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Ohne Strukturhilfe kein Kohleausstieg

Ohne Strukturhilfe kein Kohleausstieg

Der Revierbeauftragte der Sächsischen Staatsregierung, Dr. Stephan Rohde, hat die künftige Entwicklung in der Lausitz fest im Blick. Foto: Sächsische Staatskanzlei

Im Wahlkampf hat das politische Dresden gebetsmühlenartig beteuert, dass die Lausitz auch nach dem Ausstieg aus der Braunkohleverstromung eine Perspektive haben wird. Nun ist die Landtagswahl Geschichte und die künftige Regierung muss Worten Taten folgen lassen. Welche zu erwarten sind, darüber hat sich der Niederschlesische Kurier mit dem Revierbeauftragten der Sächsischen Staatskanzlei, Dr. Stephan Rohde, unterhalten.

In den Strukturwandel in der Oberlausitz soll in den kommenden Jahren viel Geld fließen. Über welche Summe reden wir aktuell?

Stephan Rohde: Die Bundesregierung hat vor wenigen Tagen den Gesetzentwurf für den Strukturwandel in den Braunkohleregionen vorgelegt. Wie von der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ vorgeschlagen, sollen für die nächsten 20 Jahre insgesamt 40 Milliarden Euro für diese Aufgabe zur Verfügung stehen. Fast die Hälfte der Mittel – 43 Prozent – sind für die Lausitz vorgesehen, das entspricht rund 17 Milliarden Euro, davon 60 Prozent oder 10,32 Milliarden Euro für den Brandenburger Teil der Lausitz und 40 Prozent oder 6,88 Milliarden Euro für den sächsischen Teil. Mit diesen finanziellen Zusagen ist die wichtigste Grundlage geschaffen, um in der Lausitz zügig mit dem Aufbau einer neuen Infrastruktur, der Ansiedlung von Forschungseinrichtungen und der Schaffung neuer Arbeitsplätze zu beginnen. Allerdings müssen die Details der Förderung mit dem Bund noch geklärt werden, um den zielgerichteten Mitteleinsatz im Sinne einer positiven Wirtschaftsentwicklung zu ermöglichen.

Ist in dem Punkt schon das letzte Wort gesprochen oder sind noch finanzielle Nachbesserungen zu erwarten?

Stephan Rohde: Die Bundesregierung hat sich damit bereiterklärt, einen wichtigen Teil der Kommissions-Empfehlungen 1: 1 umzusetzen. Jetzt kommt es darauf an, dass die Zusage auch im Bundestag und Bundesrat Bestand hat. Ministerpräsident Michael Kretschmer hat immer wieder deutlich gemacht, dass wir zügig mit der Strukturentwicklung beginnen wollen. Erst muss der Einstieg in neue Arbeitsplätze gelingen, dann kann der Ausstieg aus der Braunkohle kommen.

Wichtig ist uns deshalb auch eine gute Wirtschaftsförderung. Hier erwarten wir von der Bundesregierung noch mehr Unterstützung, zum Beispiel Sonderabschreibungsmöglichkeiten für Unternehmensinvestitionen oder höhere Fördersätze im Rahmen der EU-Beihilfe. Wichtig ist uns darüber hinaus die Absicherung der Finanzmittel in einem Staatsvertrag, damit auch spätere Bundesregierungen sich daran halten müssen. Zudem sollten weitere Projekte in den Genuss einer Planungsbeschleunigung kommen, um die Lausitz wirklich zu einer Modellregion für den Strukturwandel machen zu können.

Wofür werden die Millionen ausgegeben?

Stephan Rohde: Wir brauchen jetzt rasches und sichtbares Handeln der Bundesregierung bei der Umsetzung des Gesetzentwurfes, damit das Geld endlich fließen kann. Sobald das Gesetz beschlossen ist – hoffentlich bis Ende des Jahres – kennen wir die Rahmenbedingungen und können mit der Auswahl konkreter Projekte beginnen. Dabei setzen wir sehr stark auf die guten Ideen und die aktive Mitwirkung der Lausitz und der Menschen vor Ort.

Welche Hilfsprojekte im Lausitzer Revier liegen der Staatsregierung besonders am Herzen und warum?

Stephan Rohde: Für das Lausitzer Revier haben wir insgesamt sieben herausragende Projekte identifiziert. Dazu gehören neben der ICE-Verbindung nach Berlin die Elektrifizierung der Strecken von Dresden nach Görlitz und weiter nach Zittau, der sechsstreifige Ausbau der A 4 von Dresden bis zur Grenze, eine leistungsfähige Straßenverbindung vom mitteldeutschen Revier in die Lausitz – die sogenannte Milau – und von der A 4 zur A 13 sowie Forschungseinrichtungen wie beispielsweise das deutsch-polnische Institut für Systemforschung Casus in Görlitz.

Wann werden voraussichtlich die ersten Tranchen der Strukturwandel-Millionen in die Region fließen?

Stephan Rohde: Wir rechnen damit, dass nach einer zügigen Verabschiedung des Gesetzes und der entsprechenden Förderrichtlinien in 2020 für erste Projekte Anträge bearbeitet werden können. Aber schon jetzt sind wichtige Innovationen auf den Weg gebracht, wie zum Beispiel das 5G-Forschungsfeld der TU Dresden in der Lausitz.

Nicht nur die Braunkohleindustrie ist vom Wandel der Zeit betroffen, sondern auch die Zulieferer der Autohersteller, von denen es in der Oberlausitz ebenfalls so einige gibt. Welcher Umbruch steht diesem Wirtschaftszweig ins Haus und wie unterstützt der Freistaat in dem Punkt?

Stephan Rohde: Studien im Auftrag des Staatsministeriums für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr haben ergeben, dass bei der Umstellung auf Elektromobilität über 250 Fahrzeug-Komponenten entfallen, verändert werden oder neu hinzukommen. Das stellt besonders die Zulieferindustrie vor große Herausforderungen. Unter Berücksichtigung aller Aspekte ergibt sich für ein Szenario von 40 Prozent an E-Fahrzeugen im Jahr 2030 ein Beschäftigungsrückgang von maximal zwei Prozent. Diese gute Nachricht darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dieser Strukturwandel mit massiven brancheninternen Umwälzungen verbunden sein wird.
Der Antriebsbereich verliert 20 Prozent seiner Beschäftigung, der Elektronik-Bereich wächst um 17 Prozent. Der Freistaat unterstützt mit der Kompetenzstelle Effiziente Mobilität Sachsen bei der SAENA die Vernetzung der Akteure auch mit der traditionellen Automobilzulieferindustrie und zeigt Perspektiven für zukünftige Wertschöpfung auf.

Welche wirtschaftliche Entwicklung in der Oberlausitz ist in welchem Zeitraum zu erwarten und was bedeutet das für die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen in der Region?

Stephan Rohde: Wir haben zwanzig Jahre und können eine Menge Geld in die Hand nehmen, um für die Lausitz eine gute Zukunft zu gestalten. Die Strukturentwicklung sollten wir als einmalige Chance begreifen. Als Chance, in der Lausitz eine neue Verkehrsinfrastruktur zu schaffen, den Breitbandausbau zu beschleunigen, innovative Technologien wie 5G und Wasserstoffnutzung einzuführen sowie in neue Forschungseinrichtungen und Behördenstandorte zu investieren. Damit wird die Lausitz als eine Art Wirtschaftsmodellregion attraktiv für bestehende und neue Unternehmen, die hochwertige Industriearbeitsplätze schaffen. Damit bieten sich auch für die Mitarbeiter und Kumpel der Kraftwerke sowie Tagebaue gute Perspektiven nach dem Ende des Betriebs, die um soziale Absicherungen ergänzt werden sollen.

Kurz zusammengefasst: Mit welchen Instrumenten wird das Land der sich abzeichnenden Strukturveränderung entgegenwirken?

Stephan Rohde: Mit den genannten Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung, Behördenansiedlungen aber auch einem breiten Angebot an Fördermöglichkeiten, die Innovationen in die Region bringen und damit zukunftsfähige Arbeitsplätze. Wichtig ist, dass wir zügig beginnen, gemeinsam mit den Unternehmen, den Kommunen und den Menschen in der Lausitz.

Angenommen der Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Strukturwandel scheitert im Bundestag und Bundesrat. Welchen Plan B gibt es für den Fall?

Stephan Rohde: Sollte das Strukturstärkungsgesetz abgelehnt werden, wird es im Sinne einer 1:1-Umsetzung des Berichts der Kommission „Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung“ (KWSB) höchstwahrscheinlich auch keinen gesetzlich fixierten Kohleausstieg geben. Das ist nämlich die Verhandlungsgrundlage: Ohne Strukturentwicklung kein Kohleausstieg.

Redaktion / 29.09.2019

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