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Tschernobylverein sucht Gasteltern

Tschernobylverein sucht Gasteltern

Sie sind die Macher und geben jungen Strahlenopfern eine Perspektive: Mitstreiter der Bautzener Tschernobyl-Initiative. Foto: RK

Karin Bobsin, Margarethe Nowak, Hans-Joachim Schuster und Wolfgang Peters verbindet ein Schicksal. Nicht nur, dass sie die 60 zum Teil weit überschritten haben. Gemeinsam machen sie sich für Kinder aus einer weißrussischen Strahlenregion stark und sind dabei auf die Hilfe der Bautzener angewiesen. Das ist keine einfache Sache.

Bautzen. Ihre Gesichter sind gezeichnet von einer vornehmen Blässe. Daheim kommt tagtäglich genverändertes Essen auf den Tisch. Die Körper leiden unter Vitaminmangel. Ein Dutzend Kinder aus der weißrussischen Strahlenregion Buda-Koschelewo sehnen momentan den Sommer herbei. Dann dürfen sie sich in Bautzen und dem näheren Umland drei Wochen lang von den Strapazen in ihrem Heimatland erholen. Dafür sorgen auch in diesem Jahr wieder die 20 Mitstreiter von der hiesigen Tschernobyl-Initiative, zu denen unter anderem Wolfgang Peters gehört. „Wir sind momentan noch auf der Suche nach Gasteltern“, berichtet er etwas sorgenvoll. „Acht haben ihre Unterstützung bereits zugesichert. Bleiben sechs Familien, in denen wir einige unserer kleinen Gäste unterbringen müssten.“ Sie alle sollten auf jeden Fall mobil sein und über genügend Wohnraum verfügen. Das seien zwei wichtige Voraussetzungen, heißt es. Sollten alle Stricke reißen, müsste eine Notlösung her. Allerdings hat die Erfahrung gezeigt, dass sich in der Vergangenheit stets genügend Unterstützer finden ließen, die die jungen Strahlenopfer beherbergten.

Vor diesem Hintergrund besteht die Hoffnung, dass das 2017 nicht anders ist. Anfang Juni machen sich die Mädchen und Jungen im Durchschnittsalter von zwölf Jahren gemeinsam mit zwei erwachsenen Begleitern auf den Weg in die Lausitz. Mehr als 800 Kilometer haben die Kinder in einem Bus zurückzulegen, der nicht gerade zu den modernsten zählt. Mit der Spreestadt betreten sie auf jeden Fall Neuland, hier war noch niemand von ihnen.

Vereinsvorsitzende Karin Bobsin hofft auch vor dem Hintergrund der fremdenfeindlichen Übergriffe im vergangenen Herbst darauf, dass die Kleinen einen positiven Eindruck von Bautzen mit nach Hause nehmen. Doch zuvor sind sie erst einmal 21 Tage lang in der Region untergebracht. Hier gehen die Besucher aus Weißrussland auf Entdeckungstour.

Jeweils montags bis freitags zwischen 7.00 und 16.00 Uhr hat die Tschernobyl-Initiative eine Tagesbetreuung am Stadtwall organisiert. „Die Jungs und Mädels erholen sich dort bei Sport und Spiel“, sagt Karin Bobsin. Ausflüge in die Stadt und in die nähere Umgebung stehen ebenfalls auf dem Plan. „Wir werden mit ihnen beispielsweise auf den Reichenturm steigen und uns aus 28 Metern Höhe einen Blick auf die Dächer von Bautzen verschaffen“, erzählt Wolfgang Peters mit etwas poltriger Stimme, für die er sich auch entschuldigt. Seine seit Jahren bestehenden Kontakte nach Russland scheinen auf ihn abgefärbt zu haben, führt er scherzhaft an. Ein Besuch im Puppentheater und in verschiedenen Museen sei darüber hinaus vorgesehen.

Für die richtige Verständigung sorgen Dolmetscher wie Dietmar Wunderlich. Er führt gleichzeitig die oberste Regie bei der Betreuung der Kinder. In den Familien, so die Mitstreiter der Tschernobyl-Initiative, zählen meist die Gesten. Denn nicht bei allen Gastgebern ist der während der Schulzeit gepaukte russische Sprachwortschatz hängen geblieben. „Deshalb lassen sich größere Problemchen am besten in dem Moment klären, wenn Gasteltern ihre Schützlinge auf Zeit nach Bautzen zur Tagesbetreuung bringen“, betont Wolfgang Peters. An den Wochenenden seien die Familien auf sich allein gestellt – auch was die Programmgestaltung anbelangt.

Seit der Gründung des Vereins kurz nach der politischen Wende haben die Tschernobylopferhelfer aus der Spreestadt eigenen Angaben zufolge rund 300 weißrussische Kinder mit gesunder Kost versorgt, diese betreut und ihnen so neuen Lebensmut eingehaucht.

Denn die radioaktive Strahlung wird nicht nur der Region Buda-Koschelewo noch über Jahrzehnte erhalten bleiben, auch wenn die Regierung den Menschen immer weismachen will, dass ein Leben vor Ort unbedenklich wäre. Das allerdings würde jedes physikalische Gesetz aushebeln. Am 26. April vor 31 Jahren ereignete sich im ukrainischen Atomkraftwerk Tschernobyl ein bis dato unvorstellbarer GAU, also der größte anzunehmende Unfall, den die Menschen in Europa jemals erlebt haben. Und der sich hoffentlich niemals wiederholt.

Wer Kontakt mit der Bautzener Tschernobyl-Initiative aufnehmen möchte, kann das unter Telefon (0176) 54 53 61 30 bzw. (0172) 85 527 37 machen. Spenden lassen sich unter der IBAN-Nummer DE85 8555 0000 1000 0837 28 entrichten.

Roland Kaiser / 16.05.2017

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