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Ein Görlitzer berät Deutschlands Jugend

Ein Görlitzer berät Deutschlands Jugend

Der Anrufer weiß nicht, dass er mit Görlitz verbunden ist, Lukas Kotzybik in Görlitz weiß nicht, woher sein Gesprächspartner anruft. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Ob Angst vor der Zeugnisausgabe, Liebeskummer oder Mobbing auf dem Schulhof. Am Kinder- und Jugendtelefon Görlitz nimmt man sich der Sorgen der Heranwachsenden an. Und das bundesweit!

Görlitz. Wenn das Telefon klingelt, weiß ich meist nicht, von woher der Anrufer stammt“, sagt Lukas Kotzybik, der Koordinator des Kinder- und Jugendtelefon des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) in Görlitz und selbst ehrenamtlicher Helfer bei dieser Aufgabe. Viele kennen – zumindest vom Hörensagen – die „Nummer gegen Kummer“, die 116111, doch dass man als Anrufer bundesweit eine Beratung aus Görlitz erhalten kann, wissen nicht viele.

Hintergrund dafür ist, dass bundesweit etwa 90 Beratungsstellen zusammengeschaltet sind. „Ob der Anruf nun aus Stuttgart, Berlin, Rostock oder ganz zufällig doch aus Görlitz stammt, weiß ich nicht. Das gehört auch zu dem Ethos des Kinder- und Jugendtelefons einfach dazu“, betont Lukas Kotzybik, der über das Telefondisplay keine Möglichkeit hat, den Standort des Anrufers herauszufinden oder auf eine andere Weise eine Rückverfolgung der Nummer vorzunehmen. Letztlich erfolgt die Schaltung der Gespräche elektronisch nach einem Zufallsgenerator, der einen Görlitzer Hilfesuchenden so auch nicht unbedingt zum ASB in den Grenzweg durchschaltet, sondern vielleicht nach Erfurt, Freiburg, Regensburg oder Löbau, dem von Görlitz aus nächsten Standort des Netzwerkes.

„Allenfalls ein Dialekt gibt mir hier vielleicht Hinweise, aus welcher Region mein Anrufer stammt“, sagt Lukas Kotzybik. Im Verlaufe eines Gespräches, kann der Standort dennoch natürlich eine Bedeutung gewinnen. „Wenn ich beispielsweise auf ein Vor-Ort-Beratungs- oder Betreuungsangebot hinweisen möchte, da absehbar ist, dass es mit telefonischem Zuspruch oder einem Ratschlag nicht getan ist, frage ich natürlich schon nach dem Wohnort“, sagt der ASB-Berater. Aber auch dann bleibe die Anonymität natürlich gewahrt, da das Gespräch nur soweit geht, wie dies ein Anrufer wünscht.

Die Angst vor der Zeugnisausgabe, Liebeskummer oder Mobbing seien die gängigsten Probleme, zu denen sich mitunter verzweifelte Kinder und Jugendliche anonym melden. „Ich stelle allerdings fest, dass das Thema Mobbing heute sehr oft mit dem verbunden ist, was die jungen Leute mitunter über soziale Netzwerke über sich preisgeben“, betont Lukas Kotzybik. Die mitunter bedrohliche Offenheit macht auch ein ganz anderes Phänomen zu einem häufigen Problem: Internetbekanntschaften. Letztlich ein heikles Thema, da sich am anderen Ende der Internetleitung auch Erwachsene verbergen können, die Kinder als Spielball ihrer Begierden umschmeicheln.

„Das Thema Mobbing war für mich kürzlich in einem Telefonat sehr hart“, berichtet der in Kattowitz (Katowice) geborene Kotzybik, der – in Niedersachsen aufgewachsen – über ein Bachelorstudiengang der Sozialwissenschaften in Fulda zu einem Masterstudiengang „Management Sozialen Wandels“ vom östlichen Rand Schlesiens an dessen westlichen Rand nach Görlitz gekommen ist. Für den jungen Oberschlesier stellt sein 20-Stunden-Engagement beim ASB einen beruflichen Einstieg sowie eine Teilfinanzierung seines Studiums dar. Zeit für ehrenamtliches Engagement darüber hinaus bleibt dennoch.

Der durch Mobbing gepeinigte Anrufer berichtete, dass weder sein Klassenlehrer das Thema ernst nehme, noch die Eltern. Sie böten keinen Rückhalt und forderten nur, dass ihr Kind Härte entwickeln müsse. „In diesem Falle habe ich eine Beratungsstelle empfohlen, insofern musste ich hier also den Wohnort erfragen, der sich als Essen im Ruhrgebiet herausstellte“.

Ganz unscheinbar befindet sich Kotzybiks Dienstzimmer im Tiefparterre am Eingang des Betreuungs- und Sozialdienstes am Grenzweg in Rauschwalde. Um 18.00 Uhr beginnt Lukas Kotzybik hier üblicherweise seinen ehrenamtlichen Dienst mit einer Tasse Kaffee und wartet auf die ersten Anrufe. „Man kann sich das hier nicht so vorstellen wie in einem Callcenter“, sagt er, „es geht hier nicht Schlag auf Schlag. Manchmal wartet man 10 bis 15 Minuten auf einen Anruf. Manchmal folgen aber auch drei Schlag auf Schlag nacheinander.“
Kotzibik beteuert: „Da wir am Telefon arbeiten und keinen direkten Kontakt mit den Kindern und Jugendlichen haben, können wir sie nicht an die Hand nehmen. Wir erfahren im Grunde nie, wie es für die Anrufenden weitergeht, denn durch den Zufallsgenerator bei der Zuordnung der Anrufe kommt es sehr selten vor, dass man einen früheren Anrufer selbst noch einmal am Hörer wiedererkennt“.
Letztlich sei aber gerade diese Anonymitäts sehr wichtig, denn nur so könnten Probleme und Sorgen ungezwungen angesprochen werden.

„Als Telefonberater bekommt man professionelle Schulungen, dennoch muss und kann man nicht alles wissen. Während der Telefonate google ich also auch selbst nach Angeboten, auf die ich hinweise. Bei kleineren Problemen genügt hingegen aktives Zuhören und die Möglichkeit den Ballast von der Seele reden zu können. Das hilft besonders wenn es um Prüfungen oder Noten geht“, sagt der gebürtige Kattowitzer.
Wenige Minuten nach dem ersten Anruf klingelt erneut das Telefon. Ein Schüler möchte sich aussprechen. Die Lehrer aus seiner Schule haben ihm geraten Nachhilfe zu nehmen. „In diesem Fall hat es geholfen dem Jungen zuzuhören. Auf eine Lösung für sein Problem kam er beim Reden selbst“, fasst Kotzybik nach dem Telefonat zusammen.

Ganz so einfach ist es bei vielen Telefonaten natürlich nicht und dies kann auch bei den Beratern zu einer emotionalen Belastung führen. Dafür steht dann im Ernstfall ein Hintergrunddienst bereit, an den sich auch die Ehrenamtlichen wenden können. Darüber hinaus bekommt man, wenn man sich für das Ehrenamt entscheidet, eine umfangreiche Ausbildung, sowie regelmäßige Supervisionen und Schulungen. „Man kann also nicht nur Kindern und Jugendlichen helfen, sondern lernt auch selbst eine Menge“, wirbt Kotzybik um neue Helfer. Es gäbe letztlich nicht viele ehrenamtliche Tätigkeiten, in denen man so wachsen könne wie in diesen. Zwei Stunden und acht Telefonate später endet der Telefoneinsatz von Lukas. Nächste Woche wird er wieder eine Zwei-Stunden-Schicht übernehmen, um Kindern und Jugendlichen sein offenes Ohr zu leihen.

Wer Interesse an einem Ehrenamt beim Kinder- und Jugendtelefon hat, kann sich bei Lukas Kotzybik per E-Mail L.Kotzybik@asb-gr.de oder unter der Telefonnummer 03581/735-135 am Montag, Donnerstag oder Freitag zwischen 10.00 und 16.00 Uhr melden. Ein Helfer muss mindestens 20 Jahre alt sein, an einer Schulung im Sommer teilnehmen und „emotionale Kompetenz und Resistenz“ mitbringen. Dazu findet ein Vorgespräch beim ASB statt. Derzeit hat der ASB Görlitz etwa ein Dutzend Helfer am Kinder- und Jugendtelefon, die monatlich mindestens für vier Stunden zur Verfügung stehen. „Nach oben ist alles offen“, betont Kotzybik, der darauf hinweist, dass Schichten von 14.00 bis 16.00, von 16.00 bis 18.00 Uhr und von 18.00 bis 20.00 Uhr übernommen werden können, denn die Nummer gegen Kummer 116111 ist von Montag bis Freitag von 14.00 bis 20.00 Uhr erreichbar.

Redaktion / 27.01.2018

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