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Blühpatenschaften sollen versöhnen

Blühpatenschaften sollen versöhnen

Marika Gärtner, Vorsitzende der Agrargenossenschaft Gersdorf/Deutsch-Paulsdorf eG zeigt am Laptop, wie sie sich einen Blühstreifen vorstellt. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Landwirtschaft und Stadtkultur sind weit voneinander entfremdet. „Zeit einmal zu handeln statt nur zu reden“, meint Marika Gärtner, Vorsitzende der Agrargenossenschaft Gersdorf/Deutsch-Paulsdorf eG,  und wirbt nun für Blühpatenschaften, die vor allem Insekten zu Gute kommen sollen und sogar in Zeiten der Pandemie funktionieren.

Gersdorf. Seit etwa einem Jahrzehnt leben erstmals in der Menschheitsgeschichte weltweit mehr Menschen in der Stadt als auf dem Land. Deutschland ist von dieser Verstädterung nicht ausgenommen. Ein ökologisches Bewusstsein hat sich zwar in weiten Milieus der Städte ausgebreitet, doch zeigt die Agrarkrise, dass der Landwirt es einerseits ökologisch so richten soll, wie der Städter die Messlatte legt, während die schönen Worte auf dem Land oft gar nicht alltagstauglich sind. Die Agrarkrise zeigt diese Entfremdung auf. Die traditionell eher konservative Bauernschaft begehrte zuletzt massiv gegen die Realitätsverluste auf.
Marika Gärtner, Vorstand der Agrargenossenschaft Gersdorf/ Deutsch-Paulsdorf eG hat sich selber nicht zu einer Aktivistin der Bewegung gemacht, doch Tacheles kann auch sie reden. „Kaum fahren wir mit einer Pflanzenschutzspritze  durchs Dorf, gehen bei uns Anrufe ein, bei denen gefragt wird: ’Womit schädigt Ihr denn heute die Felder?’“.

Und solche Vorwürfe kämen gar nicht mehr nur von Städtern, die aufs Land gezogen seien, sondern mittlerweile auch aus dem Kreis von Alteingesessenen, die nicht mehr mit der Landwirtschaft verbunden seien. Dabei würde ihre Agrargenossenschaft gerade einmal etwa einen Liter „Pestizide“ auf einen Hektar, also eine Fläche von 100 mal 100 Metern, ausbringen. „Jeder Kleingärtner verwendet mehr in seinem Garten und denkt sich ’Schwupp, das kann auch noch rein – sicher ist sicher.’“

So etwas könne sie nicht einmal aus betriebswirtschaftlicher Sicht verantworten, denn die Mittel seien teuer. Wenn jemand meckere sage Sie z.B.: „Deinem Sohn läuft doch auch die Nase und ich habe gesehen, wie Du ihm ein Nasenspray gekauft hast“. Andere nähmen ein Mittel gegen Fußpilz. „Wir nehmen Pflanzenschutzmittel, und dies aufgrund unserer Erfahrungen in der niedrigsten Dosierung in Wasser gelöst, die aber nötig ist, um gesunde Pflanzen bis zur Ernte zu führen und so gesunde Produkte zu produzieren.“

Zudem halte man sich möglichst an die Früh- und Abendstunden, in denen die Insektenwelt noch nicht oder nicht mehr aktiv sei. Die Aufregung sei quasi vielmehr ein gesellschaftlich konditionierter Reflex, mit dem guter Wille kombiniert mit Halbwissen auf die Realität losgelassen werde. Sie hat sich bei einer Biologielehrerin ihrer Kinder beklagt, dass die Kinder im Biounterricht im Grunde gegen die Landwirtschaft aufgestachelt würden. „Ich habe gesagt, ich komme zu Ihnen in den Unterricht, bringe kranke, befallene Blätter mit und erkläre die Wirkung der Mittel“. Die Lehrerin habe abgewunken und unmissverständlich gesagt, dass sie das gar nicht interessiere. Sie wisse genug.

Doch was haben alle guten Ratschläge von Außen, die im Grunde die Botschaft tragen: Ihr macht alles kaputt’ für einen Sinn, fragt sie sich. Und da helfe eigentlich nur eines: Wolle man Stadt und Land in Einklang bringen, dann dürften alle, die Städter oder auch die von der Landwirtschaft entfremdeten Dorfbewohner, nicht nur quasseln.
In einer Landwirtschaftszeitschrift las Marika Gärtner von einem Projekt aus Thüringen und bringt dies nun in die Niederschlesische Oberlausitz. „Wir setzen jetzt auf Blütenpracht“ soll die Devise sein. Die Idee dahinter: Jeder, der etwas für die Biodiversität tun wolle, kann bei der Agrargenossenschaft eine Patenschaft für 100 Quadratmeter Fläche – das sind 10 mal 10 Meter – zum Selbstkostenpreis übernehmen. Auf dieser Fläche werde dann eben nichts anders angebaut, sondern Blühpflanzen gedrillt.

Ende April soll die Aussaat von Alexandrinerklee, Blauer Lupine, Borretsch, Buchweizen, Gelbsenf, Ölrettig, Persischem Klee, Phacelia, Serradella, Erbsen, Dill, Luzerne, Ringelblume, Sommerwicke und Sonnenblumen auf bis zu 1,8 Hektar Fläche unweit des Sportplatzes des SV Gersdorf erfolgen. „Wenn 180 Menschen eine Blütenpatenschaft übernehmen wäre der Blütenstreifen komplett. Ist die Nachfrage noch größer, werde ich an anderer Stelle statt Mais auch dort noch Raum für die Blütenpracht schaffen“, verspricht Marika Gärtner.
Bei der entstehenden Vielfalt sei es auch kein Problem, wenn sich ein Pate dann auch mal ein oder zwei Sonnenblumen von „seiner“ Wiese mitnimmt. Es geht mir darum, dass das Bewusstsein geschärft wird, dass wir erfolgreich sind, wenn alle Interessen vereinbart werden. Aber dafür muss man eben auch etwas tun, als sich nur der Theorie zuzuwenden.“

Das Schöne: Diese Aktion funktioniert selbst in Zeiten des Coronavirus. Wer bis zum 30. April unter der Bankverbindung IBAN: DE40 1203 0000 1020 3943 08 (DKB – BYLADEM1001) 50 Euro mit dem Verwendungszweck: „Blühpatenschaft“ sowie seinem Namen überweist ist dabei. „Von Juni bis zum ersten Frost im Oktober sollte der Blühstreifen dann in voller Pracht stehen. Wo Bienen sind, da wird auch die Hummel oder der Schmetterling sein“, freut sie sich. Dabei sagt sie: „Zumindest in Gersdorf geht es den Bienen ja eigentlich sehr gut. Ein örtlicher Imker berichtet mir, mir, dass seine Völker gesund und stark sind.“ Auch die dürfen sich natürlich gerne noch wohler in Gersdorf fühlen. „Die Aktion soll die Kosten decken. Ich würde mich also freuen, wenn gleiche Initiativen auch in anderen Dörfern der Oberlausitz gestartet werden. Das darf jeder gerne kopieren, denn die Gewinner sind Dorfbewohner wie Städter gleichermaßen“, meint sie.

Uwe Menschner / 29.03.2020

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Kommentare zum Artikel "Blühpatenschaften sollen versöhnen"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Wahrheitserzähler schrieb am

    Nach Richtlinie AUK werden einjährige Blühflächen mit 831 EUR/ha pro Jahr und mehrjährige Blühflächen mit 835 EUR/ha pro Jahr gefördert. Die 1,8 ha Fläche werden mit mindestens 1.495,80 EUR gefördert. Dazu kommen 180 Förderer mit je 50 EUR = 9.000 EUR. Das ergibt 10.495,80 EUR. Abzüglich der Selbstkosten bleibt eine ordentliche Summe übrig, zumal in diesem Jahr keine weiteren Arbeiten auf der Fläche notwendig sind. Wenn dann noch jeder Förderer 1 bis 2 Sonnenblumen pflückt, bleibt ja für unsere geliebten Piepmätze wieder weniger übrig. Bleibt am Ende die Frage, wer jetzt wen versöhnen muß?

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