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Eine Tanzlinde für Nebelschütz

Eine Tanzlinde für Nebelschütz

Ein klassischer Vertreter der Gattung „Tanzlinde“ steht im südthüringischen Effelder. Foto: Wikipedia/Störfix

 

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Im Zentrum von Nebelschütz ist noch Platz für eine Tanzlinde – das Wendentor und die anderen Gestaltungselemente warten schon.

Im deutsch-sorbischen „Himmelsort“ vor den Toren von Kamenz sollen künftige Generationen beim Tanzen den Sternen näher kommen, als das bisher möglich war.

Nebelschütz. Tanzen in der Krone eines Baumes – das ist eine Vorstellung, die auf uns Heutige romantisch und anheimelnd, aber auch irgendwie verschroben und weltfremd wirkt. Dabei war das in früheren Zeiten in einigen ländlichen Regionen Deutschlands (und Europas) durchaus üblich. Freilich hangelten sich die Tanzenden nicht mit ihren Füßen an den Ästen entlang und hielten sich mit den Händen an dürren Zweigen fest. Vielmehr errichteten manche Dorfgemeinschaften kunstvoll gearbeitete Podeste um die Bäume (speziell um Linden) herum, die von außen so wirkten, als würde der Baum sie tragen. Sie bauten ihrer Dorflinde quasi einen Balkon oder eine Terrasse an, deren metallene oder steinerne Stützpfeiler im Blätterdickicht verborgen blieben. In der Oberlausitz ist die Tradition der so genannten „Tanzlinden“ kaum verbreitet. Viel eher findet man Exemplare dieser speziellen Baum“gattung“ in Oberfranken und Südthüringen, aber auch im nördlichen Baden-Württemberg. Und bald auch – wenn das entsprechende Konzept Wirklichkeit wird – in Nebelschütz. 

Wo auch sonst, wenn nicht in Nebelschütz, auf sorbisch „Himmelsort“ ? War doch die Gemeinde vor den Toren von Kamenz in den letzten Jahrzehnten stets Vorreiter, wenn es um innovative Ideen für die Dorfentwicklung ging. Dies blieb keineswegs unbeachtet, heimste doch Nebelschütz unter anderem 2008 den Europäischen Dorferneuerungspreis und erst 2017 die Auszeichnung „Kerniges Dorf“ ein. „Bei allem, was wir machen, steht das Konzept der Enkeltauglichkeit im Vordergrund“, erklärt Bürgermeister Thomas Zschornak (CDU). 
Das bedeutet: Über den eigenen Lebenshorizont hinausblicken, dafür sorgen, dass auch künftige Generationen noch ein lebenswertes Dorf, ein lebenswertes Umfeld vorfinden. Und wohl kaum eine andere Idee könnte so sinnbildlich für diese Maxime stehen wie die Tanzlinde. Denn: Diejenigen, welche sie pflanzen, werden zu ihren Lebzeiten nicht in der Krone tanzen können, zumindest nicht die Erwachsenen unter ihnen. „Das Podest steht zunächst ebenerdig neben der Linde“, schreibt Thomas Zschornak in dem Konzept, das die Gemeinde Nebelschütz für den Wettbewerb simul+ des Umwelt- und Landwirtschaftsministeriums eingereicht hat. 
Erst im Laufe der Jahrzehnte erreicht die Linde die Ausmaße, welche erforderlich sind, um ein Tanzpodest unter ihr Kronendach zu zimmern. Deutschlands berühmteste Tanzlinde im oberfränkischen Limmersdorf ist etwa 350 Jahre alt, das Podest wurde 1729, also etwa 60 Jahre nach der Pflanzung, in seiner heutigen Form erbaut (Quelle: Wikipedia).

Feiern kann man an – später auch unter – der Linde natürlich schon vom Zeitpunkt ihrer Pflanzung an. „Die Tanzlinde dient als zentrale Begegnungsstätte für die Dorfgemeinschaft, und zur jährlichen Lindenkirchweih kommen Besucher aus dem näheren und weiteren Umkreis“, heißt es in einer Abhandlung des Kulturhistorikers Andreas Zehnsdorf, aus der Thomas Zschornak in der Konzeptschrift zitiert. Für den Nebelschützer Bürgermeister bildet die Pflanzung der Tanzlinde eine Ergänzung der bisherigen Maßnahmen zur Stärkung der Dorfgemeinschaft: „Es bedarf eines zentralen Ortes im öffentlichen Raum zur Vertiefung des gemeinschaftlichen Zusammenhalts, der als attraktiver Begegnungsort inklusiv angelegt und damit für die gesamte Bewohnerschaft zugänglich ist“, erklärt er. Bisherige Angebote, wie Sportplatz, Jugendclub oder Dorfladen, würden überwiegend nur einen Teil der Bevölkerung erreichen. Weiterhin gelte es, „mangelnden Kompetenzen und Möglichkeiten zum Umgang mit kulturellem Anderssein“ zu begegnen und die Wertschätzung des gemeinsamen deutsch-sorbischen Kulturerbes zu erhöhen. Alles wohl klingende Ziele, doch letztendlich ist die Tanzlinde ein Ort, den wohl jeder Bewohner von Nebelschütz und der umliegenden Orte zumindest einmal im Jahr aufsuchen wird – entsprechende Angebote vorausgesetzt. Und der auch Besucher aus der erweiterten Region anziehen soll.
Doch welche Schritte sind nun konkret geplant? Am Anfang stehen natürlich der Kauf und die Pflanzung eines geeigneten Lindenbaums. Die Errichtung und künstlerische Gestaltung des (zunächst ebenerdigen) Podests und des Tragewerks soll auf dem Gelände des Steinbruchs „Krabatstein“ erfolgen, der sich bereits zu einem weit über Nebelschütz hinaus ausstrahlenden soziokulturellen Zentrum entwickelt hat. Deutsche, sorbische und tschechische Künstler sollen einbezogen werden. Mit einem Festakt erfolgt schließlich die Einweihung des Tanzlinden-Ensembles im Ortskern von Nebelschütz. Letztlich will sich die Gemeinde damit kein Alleinstellungsmerkmal schaffen, sondern im Gegenteil: „Die geplante Tanzlinde von Nebelschütz besitzt auch Modellcharakter, der eine Nachahmung in weiteren Orten der Lausitz bzw. im Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien erwarten lässt“, wie Thomas Zschornak betont. Die Gesamtkosten bis hin zur Einweihung werden auf circa 150 000 Euro geschätzt. Allein 30 000 Euro davon entfallen auf einen „Dorffunk“, der alle Einwohner fortlaufend über den Fortschritt und über Veranstaltungen informieren soll.

Uwe Menschner / 23.12.2018

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