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Stromlos wird die Orgel wiedereröffnet

Stromlos wird die Orgel wiedereröffnet

Reinhard Schäbitz testet den Klang der einzelnen Pfeifen der Buckow-Orgel in der Kirche von Nieder-Seifersdorf. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Die Kirche in Nieder-Seifersdorf Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die restaurierte Buckow-Orgel der Wehrkirche von Nieder Siefersdorf wird am 24. Juni bei einem Konzert erstmals für die Öffentlichkeit erklingen. Die Orgelbaumeister werden ihre Arbeit bei einer Führung vorstellen. Der Niederschlesische Kurier hat sich zuvor bereits bei den Arbeiten an der Orgel umgesehen.

Nieder Seifersdorf. Reinhard Schäbitz sitzt an der Orgel der Wehrkirche von Nieder Seifersdorf und spielt immer wieder die Manuale herauf und herunter. Hin und wieder verharrt er bei der ein oder anderen Pfeife, spielt diese kurz an oder lauscht dem Klang über mehrere Sekunden. Chef Ekkehard Groß, Orgelbauer aus Waditz in der Gemeinde Kubschütz, klettert derweil durch den Orgelkasten, um auf Zuruf des Kollegen noch einmal die ein oder andere Pfeife zum Nachstimmen zu entnehmen. Dabei kennt Reinhard Schäbitz seine „Wackelkandidaten“ mittlerweile aus dem FF – es ist quasi die letzte Feinjustierung, nachdem die Orgel zerlegt, gereinigt, ausgebessert und völlig neu zusammengefügt wurde.

Schnell wird klar, dass jeder Orgelbauer im Grunde nicht nur ein hervorragender Orgelspieler mit perfektem Gehör und Erinnerungsvermögen angesichts der Fülle der Pfeifen sein muss, sondern quasi auch Historiker. Reinhard Schäbitz: „Durch die Restaurierung der Buckow-Orgel in Sohland am Rotstein gab es viele Hinweise durch einen ähnlichen Aufbau. Bei Nachforschungen wurde uns überhaupt erst klar, dass die Nieder Seifersdorfer Orgel auch von Buckow stammt“. Hier habe sich der Erhaltungszustand dann als wesentlich besser erwiesen.

„In Sohland hatte ich ein Déjà-vu, was die Art der Mechanik betraf. Der Aufbau war mir bekannt aus dem Orgelbau in Danzig und Königsberg. Das andere sind die Register und da hat er sich die schlesische Bauart zu Eigen gemacht.

Viele Pfeifen, eine ganz spezielle Anhäufung, das ist typisch für Schlesien“, stellt der Orgelbauer klar. Carl Friedrich Ferdinand Buckow aus Hirschberg im Riesengebirge (Jelenia Gora) steht damit sowohl für die Fortsetzung einer langen schlesischen Tradition im 19. Jahrhundert, also auch für neue Einflüsse aus anderen Regionen.

Nachdem die 1607 angeschaffte erste Orgel in die Jahre gekommen war, entschied sich die Kirchengemeinde für den Neubau. Die Orgelweihe fand am 26. September 1841 mit einem Festgottesdienst in Anwesenheit des Erbauers statt.

Buckow-Orgeln stellen in Sachsen insofern eine Besonderheit dar, da sie hier weitgehend unbekannt sind. Buckow stammte aus Danzig und brachte damit auch viele bauliche Besonderheiten seiner west- und ostpreußischen Heimat in die speziellen schlesischen Traditionen ein. „Er hat in Schlesien gebaut hat aber dann, was für die damalige Zeit etwas besonderes ist, das preußischen Staatsgebiet auch für seine Arbeit verlassen – wobei Nieder Seifersdorf ja noch Schlesien ist“, stellt der Orgelerbauer fest.

Nach dem ersten Engagement war der 1801 geborene Orgelbauer Buckow in Stettin tätig. Es folgten Studienreisen nach Frankreich und England. 1827 trat er in die Werkstatt von Johann Joseph Schinke in Hirschberg ein. Dort arbeitete er auch am Neubau der Sonnenorgel von St. Peter und Paul in Görlitz mit. 1829 verließ er Schinkes Werkstatt und eröffnete im selben Jahr ein eigenes Geschäft in Hirschberg. Sein Werksverzeichnis umfasst 54 Instrumente, von denen noch drei, je eines in Wien, in der zwischen der Slowakei und Ungarn geteilten Stadt Komarn (Komárno/Komárom) und in Nieder Seifersdorf erhalten sind. Den Höhepunkt seines Schaffens krönten zwei Orgeln in Wien, die 1858 für die Piaristenkirche Maria Treu errichtete Orgel und die neue Orgel für die kaiserliche Hofkapelle, 1861 erbaut, an der Anton Bruckner im gleichen Jahr seine Orgelprüfung ablegte. Überhaupt brachten die Wiener Orgeln Buckow höchstes Lob ein, so zum Beispiel von Franz Liszt. Buckow starb am 1864 während des Baus der Orgel in Komarn. Die Hofburgorgel gibt es nicht mehr, Teile von ihr sind jedoch im Musikinstrumentenmuseum erhalten.

Buckow hinterließ einen ganz eigenen Orgeltyp im Übergang vom Spätbarock zur Romantik. In technischer Hinsicht verwendete er die mechanische Traktur und die klassische mechanische Schleiflade. Er wollte, wie er schrieb, „mit wenig Stimmen einen großen Orgelton, imponierend durch reine Bässe und intensive Kraft erreichen“.

„Wir müssen auf jeden Fall auf Spurensuche gehen, wenn die Instrumente nicht mehr vollständig erhalten sind“, betont Reinhard Schäbitz und fährt fort: „Am Augenfälligsten wird das für den Betrachter schon beim Anblick der Orgel. Wir haben ja vor ziemlich genau 100 Jahren den Fall gehabt, dass sämtliche Prospektpfeifen, also die Pfeifen, die man in der Ansicht hat, also die im Gehäuse sichtbar stehen, zu Kriegszwecken abgegeben werden mussten im Ersten Weltkrieg. Die meisten Instrumente haben Ersatzpfeifen bekommen aus Zink, nicht aus einer hochwertigen Zink-Blei-Legierung“.

Bei seiner Arbeit ist Buckow sehr präzise vorgegangen. „Er hat jede Pfeife mehrfach beschriftet. So war beim Neuzusammenbau leicht zu erkennen, was wohin gehört“, ist Schäbitz erleichtert.

Die immense Arbeit gibt natürlich nicht nur der Kirchengemeide einfach ihr Instrument zurück, sondern stellt natürlich auch die Bewahrung eines kulturgeschichtlichen Erbes dar. „Im Moment staune ich noch, dass bei uns in Deutschland die Gelder für Orgelrestaurierungen fließen. Ich habe es eher erwartet, dass es zu Neige geht – wie lange das anhält wissen wir nicht. Der Wandel in der Kirche ist zu spüren“, sagt Ekkehard Groß, den die Arbeit oft auch ins Ausland führt. „Wir waren in polnischen Teil Ostpreußens unterwegs, dort war der Umgang mit dem Kulturgut der historischen Instrumente überhaupt nicht vorhanden. Langsam tut sich etwas, häufig durch junge Leute, die im Ausland im Musikstudium oder im Orgelbau andere Maßstäbe kennengelernt haben. In Polen gibt es sehr viele junge Organisten, die sehr gut sind und wissen, was bei uns an Orgelinstrumenten vorhanden ist und kommen zu uns. Sie werden meistens unzufrieden, wenn sie dann in die Heimat zurückkehren, sie wollen aber diese Qualität bei sich haben.“ Richtig weh habe ihm jedoch eine Reise in die Karpato-Ukraine getan, die einst zu Österreich-Ungarn gehörte. „Der dortige Pfarrer verdient 90 Euro im Monat und es wird schnell klar, dass man dort gar nicht zum Geldverdienen kommen kann. Aber durch die Mentalität war es nicht einmal möglich, Hilfe zu geben, wie man zunächst Förderanträge aus europäischen Töpfen stellt. Dann klingt eine Orgel eben völlig schräg, bis sie eines Tages gar nicht mehr funktioniert“, sagt Groß resigniert.

Die gerettete Orgel in Nieder Seifersdorf wird am 24. Juni mit einem ersten Konzert wiedereingeweiht. Nach dem Festgottesdienst um 8.45 Uhr und einem anschließenden Frühschoppen in der Alten Pfarre werden Ekkehard Groß und seine Mitarbeiter eine Führung an die Orgel machen. Um 12.00 Uhr erkling „Orgelmusik auf der Höhe des Tages“. Nach einer Laudatio um 19.00 Uhr gibt es um 19.30 Uhr ein Konzert mit Prof. Martin Strohhäcker aus Dresden an der Orgel. Die Blasebälge treten dabei Gewinner eines Castings vom Oktober. Der Titel lautet „Stromlos Nr. 1“, denn ohne Zuhilfenahme des Stromanschlusses sollen von nun an einmal jährlich die Pfeifen wie in alter Zeit durch menschliche Kraft ertönen.

Till Scholtz-Knobloch / 04.06.2018

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