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Bautzener Verein 
hilft bei Geldstrafen

Bautzener Verein 
hilft bei Geldstrafen

Matthias Nagel leitet in Bautzen die Anlaufstelle der Gefährdetenhilfe. Diese wiederum ist ein Angebot des seit 1991 existierenden Brücke-Vereins. Foto: RK

Die Belegungssituation in den Justizvollzugsanstalten in der sächsischen Lausitz könnte durchaus entspannter sein. Aufgrund der hohen Zahl an Ersatzfreiheitsstrafen kommt es jedoch zu einer zusätzlichen Belastung. Mit einem vom Justizministerium geförderten Projekt, das jüngst beim Bautzener Brücke-Verein angesiedelt wurde, will das Land nun gegensteuern.

Bautzen. Die Bundespolizei kontrollierte am 18. Mai 2019 gegen 21.50 Uhr an der Autobahn A 4 bei Bautzen einen 45-jährigen Mann aus Polen. Er war mit Freunden in einem Auto in Richtung Dresden unterwegs. Mit den vorgelegten Dokumenten war alles in Ordnung, nur suchte die Staatsanwaltschaft Cottbus bereits seit 2016 nach ihm. Wegen gemeinschaftlichen Verstoßes gegen die Abgabenordnung hatte er eine Geldstrafe in Höhe von 900 Euro zu zahlen. Dies war ihm vor Ort aber nur möglich, weil seine Begleiter ihm mit Bargeld aushalfen. Ansonsten hätte er eine Ersatzfreiheitsstrafe von 45 Tagen antreten müssen. Nur ein Fall von vielen, die sich fast tagtäglich in der Lausitz zutragen. Matthias Nagel kennt dieses Szenario und der daraus resultierenden Zustände in den hiesigen Gefängnissen. Seit Jahren leitet er die Anlaufstelle der Gefährdetenhilfe an der Dresdener Straße 3 in Bautzen. Er spricht von einer zusätzlichen Belastung für das Personal und den Staatshaushalt. Dabei könnte es in den Justizvollzugsanstalten (JVA) Bautzen und Görlitz durchaus entspannter zugehen, wenn es noch weniger Ersatzfreiheitsstrafen gäbe als es derzeit der Fall ist. „Bei diesen wird der gleiche Aufwand betrieben wie bei herkömmlichen Strafsachen“, weiß der Spreestädter. „Es gibt keine Unterschiede bei der Betreuung durch das Wachpersonal und auch bei der Verpflegung der Inhaftierten. Das Fatale ist, dass Zellen belegt werden, die eigentlich gar nicht in Anspruch genommen werden müssten.“ Pro Tag und Person kostet die Unterbringung rund 100 Euro. Um das Ganze mit Zahlen zu untermauern: Der JVA Bautzen zufolge fielen dort im Jahr 2017 rund 138.700 Hafttage an. Die Ersatzfreiheitsstrafen bildeten mit circa 18.500 Hafttagen einen Anteil von 13 Prozent. Der vom Staatsministerium der Justiz (SMJ) veröffentlichten Statistik zum Anteil von Ersatzfreiheitsstrafen in den JVA Görlitz und Bautzen bezogen auf die Jahre 2015, 2017 und 2018 lässt sich zudem entnehmen, dass in der Neißestadt mitunter mehr Menschen einsitzen, die eine Geldstrafe nicht beglichen haben, als 50 Kilometer weiter westlich.

Dabei stehen in Görlitz insgesamt 209 Haftplätze zur Verfügung, das Bautzener Gefängnis verfügt dagegen über 454. Dort wiederum lag die Auslastung zum Stichtag 20. Mai 2019 bei 91,4 Prozent, in Görlitz bei 93,3 Prozent. Das kostet den Freistaat viel Geld, das er durch Alternativen sparen kann, meint Matthias Nagel.

Seit April läuft in seinem Haus ein Projekt, das Tätern, die zu einer Geldstrafe verdonnert wurden, diese aber nicht begleichen können, die Möglichkeit einräumt, eine gemeinnützige Tätigkeit aufzunehmen. Dafür hat der Verein eine staatliche Zuwendung von rund 14.000 Euro erhalten, die bei einer Verlängerung der Maßnahme über das Jahr 2019 hinaus neu beantragt werden müsste.
„Die vom Staatsministerium für Justiz finanzierte Maßnahme ermöglicht uns, mit der Anklagebehörde in Kontakt zu treten, um eine Lösung zu finden, die Ersatzfreiheitsstrafe abzuwenden“, erklärt Geschäftsführer des Brücke-Vereins. „Gleichzeitig begeben wir uns auf die Suche nach einem geeigneten Partner, bei dem sich die Sanktion abarbeiten lässt.“

Matthias Nagel rechnet schon in Kürze mit einer ganzen Welle an Anträgen. Bei einer Kollegin im Haus laufen dafür alle Fäden zusammen. Sie werde dabei von einer weiteren Sozialarbeiterin unterstützt, so der Bautzener. Beide helfen auch dabei, geeignete Einsatzstellen zu akquirieren. „Wichtig zu wissen ist, dass stets zeitnah reagiert werden sollte, um einer Inhaftierung zu entgehen“, betont er. „Spätestens wenn eine Erinnerung der Staatsanwaltschaft im Briefkasten liegt, die noch offene Geldstrafe zu entrichten, sollten sich die Betroffenen mit uns in Verbindung setzen. Im Notfall sind wir bestrebt, eine Ratenzahlung für sie auszuhandeln. Ist jedoch erst einmal ein Haftbefehl erlassen, können auch wir nichts mehr unternehmen.“ Jörg Herold kann die Notwendigkeit des Projektes nur noch einmal unterstreichen: „Dessen Ziel ist die Verringerung des Vollzuges von Ersatzfreiheitsstrafen. Dies würde zu einer Entlastung des Justizvollzugs führen und gegebenenfalls auch bei den Anklagebehörden Kapazitäten freisetzen. Verurteilte, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, sind überwiegend arbeitslos und auf den Bezug von Sozialleistungen angewiesen, oftmals sind sie verschuldet. Hinzu kommen häufig eine soziale Isolation, eine fehlende abgeschlossene Schul- und/oder Berufsausbildung sowie Suchtprobleme. Bei der Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen muss oftmals in kurzer Zeit in beträchtlichem Umfang eine medizinische und sozialarbeiterische Versorgung und Betreuung durch den Justizvollzug geleistet werden.“

Auch in der Vergangenheit gab es bereits die Möglichkeit, eine Ersatzfreiheitsstrafe durch eine gemeinnützige Arbeit abzuwenden, wie Christopher Gerhardi von der Staatsanwaltschaft Görlitz weiß. „Hierfür ist vom Verurteilten ein entsprechender Antrag zu stellen, dem eine vollständige Aufstellung über seine wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt werden muss. Ein genereller und automatischer Hinweis auf das gerade erst angelaufene Projekt von Brücke e.V. erfolgt in diesem Zusammenhang nicht und ist – zumindest derzeit – auch nicht vorgesehen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass sich das Projekt von Brücke e.V. nicht an alle zu einer Geldstrafe verurteilten Personen richtet, sondern nur an solche, die im Raum Bautzen wohnen und wirtschaftlich nicht in der Lage sind, die gegen sie verhängte Geldstrafe zu bezahlen. Wie von Brücke e.V. erbeten, werden verurteilte Personen jedoch in geeigneten Fällen auf das Angebot von Brücke e.V. aufmerksam gemacht.“

„Über das Projekt erreichen wir vielmehr auch diejenigen, die sich gern an die Hand nehmen lassen, die nicht aus eigener Kraft aktiv werden. Der Verein kann ihnen die Suche nach einer Einsatzstelle beziehungsweise das Aushandeln einer Ratenzahlung abnehmen. Fest steht: Nicht jeder ist in der Lage, die richtigen Schlussfolgerungen aus den Schreiben der Anklagebehörde zu ziehen“, meinte indes Jörg Herold im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier.

Die Ableistung der jeweiligen Geldstrafe auf alternativem Wege richtet sich dabei nach den verhängten Tagessätzen. Einer entspreche der Arbeitszeit von fünf Stunden, erläuterte Matthias Nagel. Das Angebot in Anspruch nehmen können demnach alle nach Erwachsenenstrafrecht verurteilten Personen. „Für Jugendliche kommt eine Geldstrafe keineswegs in Betracht, da sie nach Auffassung des Gesetzgebers noch nicht über ein entsprechendes Einkommen verfügen“, fügte der Vereinsmitarbeiter hinzu.
Die Strafe zu erlassen, das scheint auch für den Leiter der Anlaufstelle nicht der richtige Weg zu sein. „Keine Reaktion ist die falsche Reaktion“, sagte er. In dem Zusammenhang warnte er vor einer zunehmenden Respektlosigkeit in der Gesellschaft.
Das Domizil des Brücke-Vereins an der Dresdener Straße 3 ist montags bis freitags von 8.00 bis 12.00 Uhr sowie von 13.00 bis 15.30 Uhr erreichbar. Ein Kontakt lässt sich zudem über die Rufnummer (03591) 49 09 18 herstellen.

Roland Kaiser / 27.05.2019

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