Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Belebung, Tourismus & Integration im Paket

Belebung, Tourismus & Integration im Paket

Frank Großmann (l.) bringt Gewerbetreibende an der teils verkommenen oberen Berliner Straße zusammen. Rechts von ihm (v.l.n.r) sind Minas Mohamed (City Pizza), Nuri Dilbaz (Urfa Grill Kebap) und Serdar Kirsan (Nightlife) von der Sache bereits überzeugt.

Kaum einer kennt die ausländischen Gewerbetreibenden so gut wie Frank Großmann. Der Liegenschaftsverwalter betreut mehrere Objekte in der Berliner Straße in Görlitz und möchte nun die Belebung der oberen Berliner Straße mit der Integration von Vietnamesen, Syrern oder Türken einfach verbinden. Dabei kommen sogar die Görlitzer Schrebergärtner mit ins Spiel.

Görlitz. Zwischen dem Bahnhof und der Hospitalstraße ist Görlitz trotz etwa 10.000 Passanten täglich, die vom Bahnhof oder der Südstadt kommen oder dorthin wollen, faktisch weitgehend tot. Das erweiterte Landratsamt ist ein Baustein bei der Belebung, allerdings mit seiner natürlichen Funktionalität nicht unbedingt ein klassischer Sympathieträger. Außer vier orientalischen Bistros, zwei fernöstlichen Imbissen und mittendrin einer Bar, in der man u.a. ganz mitteleuropäisch als letztes Relikt Milchreis mit Löffeln essen kann, ist hier fast alles dicht.

„Auch wenn es so nicht gesagt wird, werden die meist ausländischen Gewerbetreibenden, ähnlich wie die Bauern in der Landwirtschaft, erst einmal wieder zu Sündenböcken erklärt. Ganz harte Chauvinisten beklagen schnell mal den ‚Ekeldöner’, wie man früher auch den Schwan fand, den die Polen dummen deutschen Käufern als Weihnachtsgans verkauften“, fasst Großmann Stimmen zusammen, die er über die günstige, sonst weitgehend gewerbefreie „Fressmeile“ im Görlitzer Straßenbild herziehen. Doch durch seine Verwaltertätigkeit hat der einstige AfD-Kreistagsabgeordnete, der im Bürgermeisterwahlkampf dann die grüne Franziska Schubert unterstützte, ein anderes Bild. Schubert hatte sich für die Aufenthaltserlaubnis einer Tunesierin stark gemacht, die nicht zu einem versehrten Freund Großmanns nach Reichenbach ziehen konnte, weil die junge, mit einem älterem Behinderten liierte Frau, amtlich quasi als Heiratsschwindlerin verdächtig war.

Die junge Tunesierin möchte als Altenpflegerin künftig zum Auskommen in der Oberlausitz beitragen. „Mir hat der Einsatz von Franziska Schubert in dieser Sache sehr gefallen“, lobt Frank Großmann, der durch seine Arbeit einen sehr differenzierten Blick auf die unterschiedlichen Nationalitäten in der Stadt gewonnen hat.

„Dass diese Gewerbetreibenden hart arbeiten, Vietnamesen schon in der Nacht Berliner Großmärkte anfahren, um deutschen Kunden ab 8.00 Uhr Frischgemüse anzubieten, diesen Fleiß übersehen viele“, betont Großmann, der beklagt, dass vieles an dieser Entwicklung, in der die Ausländer Löcher stopfen, erst aus überzogenen bürokratischen Gesetzes- und Steuerregelungen herrühre. „Was kostet denn ein guter Koch und wie viel Steuern und Abgaben muss der Betreiber einer Gaststätte leisten?“, fragt Großmann lakonisch und gibt auch gleich selber die Antwort: „Die Asiaten haben zum Teil andere Entlohnungssysteme mit Taschengeldern, während die Treue nach vielen Jahren der Tätigkeit mit immens hohen Renten für sie belohnt wird. Vielfach ist aber ohnehin nur die eigene Familie im Laden beschäftigt, so dass Angehörige zu finanziellen Bedingungen arbeiten, auf die sich kein Einheimischer einlassen würde.“

Egal wie gut Döner Kebab oder Nudeln mit Ente auch schmecken würden, vielfach bleibe immer etwas Anrüchiges hängen. Deshalb möchte Großmann mit den Gewerbetreibenden der oberen Berliner Straße nun in die Offensive gehen und zeigen, dass auch sie gewillt seien einen Beitrag zur Ökologie und Verbesserung des äußeren Erscheinungsbildes der Straße zu leisten.

„Auf der einen Seite gibt es über 100 Gartenvereine, in denen sich tausende Kleingärtner bemühen, auf der anderen Seite wird der Bedarf an Obst und Gemüse aus Holland und Spanien teuer und umweltschädlich herangefahren“, da die Discounter nicht über den Schatten ihrer Vertriebsstrukturen springen würden. Großmann sieht hier ausländische Gemüsehändler und Imbissbetreiber als natürliche Partner der alteingesessenen Kleingärtner. Künftig soll ein deutsch-türkisch-arabisch-sodostasiatisch-polnischer Händlerverein von den Gärtnern und auch von Kleingewerbetreibenden u.a. die Bioprodukte für die Görlitzer und ihre Gäste vermarkten, die vom Bahnhof dieses Einfallstor zur Stadt ohnehin in Scharen passieren. „Die Vorteile liegen auf der Hand. Ältere Gärtner, deren Kinder die Stadt längst verlassen haben, können gegen ein Entgelt für junge Familien bezahlbare regionale Kost schaffen und die Gewerbetreibenden besser ihre Produkte darstellen. Die gute Frequentierung des Bioladens im Bahnhof zeigt doch bereits, dass auch in unserer Stadt das Bewusstsein für ökologische Erzeugnisse gestiegen ist“, sagt Großmann.

Er ist sich sicher, dass auch die mitunter skeptischen Altgörlitzer bei diesem Austausch im Sinne einer Graswurzelbewegung mitmachen. „Im März sind überall die Versammlungen der Gartensparten. Da kommt die Initiative zeitlich jetzt genau richtig!“, meint er.
Serdar Kirsan, der das Tanzlokal Nightlife betreibt, ist in jungen Jahren 1972 aus der Türkei nach Deutschland gekommen. In Görlitz wird er ehrfurchtsvoll von vielen, die aus dem Nahen Osten stammen, „Onkel“ genannt. Die Ehrfurcht für einen uneigennützigen Netzwerker, der sie zusammenbringt spricht daraus. Und so ist Kirsan auch für Großmann ein Türöffner, der geschickt vermittelt, dass hier eine gute Idee im Raum steht.

„Bei Düsseldorf, wo ich aufgewachsen bin, hat es mir und auch anderen aus anderen Ländern stammenden das Umfeld leichter gemacht. Der alteingesessene Görlitzer ist eher verschlossen und deutlich schwerer zu knacken“, beschreibt er seine Beobachtungen, die gerade Menschen mit sprachlichen Defiziten im Deutschen zusätzlich Hindernisse im Alltag bereiten.
Doch mit dem Austausch von Gewerbe und Kleingärtnern nicht genug – es soll weitere Synergien geben. „Weil die obere Berliner Straße eben so eine Visitenkarte der Stadt ist, freuen sich doch gerade Touristen, wenn auf den ersten Metern gleich die gastronomische Versorgung stimmt“, meint Frank Großmann. Doch das mit neuer Attraktivität zu bespielende Band quer durch die Stadt läuft nach seiner Einschätzung hinter dem Bahnhof weiter. „Ich sehe noch unheimlich viel touristische Perspektive auch für die Südstadt.“ Die geschlossene gründerzeitliche Bebauung über die Kunnerwitzer Straße und den Sechsstädteplatz hinaus schreie danach, dass Touristen auch hier die Stadt touristisch in Beschlag nehmen. Vor diesem Hintergrund möchte er eine von ihm verwaltete Liegenschaft an der Kamenzer Straße/Ecke Jauernicker Straße zu einem Parkplatz mit Garagen herrichten und vor allem für den Bustourismus fitmachen.

Das wäre auch der perfekte Standort für mehrere Elektrotanksäulen. „Bus- oder Individualtouristen lassen ihr Gefährt während der Stadterkundung stehen und tanken in der Zeit einfach für die Rückfahrt. Der durchschnittliche Radius eines Elektroautomobils beträgt in etwa 250 km. Nimmt man im Zirkel Maß und schlägt einen Bogen um Görlitz, dann ist man in Berlin, Leipzig und Breslau“, rechnet Großmann vor. Zuletzt hatte er das Senckenbergmuseum angeschrieben, um auch ihnen Parkplätze für den neuen Standort in der Bahnhofstraße anzubieten, doch das Museum steckt schon in anderen Verpflichtungen und wendet 400.000 Euro dafür auf, dass man Stellplätze nachweisen kann, die man aber faktisch gar nicht sicher nutzen könne, beklagt Großmann Zwänge der öffentlichen Hand.

Doch mit der Erweiterung der Achse bis in die Südstadt, denkt Großmann ohnehin in die Zukunft hinein. Die Vernetzung meist ausländischer Kleingewerbetreibender und meist deutscher Kleingärtner könne hingegen bereits im März anlaufen. „Ganz ohne Fördergelder, einfach nur aufgrund der sich gegenseitig ergänzenden Interessen“, so Großmann (E-Mail: lbm1958@ hotmail.com; Tel.: 0176/ 34527522). Spätestens wenn man auf Fördergelder baue, mache man sich ohnehin viel zu leicht abhängig und verliere oft die eigene Vision aus den Augen, ist seine Devise.

Till Scholtz-Knobloch / 01.03.2020

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Weitere aktuelle Artikel