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Stress macht schon Kinder psychisch krank

Stress macht schon Kinder psychisch krank

Musiktherapie hilft bei der Behandlung psychosomatischer Erkrankungen bei Kindern. Deren Fälle nehmen in jüngster Zeit zu. Die Gründe dafür können in unserer hektischen Gesellschaft vielfältig sein. | Foto: Paul Glaser

Der Behandlungsbedarf von Kindern mit psychosomatischen Erkrankungen ist groß. Immer mehr Kinder kommen mit dem wachsenden Druck in der Schule, im Umfeld oder im Elternhaus nicht mehr zurecht. Im Interview spricht Katrin Laban, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, über ihre Erfahrungen mit den jungen Patienten und deren seelischen Erkrankungen.

Frau Laban, was haben die Kinder, die in der Kinderpsychosomatik behandelt werden, für Probleme?

Katrin Laban: Oft kommen so genannte Kopf- und Bauchschmerzkinder zu uns. Ihnen tut über längere Zeit immer wieder der Kopf oder der Bauch weh, aber es kann keine organische Ursache gefunden werden.

Also simulieren sie?

Laban: Nein. Bei Kindern und Erwachsenen gehören Körper und Seele ganz eng zusammen. Seelische Belastungen können sich in Form körperlicher Beschwerden äußern. Das ist keine Simulation, sondern es sind tatsächlich empfundene Beschwerden.

Was kann denn für ein Kind so belastend sein?

Laban: Es gibt viele Gründe. Zum Beispiel Mobbing auf dem Schulhof, Leistungsdruck bzw. Erwartungsdruck durch Eltern oder Lehrer, die Trennung der Eltern, der Tod eines lieben Verwandten, aber auch miterlebte Sorgen der Eltern. Die Kinder in der heutigen Zeit müssen viel aushalten, nicht alle bewältigen das leicht.
Und bekommen Schmerzen. Oder Depressionen oder sie nässen wieder ein. Andere haben Essstörungen, Ticks, sind verhaltensauffällig, leiden unter Zwängen oder Anpassungsstörungen.

Dabei sollte die Kindheit eine der unbeschwertesten Zeiten sein.

Laban: Richtig. Unsere Gesellschaft suggeriert das auch, denn es scheint ja, als hätten wir so viele Freiheiten und Freiraum wie nie. Andererseits ist unser Umfeld viel komplizierter geworden. Die Schulsituation ist nicht mehr so entspannt wie früher. Der Druck unter Gleichaltrigen hat zugenommen und auch den Stress der Eltern erleben die Kinder oft ungefiltert mit.

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Katrin Laban. | Foto: Klinikum Goerlitz

Also war früher alles einfacher?

Laban: Kinderpsychosomatische Erkrankungen haben tatsächlich zugenommen. So, wie psychische Erkrankungen generell. Das ist ein Ergebnis unseres Lebensstils. Niemand hat mehr Zeit, alle haben Angst etwas zu verpassen. Tablets, Smartphones, Facebook – die neue, schnelle Kommunikation und ihre technischen Möglichkeiten erzeugen zusätzlichen Druck. Familiensysteme sind nicht mehr so stabil. Es gibt jede Menge Gründe.

Dann geraten die Kinder unter Druck und finden ein Ventil in psychischen Störungen?

Laban: Das läuft unbewusst. Unsere Aufgabe in der Kinderpsychosomatik ist es, herauszufinden, was genau im Zusammenspiel von biologischen, psychologischen und sozialen Faktoren der Grund für die Störung des Kindes ist. Dann können wir dort ansetzen und behandeln.

Sie bieten stationäre und tagesklinische Therapieplätze an. Wie läuft so eine Behandlung ab?

Laban: Zuerst wird eine umfassende Diagnostik durchgeführt. Auch wir klären vor Ort noch einmal ab, ob es organische Ursachen für die Beschwerden gibt. Da wir im Klinikum alle Fachrichtungen vor Ort haben, können wir diese interdisziplinäre Leistung in der Kinderklinik erbringen. Nebenher erfolgt eine psychiatrisch-psychologische Diagnostik. Danach erstellen wir einen speziellen Therapieplan für das Kind.

Welche Therapien gibt es?

Laban: In erster Linie führen wir viele Gespräche mit den Kindern und ihren Eltern oder nähern uns im Spiel ihren Problemen. Darüber hinaus erhalten sie Musik-, Kunst-, Ergo- und Bewegungstherapien. Es gibt gemeinsame Aktivitäten in der Gruppe und natürlich auch den schulischen Unterricht, denn die Kinder bleiben in der Regel circa acht Wochen bei uns.

Wie alt sind die Patienten?

Laban: Zwischen sechs und 18 Jahren.

Kommen sie aus schwierigen Elternhäusern?

Laban: Das ist unabhängig von Elternhaus oder sozialer Situation. Kinder können erkranken, auch wenn zu Hause alles in Ordnung ist. Zum Beispiel weil sie in der Schule gemobbt werden. Andere Sorgen haben Kinder, wenn die Eltern sich streiten oder sie eine schlimme Trennung miterleben müssen. Es können Kinder aus allen möglichen Familienverhältnissen betroffen sein.

Welche Rolle spielen die Eltern in der Therapie?

Laban: Eine große. Eltern gestalten das Lebensumfeld der Kinder, geben Schutz und sind Entwicklungsvorbild. Sie leben Beziehungen und Konfliktlösungsstrategien vor und erziehen. Nur mit ihnen zusammen können ungünstige Lebensbedingungen verändert oder Beziehungen anders gestaltet werden.
Sollten die Probleme hauptsächlich in der Familie liegen, bieten wir auch Familientherapie an. Manchmal benötigen Kinder und Eltern etwas Abstand voneinander, um sich miteinander auseinandersetzen zu können. Dann macht eine stationäre Aufnahme des Kindes Sinn.

Wann sollten Kinder denn überhaupt eine kinderpsychosomatische Behandlung bekommen?

Laban: Wenn die Beschwerden des Kindes keinen normalen Alltag mehr zulassen. Wenn die Eltern das Kind zum Beispiel morgens nicht mehr aus dem Bett bekommen, oder wenn das Kind nichts mehr isst, nicht mehr spricht, sich zurückzieht, oder sich zu Hause alles nur noch um die Schmerzen dreht. Der erste Ansprechpartner ist hier unbedingt der niedergelassene Kinderarzt.

Was ist das Behandlungsziel?

Laban: Kinder sollten so unbeschwert wie möglich leben dürfen, sich altersgerecht entwickeln und gesunde, starke Erwachsene werden. Ziel ist nicht, sie vor allen Problemen zu bewahren. Aber sie sollten einen vernünftigen Umgang mit Schwierigkeiten im Leben lernen, also Bewältigungs- und Konfliktlösungsstrategien, und sie sollten vor nicht altersgerechter Verantwortungsübernahme durch uns Erwachsene geschützt werden.

Redaktion / 20.11.2016

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