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Baumschicksal bewegt noch immer

Baumschicksal bewegt noch immer

Der Waldkauz hoch droben in einer Linde am Bombardier-Parkplatz: An diesem vertrauten Bild können sich Passanten seit dem Sommer nicht mehr erfreuen. Der Baum wurde gefällt. Foto: privat

Kaum waren die Pläne für den Bau der Werkszufahrt bekanntgeworden, rückte eine Waldkauz-Familie in den Blickpunkt. Ihr Schicksal und das einer Linde, in der die geschützten Tiere laut Augenzeugenberichten jahrzehntelang residierten, bewegt zahlreiche Bautzener nach wie vor. Jetzt stellt sich heraus: Bereits vor vier Jahren entging der Baum nur knapp dem Kettensägentod.

Bautzen. Das kleine Biotop am Rande des Humboldthains ist Geschichte. Bis Anfang August bot eine Linde nicht nur einer Vogelfamilie einen Unterschlupf. Auch Wildbienen und andere Insekten flogen dort ein und aus. Dann rückte ein Baumdienst an und sägte sie um. Nicht jeder hatte Verständnis für diese Aktion. Doch wie sich inzwischen zeigt, war dies nicht der erste Anlauf, den Unterschlupf des Waldkauzes zu beseitigen. Schon im Herbst 2015 sah die Stadttochter BBB offenbar Handlungsbedarf. Rathaussprecher André Wucht erinnert sich: „Bei Pflegearbeiten am eigenen Bestand wurde Totholz an benachbarten Bäumen festgestellt.“ Da die Linde auf dem Grund und Boden des Schienenfahrzeugherstellers Bombardier stand, sei dieser entsprechend darüber in Kenntnis gesetzt worden. Das Unternehmen wiederum habe die Untere Naturschutzbehörde (UNB) des Landkreises eingeschaltet. Gleichzeitig beantragte der Grundstücksbesitzer nach Angaben einer Sprecherin der Kreisverwaltung bei der Stadt die Fällung der Linde, die wie andere Bäume auch der kommunalen Gehölzschutzsatzung unterlag. „Begründet wurde das Ganze damit, dass der Stamm durch Fäulnis stark angegriffen war und die Standsicherheit laut eines bekannten Bautzener Baumdienstes nicht mehr gegeben war.“ Warum von einer Fällung am Ende abgesehen wurde, dazu konnte die Behördensprecherin nichts sagen. Fest stehe jedoch, dass die UNB schon damals die Nutzung des Baumes durch den Waldkauz im Blick hatte. Die Sprecherin gab indes auch zu bedenken: „Da der Baum im öffentlichen Raum steht, ist der Eigentümer besonders verpflichtet, eine Gefährdung des öffentlichen Verkehrs zu vermeiden.“ Dabei sei es üblich, dass Straßenbaulastträger wie die Stadt angrenzende Grundstückseigentümer auf Verkehrsgefährdungen, die von deren Anwesen ausgehen, hinweisen. „Schließlich geht es für den Eigentümer auch darum, mögliche Schadensersatzansprüche zu vermeiden.“

Aus Naturschutzgründen habe man sich dann doch erst einmal für einen wesentlichen Rückschnitt entschieden, hieß es dieser Tage aus der deutschen Bombardier-Zentrale in Hennigsdorf. „Das brachte dem Baum weitere vier Jahre Lebenszeit ein“, unterstrich Unterneh-menssprecherin Janet Olthof. Mit den Plänen für den Bau einer zweiten Werkszufahrt, die laut dem Schienenfahrzeughersteller von 2017 an vorangetrieben wurden, rückte die Linde abermals in den Fokus. Zwar soll laut Stadtverwaltung das millionenschwere Asphaltband samt Spreebrücke erst im kommenden Jahr fertiggestellt werden. Das Risiko, dass der Baum nach der Freigabe oder bereits während der Bauarbeiten umstürzt, war der Kommune dann offenbar doch zu hoch – und allen anderen Beteiligten ebenfalls. Ein Gutachten der MEP Plan GmbH vom 26. März 2019 hatte ergeben, dass die Linde in der Zwischenzeit „stark umbruchgefährdet“ gewesen sei. „Gemäß dem Gutachten muss der Baum gefällt werden“, schlussfolgerte dann auch Janet Olthof nach einem Treffen mit Vertretern der Stadt und der UNB. Letztere riet im Zuge der Planung, die, so beteuert das Landratsamt heute, die Erhaltung der Linde auf dem Schirm hatte, den Baum untersuchen zu lassen.

Trotz der nachvollziehbaren Argumentation von Stadt, Landkreis und Schienenfahrzeugbauer bleibt unterm Strich bei so manch einem ein durchwachsendes Gefühl. Wohl auch, weil die Kreisverwaltung wiederholt erklärte, dass die Waldkäuze „seit Jahrzehnten im angrenzenden Humboldthaingebiet leben und nicht in der Linde“. Selbst Bombardier wies nicht nur einmal darauf hin. Bautzener, die die Vogelfamilie seit Jahren beobachten, sehen darin „eine Unwahrheit und infame Behauptung“. Das wiederum kann das Landratsamt nicht so stehen lassen: „Der Baum ist nachweislich weder als Behausung für mehr als einen Kauz noch als Brutstätte geeignet gewesen. Dies begründet sich im Vorhandensein eines mächtigen, durchgehenden Hohlraums im Stamminneren bis unmittelbar hinauf zur Ansitzkante und darüber hinaus, welcher keinerlei Möglichkeit für eine Nistgelegenheit oder Eiablage gewährt hat. Dies wurde mittels artenschutzfachlicher Untersuchung und fachlicher Einschätzung des einbezogenen Kauzexperten festgestellt und bestätigt. Darüber hinaus ist für die Aufzucht der Jungtiere ein geeigneter Gehölzbestand erforderlich. Die rufenden Ästlinge wurden im Humboldthain nachgewiesen. Für die Linde sind keinerlei Brutnachweise bekannt.“

Fakt ist: An ihrem geliebten Platz waren die Vögel seit Mai im Vergleich zu früheren Zeiten nur noch ab und an zu sehen, ab Juli offenbar gar nicht mehr. Ein Grund dafür könnte sein, dass an dem Baum Veränderungen vorgenommen wurden. Eine Augenzeugin beschrieb ihre Beobachtungen so: „Um die Baumhöhle vom Kauz herum wurden plötzlich alle Blätter und Äste gelb, braun und welk, während andere Zweige weiter grünten. Zudem wurden unterhalb am Stamm alle Löcher kleineren Formates mit dickem Tesafilm zugeklebt. Warum auch immer.“ Aus dem Landratsamt verlautete dazu: „Im Rahmen der durch die Untere Naturschutzbehörde geforderten, artenschutzfachlichen Untersuchung des Baumes durch ein seitens des Vorhabenträgers beauftragtes Fachbüro wurden sämtliche Höhlungen auf Besatz untersucht und bei Negativnachweis nach Absprache mit der UNB im Vorfeld der geplanten Fällung mittels Tesaband fachgerecht verschlossen, um einen Besatz beispielsweise für Zweitbruten zu verhindern und damit die mögliche Verletzung von Tieren und ihren Nachkommen im Zuge der Fällung zu vermeiden. Weitere Maßnahmen am Baum sind der UNB nicht bekannt.“

Das Todesurteil für die Linde ist schlussendlich am 9. und 10. August vollstreckt worden. Da rückte ein Abholzteam an. Als Ausgleichsmaßnahme wurden im Humboldthain drei zusätzliche Bruthöhlen für den Waldkauz angebracht. Zudem sei dessen „alter Ansitz“ geborgen, aufbereitet und in dem Naherholungsgebiet an einen geeigneten Bestandsbaum verbracht worden. Das ist anerkennenswert, meinen Freunde des Waldkauzes, die das Konstrukt ausfindig machen konnten. Allerdings sei dieses mit Stand Ende Oktober zunächst unbewohnt geblieben. Was die Brutplätze anbelangt, hüllt sich die Kreisverwaltung zu deren Standorten in Schweigen. „Die Untere Naturschutzbehörde möchte so eine gezielte Suche und Beobachtung vermeiden, um im Hinblick auf das Brutgeschäft im kommenden Jahr keine zusätzlichen Störungen zu provozieren“, betonte eine Behördensprecherin.

Indes fand der Stamm der Linde seine letzte Ruhestätte auf einer nördlich der Straßenbaustelle gelegenen Gehölzinsel. Dorthin wurden auch die Honigbienen samt ihrer Höhle umgesiedelt. 

Roland Kaiser / 16.11.2019

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