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162 Jahre Nachhaltigkeit im Welterbe

162 Jahre Nachhaltigkeit im Welterbe

Zum runden 160. Jubiläum vor zwei Jahren posierten die Vorstände Sven Fiedler und Thomas Heinze vor der Zentrale am Görlitzer Marienplatz. Foto: Artjom Belan

Eine Einladung zur Vorstellung einer Jahresbilanz eines Kreditinstituts klingt zunächst eher nach schnöden Zahlen. Doch weil die Vorstände Sven Fiedler und Thomas Heinze die Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien eG derzeit durch besonders schwierige Zeiten manövrieren müssen, ergeben sich überraschende Blickwinkel.

Görlitz. Als passionierter Segler kennt der Niedersachse Thomas Heinze die Widrigkeiten auf See bestens und an Bord gilt letztlich ohnehin, dass die Verantwortung für alle im Vordergrund steht. Nichts für riskante Alleingänge, zumal das Schiff Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien eG ohnehin im Team gesteuert wird. Am Steuerrad dreht neben ihm der aus dem Vogtland stammende Sven Fiedler.

Das Zusammenspiel unterschiedlicher Charaktere bringt auch die Berücksichtigung unterschiedlicher Sichtweisen mit ein, die in einem gemeinsamen Ziel dennoch harmonieren können. Ganz unabhängig von dem vor uns liegenden Zahlenmaterial kommen wir darauf zu sprechen, dass die Finanzbranche an sich im Umbruch steht. Das Bargeld wird lange schon zurückgedrängt, in der Pandemie jedoch noch einmal beschleunigt.

„Wenn es das Bargeld nicht gäbe, müsste man es erfinden“, sagt Thomas Heinze und erklärt, was ihm ein ungutes Gefühl bereite: „Wenn noch nach Jahren in Protokollen erkennbar ist, wie viel Geld man z.B. für den Fleisch- oder Alkoholkonsum aufgewendet hat, dann können daraus Rückschlüsse gezogen werden, die man einst beim schnellen Griff zur Karte gar nicht gesehen hat“, sagt er und bekennt, dass er lieber als sein Kollege Sven Fiedler, der hier eher praktisch denke, in der Geldbörse das Kleingeld zusammenkramt. „Für eine Bank ist Bargeld gleichwohl natürlich auch ein Kostenfaktor und beide Aspekte muss man zusammendenken“, fügt er hinzu. Doch an diesem Beispiel zeige sich bereits, dass der Umgang einer lokal und regional verankerten Bank mit Privatkunden ein ganz anderer sein müsse als der der großen Finanzakteure.

Und damit sind wir dann auch schon bei der Nachhaltigkeit vor Ort mit kurzen Wegen, bei dem man seine Schäfchen alle kennt. Immerhin sei die Genossenschaftsidee ja mittlerweile sogar ein Weltkulturerbe der Unesco, fügt Sven Fiedler an. Weltkulturerbe?

2016 hatte das Internationale Komitee für die Erhaltung des Immateriellen Kulturerbes der Unesco dies im äthiopischen Addis Abeba bekanntgegeben. Die Idee des Sozialreformers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818–1888), Einkaufsgenossenschaften zum günstigen Einkauf von Produktionsgütern wie Saatgut und Düngemittel zur Unterstützung unbemittelter Landwirte zu schaffen, hat von Deutschland aus die Welt erobert und steht in ihrer Tradition bereits im Gegensatz zur Geldscheffelei. Den Ansatz könnte man also durchaus als Geburtsstunde der Nachhaltigkeit verstehen, auch wenn diese Wortschöpfung, die heute inflationär benutzt wird und damit droht Substanz zu verlieren, damals noch gar nicht erfunden war.

Am 27. April vor genau 162 Jahren erreichte die Gemeinschaftsidee einer Genossenschaftsbank jedenfalls auch Görlitz und entwickelte sich gerade in den letzten Jahren sehr gut. Seit dem 1. Mai 2009 ist Thomas Heinze Vorstandsmitglied. Und gegenüber 2009 gelang es in dieser Zeit, die Bilanzsumme und das Eigenkapital, das für die Kreditausreichungen notwendig ist, kräftig zu erhöhen. Zum 31. Dezember verabschiedet sich Thomas Heinze nun allerdings in den Ruhestand. Bereits zum 1. Oktober soll der Döbelner René Ziemianski (42) seine Nachfolge antreten und dessen Vorstandsressort weiterführen. In Vorbereitung dessen wird Zieminanski vom Mai bis Ende September vorerst als Prokurist eingesetzt.

Personell fest in der Region verankert, wurden jüngst drei Realschülerinnen für eine Ausbildung ausgewählt. Insgesamt hat das Kreditinstitut mit seinen Filialen in Reichenbach, Niesky, Rothenburg, Kodersdorf, Markersdorf, Weißwasser sowie Schönau-Berzdorf 89 Mitarbeiter, unter ihnen neun Auszubildende. Alle drei Auszubildende des dritten Lehrjahres werden in ein Beschäftigungsverhältnis übernommen.

Eigentlich sollte das Konstrukt größer werden, doch ein Zusammenschluss mit der Volksbank Löbau-Zittau war zuletzt gescheitert, obwohl das Ausscheiden mehrerer Vorstände beider Banken ein einmaliges Zeitfenster dazu eröffnet hätte. Sven Fiedler sagt rückblickend auf die Frage nach der entgangenen Option: „Liebe muss aus dem Herzen und der Vernunft kommen, hier hat vielleicht das Herz gefehlt.“

Nun bleibt das Herz ganz in Görlitz, was man aus Gründen der Nähe sicher nicht beklagen muss und die Vernunft soll eh in einer Zeit besonders walten, in der es eingangs der Jahresbilanz 2020 heißt: „Trotz Niedrigzinsphase, Corona-Pandemie und Digitalisierung konnte das Jahr 2020 wieder mit einem guten Ergebnis abgeschlossen werden.“ Die Bilanzsumme sei im Vergleich zum Vorjahr um 16,3 Prozent auf 516,1 Mio. Euro gestiegen. Das Wachstum dokumentiert n schwieriger Zeit gar Marktanteilsgewinne. Das habe viel damit zu tun, dass insbesondere die Privatkunden mehr auf die hohe Kante legten. Sven Fiedler betont: „Die Einlagen steigen, weil die Leute in der Pandemie nicht in den Urlaub fahren oder sicher auch aus Angst vor der Zukunft.“

Erste Anzeichen des Umdenkens bei den Sparern zeichneten sich bei Anlagen im Wertpapierbereich ab. Trotz aller Coronaeinschränkungen sei bei Beratungsgesprächen gegenüber 2019 sogar eine Steigerung um 2,1 % zu verzeichnen.

Die Bank selbst stehe übrigens vor den gleichen schwierigen Entscheidungen wie die Sparer, gibt Thomas Heinze zu bedenken. „Für größere Vermögen greifen Negativzinsen, so dass jeder gut beraten ist seine Wertebreit zu streuen. Wir machen das als Bank selbst nicht anders“, sagt er.

In den Sauren Apfel Negativzinsen müssen auch Kunden der Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien e.G voraussichtlich ab dem 1. September bei höheren Summen an Giro- und Tagesgeld beißen. Die anhaltende Zinspolitik veranlasse auch das eigene Kreditinstitut zu dieser ungewollt schweren Entscheidung. Damit müsse man kompensieren, dass die Banken nun Prozent Zinsen zahlen müssten, wenn sie Gelder bei der Europäischen Zentralbank (EZB) parken.

Aufgrund mancher Alternativen kann nach Ansicht von Thomas Heinze und Sven Fiedler jeder Kunde jedoch eine Anlageform wählen, ohne ein Verwahrentgelt oder Negativzins zu zahlen.

Edelmetalle, Wertpapiere, offene Immobilienfonds oder „Sparbriefe und Co“ – im Grunde sollte von allem etwas dabei sein – auch mit unterschiedlicher Risikostreuung, räumen die beiden Vorstande bei dem Einwurf des Niederschlesischen Kuriers ein, aufgrund des derzeit ausgesetzten Insolvenzrechts könnten sich noch gedeckelte Befürchtungen bewahrheiten, dass Firmen in sechsstelliger Anzahl am Ende sein könnten und eine Pleitewelle ungeahnten Ausmaßes drohe.

Beim Gebot Werte heute eher zu sichern, muss man hier und da sicher höhere Verluste einkalkulieren, die man mit Gewinnen an anderer Stelle ausgleichen kann. Dem Wunsch nach realen Werten sei die Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien z.B. nachgekommen, indem man einen Goldsparplan mit Hauslieferung anbiete, bei dem Gold eben nichts selbst bloß in Buchform existiere. Manch unschöne Begleiterscheinung des Finanzmarktes sei bislang an der Volksbank Raiffeisenbank Niederschlesien vorbeigegangen. So hatte die Verbraucherzentrale Sachsen zuletzt beklagt, dass die Kündigung von Anlageformen mit garantierten Zinssätzen durch Banken zunehme und in diesem Zusammenhang auch einem Görlitzer Kreditinstitut eine wohl rechtswidrige Zinsanpassungsklausel vorgeworfen. Sven Fiedler betont, in seinem Hause sei der „Bonusplan“ sogar noch im Angebot, bei dem es zum monatlichen Sparen eine kleine Prämie gebe. Dieses Modell habe aber allein vom Umfang nicht die gleiche Bedeutung wie bei vielen anderen Banken.

Für die bevorstehende Vertreterversammlung geben Thomas Heinze und Sven Fiedler einen positiven Ausblick: „In Abstimmung mit unserem Aufsichtsrat werden wir unseren Vertretern vorschlagen, eine Dividende von 2% auf das Genossenschaftsguthaben für das abgelaufene Jahr zu zahlen und damit, nach dem von der Bankenaufsicht geforderten Einschränkungen im letzten Jahr, wieder die gewohnte Dividende.“ Der Genossenschaftsgedanke behält damit in Görlitz Strahlkraft und der Sparer kann das Gefühl mitnehmen, dass Nachhaltigkeit vor Ort eine gute Basis gegen Eskapaden der Gier bei den Großen sein kann – zumindest solange man nicht selbst und unverschuldet Opfer von Kettenreaktionen ist.

Till Scholtz-Knobloch / 03.05.2021

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