, den örtlichen Einzelhandel zu unterstützen, kaufe bei uns in der Stadt ein und suche auch keine Alternativen hinter der Grenze.“ Gar nicht verstehen könne er, wenn man dann auch noch Urlaubsreisen zu Einkäufen nutze. Hierbei käme dann sogar hinzu, dass man die schon quer durch die Welt geschickten Waren, die sich meist international gar nicht mehr unterscheiden würden, noch ein weiteres Mal auf Reisen schicke.

Till Scholtz-Knobloch / 15.05.2022

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