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Demokratie wird auf eine harte Probe gestellt

Demokratie wird auf eine harte Probe gestellt

Mit Tempo übers Pflaster: Schwere Laster nutzen die sanierungsbedürftige Ortsverbindungsstraße Pließkowitz - Kleinbautzen, um einen Steinbruch anzusteuern. Noch bis 2042 soll unweit von bebautem Gebiet Granit aus der Erde gesprengt werden. Fotos: Archiv

Malschwitz. War es der gemeinsame Versuch, sich einer jahrelangen Ohnmacht zu entreißen? Wenn dem so ist, wird am Dienstagabend mit Tagesordnungspunkt 6 das kurze Aufbäumen beendet. Dann sollen die Bürgervertreter einen Beschluss, den sie erst in der Februarsitzung mit großer Mehrheit verabschiedet haben, wieder aufheben. Sowohl ein seit Mitte Mai rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden als auch die von der Rechtsaufsicht im Bautzener Landratsamt vorgebrachten Einwände führten dazu, dass Bürgermeister Matthias Seidel nun noch einmal in der Angelegenheit zur Abstimmung bittet.

Tonnagebeschränkung wird zum Stein des Anstoßes

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Auf der schmalen Ortsverbindungsstraße ist ein sogenannter Begegnungsverkehr schier unmöglich. Fahrzeuge weichen daher auf die Fahrbahnränder aus, die mittlerweile eine Unfallgefahr darstellen.

Und darum geht es: Laut dem ursprünglichen Votum der Bürgervertreter sollte seit Monatsbeginn auf der Ortsverbindungsstraße Pließkowitz – Kleinbautzen durchgängig eine Tonnagebegrenzung von 7,5 Tonnen gelten. Damit wollte die Kommune verhindern, dass die gerade einmal vier Meter schmale Pflasterstraße weiter in Mitleidenschaft gezogen wird. Geld für eine umfassende Sanierung ist im Etat nicht vorhanden. Das stellte die Verwaltung nicht nur einmal klar. Die Verbindungsachse selbst nutzen auch zahlreiche 40-Tonner, um einen anliegenden Steinbruch anzusteuern. Deren tägliche Zahl schätzt eine Bürgerinitiative, die infolge von Staub, Lärm und Detonationen seit Jahren für eine bessere Lebensqualität der Menschen in den angrenzenden Dörfern kämpft, durchschnittlich auf rund 160 Fahrzeuge. „Diese belasten die kleine Pflasterstraße“, betont die Protestbewegung in einem Offenen Brief. „Voll beladene Lkw bedeuten immer mehr Gesteinsabbau. Mehr Gesteinsabbau bedeutet für die Bürger Sprengungen von ungeheurem Ausmaß. Intensive Sprengungen bedeuten immer mehr Schäden an Gebäuden.“

Kommune erhält Rückendeckung aus dem Landtag

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Kurvige, schmale Straße, ausgefahrene Randbereiche, Tempo 70: Dass zwischen Pließkowitz und Kleinbautzen unter diesen Bedingungen in den zurückliegenden Jahren kein Unfall beklagt wurde, gleicht fast schon einem Wunder.

So zogen die Dresdener Richter recht schnell den Schluss, dass mit einer Tonnagebeschränkung einer solchen Entwicklung Einhalt geboten werden sollte. „Es ist daher vorliegend nicht fernliegend, dass die Umsetzung der streitgegenständlichen Anordnung im Ergebnis zu einer Stilllegung des Betriebes der Antragstellerin (Steinbruchbetreiber Pro Stein, Anm. d. Red.) führt.“ Die Gemeinde hingegen hatte sich bei ihrer Argumentation auf mehrere Gutachten gestützt und beantragt, die Klage des Bergbauunternehmens abzulehnen. Der Beschluss zur Tonnagebegrenzung sei „aus Gründen der Verhütung außerordentlicher Schäden an der Straße erfolgt, da deren Zustand ein Eingreifen zu deren Schutz erforderlich mache“. 

Rückendeckung bekommt die Kommune indes von der Landtagsabgeordneten der Linken, Antonia Mertsching. Sie hatte sich in der jüngeren Vergangenheit selbst ein Bild vom Zustand der Ortsverbindung gemacht „Die Schäden an den Straßen zum Steinbruch hin sind offensichtlich“, sagte sie auf Anfrage. „Die Umwidmung der Straße mit der Tonnagebegrenzung durch die Gemeinde in Malschwitz ist von daher zu begrüßen.“

Andere Gemeinden - ähnliche Probleme

Dass deutsche Gerichte solchen Vorstößen hin und wieder einen Riegel vorschieben, zeigt unter anderem ein Beispiel aus Oberbayern. In der Gemeinde Schnaitsee im Chiemgau setzte sich vor sechs Jahren ein Kies-Unternehmen erfolgreich vor dem Verwaltungsgericht München gegen eine Tonnagebegrenzung von 7,5 Tonnen zur Wehr. Auch dort hatten 40-Tonner einer etwa vier Meter breiten Straße so sehr zugesetzt, dass die Kommune Handlungsbedarf sah und eine entsprechende verkehrsrechtliche Anordnung erließ. Deren Berufung hatte im Nachgang keinen Erfolg.

Im Ortsteil Kusey der sachsen-anhaltinischen Stadt Klötze wurde eine Gewichtsbeschränkung ebenfalls zum Streitthema. Allerdings fanden die Protagonisten dort zu einer außergerichtlichen Lösung, wie Gordon Strathausen, Sachgebietsleiter Liegenschaften und Bau, dem Oberlausitzer Kurier berichtete. „Bei der Zufahrt zum Gewerbegebiet Kusey handelt es sich um eine Gemeindestraße innerhalb der Ortslage. Zuständige Verkehrsbehörde ist in diesem Fall die Stadt Klötze. Ein Ratsbeschluss liegt für die Anordnung der Verkehrsbeschränkung nicht vor. Eine solche Entscheidung, sofern aus Gründen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs erforderlich,  ist Angelegenheit der laufenden Verwaltung. Die Anordnung zum Aufstellen der 7,5 Tonnen wurde getroffen und umgesetzt. Im Nachhinein sorgte dies für Unmut bei den ansässigen Gewerbetreibenden. So wurde ein gemeinsamer Termin anberaumt, an dem die Gewerbetreibenden, Anwohner, Ortsbürgermeister und Mitglieder des Ortschaftsrates anwesend waren. Im Ergebnis wurde festgelegt, dass die 7,5-Tonnen-Beschränkung durch eine Geschwindigkeitsbeschränkung von zehn Kilometern je Stunde ersetzt wird.“ Das sei dann auch so geschehen.

Bürgervertreter fordern: Tagebaudörfer sollen von Förderzins profitieren

Wäre solch ein Austausch untereinander nicht auch ein Lösungsansatz für ein besseres Miteinander rund um den Steinbruch Pließkowitz? Fest steht: Dass inzwischen Gerichte über das Schicksal von Tagebauanrainern entscheiden, soweit hätte es nicht kommen müssen. Die Bürgervertreter, die Verwaltung, die Bürgerinitiative und auch der Bergbaubetreiber sind gut beraten, wenn sie endlich (wieder) gemeinsam nach einer Lösung streben – getreu dem Grundsatz „Leben und leben lassen“. Die Idee der Gründung einer treuhänderischen Stiftung, wie sie eigenen Angaben zufolge die AfD verfolgt, wäre ein erster Schritt hin zu einer friedvolleren Koexistenz. Aus dem Stiftungsvermögen, in das auch der vom Bergbaubetreiber an den Freistaat zu entrichtende Förderzins fließen könnte, ließen sich nach Vorstellung der Partei unter anderem die Kosten zur Beseitigung von Gebäudeschäden bestreiten. Denn laut dem Oberbergamt ist aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse nicht mit letzter Gewissheit auszuschließen, dass es sich in den von der Bürgerinitiative angeführten Fällen um Bergschäden handelt. Die Protestbewegung spricht von mehr als 100 Betroffenen rings um den Steinbruch Pließkowitz. Sie soll wiederum bei der Verteilung der Gelder eine tragende Rolle spielen, meint ein Vertreter der AfD.

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Die haushohen Abraumhalden des Steinbruchs säumen die in Mitleidenschaft gezogene Gemeindestraße auf mehreren hundert Metern.

Dafür braucht es letztendlich keine Tonnagebegrenzung, um, greift man an der Stelle die Annahme des Dresdener Verwaltungsgerichts noch einmal auf, die Auswirkungen des Granitabbaus zu regulieren. Nach Auskunft des Wirtschaftsministeriums strich das Land Sachsen im vergangenen Jahr allein aus der Förderabgabe für Naturstein circa 941.000 Euro ein. Ein Teil der jährlichen Summe würde schon helfen, um das Leben in den Tagebauanrainerdörfern wieder ein Stück lebenswerter zu machen und um selbst die Ortsverbindungsstraße in Schuss zu bringen. Noch aber ist es nicht so weit und noch klingen die Stimmen in den Reihen der Bürgerbewegung eher mahnend: „In unserem Land haben Bürger keine Lobby. Man setzt darauf, dass sie alles treu und brav hinnehmen.“ Demokratie wird einmal mehr auf eine harte Probe gestellt.

Roland Kaiser / 25.05.2020

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