Herr der historischen Großuhren im Umgebindehaus

Stilecht werden die Rechnungen an einer alten Registrierkasse beglichen. Foto: Bettina Hennig
Obercunnersdorf. Der kaputte Regulator von Oma ist viel zu schade zum Wegwerfen. In Obercunnersdorf wird er zum Eintritt in eine ganz andere Welt. Das defekte Uhrwerk führt den Besitzer ein paar Stufen hinauf in ein uriges Umgebindehaus im Denkmalort. Hier beginnt das Reich von Paul Morgenstern, ein junger Uhrmachermeister, der sein Handwerk nicht nur liebt, sondern auch lebt. Paradox ist, obwohl er mit großer Leidenschaft historische Uhren wieder zum Laufen bringt, meint man erst einmal, hier am Dorfbach 5, sei die Zeit stehen geblieben. Aber der Reihe nach.
Dass Paul einmal die Woche in Obercunnersdorf Kunden mit historischen Zeitmaschinen begrüßt, hat zunächst einmal eine traurige Vorgeschichte. Bis vor kurzem war das Umgebindehaus die Wirkungsstätte von Achim Szokoli, ebenfalls Uhrmacher. Als dieser ganz überraschend im Herbst des letzten Jahres verstarb, warteten noch zahlreiche Kundenaufträge auf ihre Erledigung. Seine Tochter wandte sich hilfesuchend an den jungen Uhrmachermeister aus dem Nachbardorf. Er hatte in seinem Wohnhaus eine kleine Werkstatt eingerichtet und reparierte neben seinem Vollzeitjob bei einem Juwelier historische Uhren. Beim ersten Besuch von Paul Morgenstern in dem nun leestehendem Haus samt Werkstatt hatte er wahrscheinlich noch keine Ahnung, was alles noch kommen sollte. Das hübsche Umgebindehaus am Dorfbach bot viel mehr Potenzial für eine Uhrmacherwerkstatt als sein Zuhause. Ungünstig dort war vor allem die Lage der Werkstatt im Obergeschoss, für Kundenbesuche und den Transport von großen Pendeluhren war dies sehr ungeeignet. Bei Paul Morgenstern entwickelte sich schnell eine Vision. Als Sammler alter Uhren, Uhrmachertechnik und Werkzeugen würde das Haus genügend Platz bieten, um sich einen absoluten Traum zu erfüllen, die Einrichtung einer Schauwerkstatt und ein kleines Uhrenmuseum. Der Zufall wollte, dass das Haus am Dorfbach eines der seltenen Doppelblockstubenhäuser ist. Das heißt Museum als auch Werkstatt könnten jeweils in einer Blockstube eingerichtet werden. Nach Gesprächen wurde sich Paul Morgenstern mit der Erbin einig und erwarb das Haus. Dass so schnell in einem noch dazu so seltenen Beruf eine direkte Nachfolge möglich war, hätte im Ort niemand vermutet. „Im Moment arbeite ich hier am Dorfbach noch zahlreiche Kundenaufträge meines Vorgängers ab. Auch er sammelte Uhren zur Ersatzteilgewinnung. Oft haben seine Reparaturaufträge keine Zettel mit Namen, sodass ich vor der Herausforderung stehe, manche Uhren nicht zuordnen zu können. Wer noch eine Uhr bei Achim Szokoli abgegeben, aber noch nicht abgeholt hat, möge sich doch bitte kurz bei mir melden“, lässt der neue Eigentümer des Hauses wissen.
Die ersten Möbel und Werkzeuge, wie die alte Handdrehbank, sind schon eingezogen. Einmal in der Woche, ab Juni jeden Montag ab 13.00 Uhr, ist nun Paul Morgenstern in Obercunnersdorf anzutreffen. Arbeit wartet eine Menge auf ihn. Sein Kundenstamm hat eine große regionale Ausdehnung, denn sein Wissen und seine Erfahrung sind sehr umfangreich, auch wenn er vor kurzem erst seinen 23. Geburtstag gefeiert hat.
Gerade wird ein Kirchturmuhrwerk der damals renommierten J.F. Weule Turmuhrfabrik und ansässig in Niedersachsen aus dem Jahr 1924 wieder flott gemacht. Zum ersten Mal übrigens, was ein Verweis auf die damalige Qualität und Präzision der Uhren bedeutet.
Historischer Schatz
Beim Stichwort Kirchturmuhr hat Paul Morgenstern eine ganz besondere Geschichte zu erzählen. Im Zuge der Sanierung der Bergkirche in Oybin bekam der Glockenturm auch ein neues Uhrwerk. Das alte war schrottreif und sollte damals entsorgt werden. Beherzt wurde es in den 70er Jahren von einem Uhrenliebhaber gerettet und lagerte Jahrzehnte unbeachtet auf dem Dachboden. Da der Retter die Restaurierung nicht selbst ausführen konnte, übergab er das Uhrwerk schließlich an Paul. In den vergangenen Jahren flossen zahlreiche Arbeitsstunden in die Wiederherstellung. Das schwierige Projekt ist gelungen und das ehemalige Uhrwerk aus der Bergkirche in Oybin wird sicher eins der Highlights im neuen Uhrenmuseum werden.
Seit Kindertagen eine große Faszination für Uhren und Altes
Schon seit Kindertagen haben es ihm Uhren angetan. Eine familiäre Prägung für die besondere Vorliebe für Uhrwerke gibt es übrigens nicht. Bereits im Grundschulalter reparierte er mehrmals den Kurzzeitwecker, der als Signalgeber für die Beendigung der Mittagsruhe im Hort eingesetzt wurde. Ein Schülerpraktikum führte ihn zum ersten Mal in eine richtige Uhrmacherwerkstatt. Darauf folgte die Ausbildung zum Uhrmachergesellen in der Uhrmacherschule Glashütte. Danach blieb er in Glashütte und es folgte der Berufseinstieg bei A. Lange und Söhne. Viele hochwertige Uhren und Chronographen hielt Paul in dieser Zeit in den Händen. „An manchen Tagen lagen 10 Modelle einer 200.000 Euro teuren Uhr an meinem Arbeitsplatz. Schon in meiner Ausbildung war höchste Präzision zu jeder Minute gefordert“, erinnert er sich an diese Zeit. „Ein ganz besonderer Moment in Glashütte war, als ich einmal die mit circa 1,9 Millionen Euro Verkaufspreis angegebene Grand Complication von A. Lange und Söhne in den Händen halten durfte. Das ist eine der teuersten Uhren, die in Deutschland hergestellt werden.“ Bereits in der Ausbildung bewarb sich Paul erfolgreich für das Begabtenstudium vom Freistaat Sachsen, welches ihm das Meisterstudium ermöglichte. „Diesen Tag werde ich nie vergessen. Nach der Gesellenprüfung wurde ich von A. Lange und Söhne übernommen und hatte meinen ersten Arbeitstag. Am gleichen Tag fand die feierliche Überreichung des Gesellenbriefs statt als auch das erste Treffen der Meisterkursteilnehmer“, berichtet er. Nach dem erfolgreichen Ablegen der Meisterprüfung ging es für Paul Morgenstern wieder zurück in die Oberlausitz.
Über die Jahre kaufte er immer wieder Inventar aus alten Uhrmacherwerkstätten auf, inklusive der historischen Fachliteratur. Besonders angetan haben es ihm die Gründerzeituhren mit ihren wertigen Materialien, den eleganten Erscheinungen und dem andächtigen Pendelrhythmus nebst sattem Geläut. Aber auch die Reparatur viel älterer Modelle ist kein Problem. „Für eine Uhr von 1730 kann ich mit den zeitgenössischen Originalwerkzeugen problemlos Ersatzteile fertigen ohne dass man einen Unterschied zu damals erkennen würde“, erzählt er mit Blick auf eine alte, handbetriebene Fräsmaschine.
Überhaupt ist Altes genau nach seinem Geschmack. Geschäftskorrespondenz wird selbstverständlich auf der Schreibmaschine erledigt, beim Kassenvorgang kommt eine 80 Kilogramm schwere, aber immer noch leichtgängige alte Registrierkasse zum Einsatz. Teurere Exemplare werden in einem doppelt gesicherten und mehr als mannshohen Panzerschrank aus dem Jahr 1890 verwahrt. Und auch privat mag er den Einrichtungsstil der Gründerzeit, der zwischen 1880 und 1900 liegt. Eine komplette Werkstatt einzurichten, die die Besucher in die gute, alte Zeit entführt und eher an eine Filmkulisse als an einen Arbeitsplatz eines Mittezwanzigjährigen erinnert, ist problemlos möglich. Nächstes Jahr zum Tag des offenen Umgebindehauses will Paul Morgenstern seine historische Schauwerkstatt und das Uhrenmuseum einweihen.