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Der letzte Idealist geht in den Ruhestand

Der letzte Idealist geht in den Ruhestand

Dieter Liebig (links) bei der Aufführung eines seiner Stücke in der Unterkirche Kunnerwitz. Der frühere Pfarrer und Landrat hat auch künstlerisch viel bewegt. Foto: Ulrich Wollstadt

Kurz vor seinem 65. Geburtstag im Januar 2017 ist für Dieter Liebig nun auch offiziell als Pfarrer Schluss. Mit dem letzten Gottesmann vor der Abbaggerung von Deutsch-Ossig und dem ersten Görlitzer Landrat zieht sich eine der für die Region streitbarsten Gestalten der vergangenen 30 Jahre in den beruflichen Ruhestand zurück. Für ihn geht es nun ausschließlich auf der Bühne und als Schriftsteller weiter – fast.

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Dieter Liebig (rechts) war immer ein Mann, mit dem man reden konnte – offen, streitbar, vielseitig interessiert. Foto: U. Wollstadt

Görlitz/Deutsch-Ossig/Karlovy Vary (Karlsbad). Wenn Dieter Liebig am Samstag, 17. Dezember, in der Hoffnungskirche Görlitz-Königshufen in die Runde schaut, dann dürfte ihm Vieles bekannt vorkommen. Stammt das Gotteshaus doch zu großen Teilen aus Deutsch-Ossig – jenem Ort, wo der junge Liebig Pfarrer war und nichts unversucht gelassen hatte, die Abbaggerung des Dorfes infolge des näher rückenden Tagebaus Berzdorf zu verhindern. Umsonst. „Der Spiegel“ hatte dazu im Oktober 1992 geschrieben, dass Dorfpfarrer Liebig „wortgewaltig wie Luther gegen das gefräßige Ungeheuer aus der Grube“ gepredigt und in einem „Grünen Requiem“ Folgendes verfasst habe: „Wenn der Bagger die Erde aufreißt, klingt es wie Weinen, schluchzt die Erde wie ein verlassenes Kind.“ Zu Pfingsten 1988 wurde die 200 Jahre alte Kirche entwidmet, Ende August 1989 hörte die Kirchgemeinde auf zu existieren. Inzwischen hat das Gotteshaus in Königshufen einen neuen Standort bekommen, war mühsam über viele Jahre umgesetzt worden.

Liebig denkt noch immer an die Zeit kurz vor und nach der Wende zurück. Er war und ist bis zum letzten Augenblick gern Pfarrer gewesen. „Mein Traumberuf“, wie er heute sagt. „Ich habe schon als Kind viel von der Kirche mitbekommen – an Wissen, an Erfahrungen.“ Allerdings musste er – wie in Deutsch-Ossig – auch Unverhofftes und Schmerzliches verkraften. So als bei der Entwidmung der Kirche keiner der Anwesenden die Leuchter ausmachen wollte. Oder als er mitbekam, dass manche Einwohner der drohenden Umsiedlung durch ihren Freitod entgingen.

Dieter Liebigs Weg führte in das Landratsamt nach Görlitz. Für die „Grüne Liga“ nahm er die Spitzenposition im Landkreis ein, wechselte später zu den Christdemokraten. Ein neuer Abschnitt in seinem Leben, das – wie er selbst sagt – eine Aneinanderreihung von Brüchen war und ist. „Ich dachte damals, ich könnte Deutsch-Ossig als Landrat retten – ein Trugschluss. Das stellte ich schon sehr bald fest.“ Zwei Misstrauensanträge überstand der Kirchenmann, der Deutsch-Ossig eigentlich nie verlassen wollte, nach dem Ende des Ortes aber für den Erhalt der Arbeitsplätze in Kraftwerk und Grube stritt. „Ich habe mir nie etwas aus einer Karriere gemacht, von vielen Chancen in meinem Leben nur sehr wenige genutzt. Wahrscheinlich bin ich der letzte Idealist.“ Eine Wahlperiode reichte Liebig, um einzusehen, dass Politik auf Dauer nichts für ihn war.

Trotzdem bearbeitete er in den Folgejahren für den Landkreis die Bundes- und Europaangelegenheiten, schrieb an maßgeblicher Stelle am ökologischen Energiekonzept für das „Schwarze Dreieck“ mit. Nach seinem Wechsel zum Institut für Energetik Leipzig bekam er es energiepolitisch viel mit den angrenzenden Gebieten in Polen und Tschechien zu tun.

Begleitend jedoch – und zunehmend intensiver – widmete er sich dem Schreiben. „Das habe ich schon immer am liebsten gemacht, zumal der Pfarrer ja auch eine Art Schriftsteller ist und ich als Landrat ebenfalls sehr viel geschrieben habe.“ 1998 führte Dieter Liebig zusammen mit Friedrich Rothe, der die Musik beisteuerte, das Jakob-Böhme-Requiem auf. Als Chef des gleichnamigen Instituts organisierte er die Ehrung des großen Görlitzer Philosophen.

Seit 2001 schlägt sich der Dittersbacher als selbstständiger Schriftsteller durchs Leben, hat mit „(K)ein Weg westwärts“ und „Nathaniel: Die Shaekespeare Companie“ zwei vielbeachtete historische Romane vorgelegt. „Kap der guten Hoffnung“, „Nur das Leben hasst, der Tod versöhnt“ und „Unheilige Allianzen“ sind weitere Werke aus seiner Feder. Parallel dazu hält er noch immer Gottesdienste – in und um Görlitz, wo gerade Not am Pfarrer ist.

Nach dem Tod seiner Frau hat Dieter Liebig erneut einen Bruch vollzogen. Er, der nie weg wollte aus der Region, lebt nun zu großen Teilen des Jahres in Karlsbad, dem tschechischen Karlovy Vary. „Eine wunderbare Stadt. Sämtliche Dichtergrößen waren hier. Und auch ich will mich von der einzigartigen Atmosphäre inspirieren lassen. Ich liebe diese intellektuelle Insel.“ Demnächst sollen Novellen über Karlsbad erscheinen. Im Reformationsjahr 2017 plant er einige Veranstaltungen in der Stadt.
Doch Liebigs Ehrgeiz kennt noch eine weitere Facette: Irgendwann in Zukunft will er nach Berlin gehen. Dorthin, wo schon seine Kinder leben. Die Nähe zur Familie ist aber nicht vordergründig, vielmehr möchte er noch einmal inszenieren. Gerade dort, wo es Toleranz unter den Menschen zu geben scheint. In einer Stadt, die nie zur Ruhe kommt. „Ich möchte etwas Experimentelles machen. Mich ausprobieren, aber nicht auf einer großen Bühne.“

Komplett adieu sagen kann Dieter Liebig trotzdem nicht. Ab Ostern 2017 kehrt er zurück. Zeitweise wenigstens. Denn dann hält er einmal monatlich im Gemeinderaum des Deutsch-Ossiger Pfarrhauses einen Gottesdienst ab. „Damit schließt sich der Kreis für mich. Ich bin wieder da, obwohl es für mich auch anderswo noch so viel zu erledigen gibt.“

Frank-Uwe Michel / 13.12.2016

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