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„Politisch ist das nicht hinnehmbar“

„Politisch ist das nicht hinnehmbar“

Bundespolizisten sind in diesen Tagen auch verstärkt auf Lausitzer Bahnhöfen im Einsatz, um illegal eingereiste Flüchtlinge aufzugreifen. Foto: Matthias Wehnert

Auch in den Landkreisen Görlitz und Bautzen werden derzeit verstärkt Flüchtlinge aus Afghanistan, Syrien, dem Irak aber auch aus dem Jemen und anderen Staaten von der Polizei aufgegriffen. Allein vom 1. bis 13. Oktober hatten sich mehr als 600 Menschen von Schleusern über die Grenze bringen lassen. Dafür zahlten sie mitunter fünfstellige Dollar-Beträge. Der Oberlausitzer Kurier unterhielt sich mit Astrid Riechmann vom Verein „Willkommen in Bautzen“ über die Situation.

Frau Riechmann, schon während des Flüchtlingsstromes in den Jahren 2014 bis 2016 hat sich ihr Verein in der Spreestadt dafür engagiert, dass die geflohenen Menschen so etwas wie ein neues Zuhause hierzulande erhalten. Auch jetzt verfolgen Sie und ihre Mitstreiter sicherlich aufmerksam die Geschehnisse. Was ist hier im Gange? 

Astrid Riechmann: Die Entscheidung des weißrussischen Präsidenten Lukaschenko, Migranten über Polen und Litauen in die EU zu schleusen, um die Staatengemeinschaft zu erpressen, damit sie ihre Sanktionen gegen sein Land zurücknimmt, wird von uns aufs Schärfste verurteilt und ist politisch nicht hinnehmbar. Menschen werden als Spielball für politische Zwecke benutzt, was strikt zu verurteilen ist. Die in Bautzen ausgesetzten Menschen wurden von der einheimischen Bevölkerung mit Nahrung versorgt, bevor die Polizei die Personalien und Asylanträge aufnahm und die Menschen in die Erstaufnahmeeinrichtungen verteilte.

Womit ist nach Ihrer Ansicht in den kommenden Wochen und Monaten zu rechnen? 

Astrid Riechmann: Wenn die EU nicht reagiert, werden weitere Asylbewerber ankommen und aufgrund der Witterung auch schnell in Erstaufnahmeeinrichtungen über die ganze Bundesrepublik verteilt werden müssen. Die EU muss zeitnah mit Lukaschenko in knallharte Verhandlungen treten und Kompromisslösungen aushandeln.

Was passiert mit den Menschen, die nach Deutschland gebracht werden? 

Astrid Riechmann: Wir gehen davon aus, dass sie als Asylbewerber aufgenommen werden und ein normales Asylantragsverfahren durchlaufen. Also dass ihre Personalien aufgenommen, ein Asylantrag beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gestellt und sie in einer der sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Erst danach wird über Asyl entschieden.

Wie sollen die Flüchtlinge auch vor dem Hintergrund des zunehmenden Fachkräftemangels künftig in den Arbeitsmarkt und das soziale Umfeld integriert werden? 

Astrid Riechmann: Sie müssen zunächst zeitnah guten Deutschunterricht erhalten, damit sie in die Lage versetzt werden, sich an das jeweilige Niveau anzupassen. Wenn über den Asylantrag entschieden worden ist, sollten sie Integrationskurse wahrnehmen dürfen. Danach sollten ihnen passende Berufsfelder vorgestellt und nach Möglichkeit eine Aus- beziehungsweise Weiterbildung ermöglicht werden.

Welche Ressourcen stehen dafür bereit? 

Astrid Riechmann: Die Ressourcen für Integrationsange-bote – auch für die dringlichsten, wie grundlegende Sprachkenntnisse – sind zu gering. Nach unserer Erfahrung wäre die notwendige Ausweitung zum Teil auch im Ehrenamt möglich, wenn eine entsprechende Organisation und Unterstützung vorhanden wäre – wie sie beispielsweise unser Verein leisten könnte. Zudem müssen BAMF-Deutschkurse qualitativ besser kontrolliert und abgesichert werden. Es sollten gezielt Patenförderungsprogramme in bestimmten Berufszweigen aufgelegt werden. Durch die demografische Entwicklung stehen zur Zeit auch viele qualifizierte Rentner zur Verfügung, die sich für Azubis und bei schulischen Belangen einbringen und engagieren möchten.

Wie wichtig sind die aus ihrer Heimat geflüchteten Menschen für ein Land wie die Bundesrepublik? 

Astrid Riechmann: Zunächst ist die Bundesrepublik gegenüber den geflüchteten Menschen in der Pflicht, die internationalen beziehungsweise menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erfüllen. Insofern geht es nicht um „Nützlichkeit“. Abgesehen von den Schwierigkeiten und Kosten der Aufgabe, sind wir aber gut beraten zu versuchen, unseren bestehenden Fachkräfteproblemen auch in ländlichen Räumen entgegenzuwirken.

Roland Kaiser / 16.10.2021

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