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Görlitz hatte eher einen Fußballklub als München

Görlitz hatte eher einen Fußballklub als München

Aufgebaut ist schon, eröffnet wird die Ausstellung von Till Scholtz-Knobloch (Foto) jedoch erst am 9. September. Foto: Uta Lothert

Anlässlich des Tages des Offenen Denkmals wird in der VHS am Standort Hainwald 8 am 9. September um 15.00 Uhr eine Ausstellung zur „Breslauer Fußballarchäologie“ eröffnet, die dort bis Ende Oktober zu sehen sein wird. Till Scholtz-Knobloch, Redakteur beim Niederschlesischen Kurier, hat sie erstellt. Verleger Alfred Theisen (Schlesien heute) befragte Scholtz-Knobloch u.a. zu Görlitzer Bezügen.

Herr Scholtz-Knobloch, wie kommt man dazu, eine Ausstellung über den Breslauer Vorkriegsfußball zu entwickeln?

Till Scholtz-Knobloch: Hier kommt einiges zusammen. Als die Fußballeuropameisterschaft 2012 in Breslau stattfand, war ich als Redakteur in Polen tätig. Schon mein Breslauer Großvater war Fan des SC Hertha 1915 Breslau, der zwar nicht der Spitzenklub der Stadt war, jedoch die heißblütigsten Fans gehabt haben soll, die in viele Raufereien verwickelt waren. Als Fan hab ich mich also selbst involviert gesehen.
Ich habe daher die Fußballgeschichte der Stadt erforscht. Mir war es als Magister der Geschichte wichtig, nicht einfach Ergebnisse zusammenzustellen, sondern in Breslau eine Ausstellung zu zeigen, die Fußball als Teil der Sozialgeschichte erlebbar macht. So entstand die Idee im Trend der Zeit, ästhetische Aufnahmen von „Lost Places“ – heute oft kaum mehr erkennbaren Stadien – mit Informationen über den sozialen Hintergrund von Vereinen und ihren Stars in Zusammenhang zu bringen. 2012 war die zweisprachige Ausstellung u.a. in der Breslauer Fußgängerzone zu sehen. Viele Menschen, die sonst nie in ein Museum gehen, waren verblüfft, auf diese Weise etwas vom Alltag ihrer Stadt vor dem Krieg zu erfahren.

Nennen Sie uns ein Beispiel, wieso das Sozialgeschichte ist?

Till Scholtz-Knobloch: Nehmen wir das Stadion vom heute führenden Klub der Stadt WKS Slask vor dem Bau der EM-Arena. Dieses war nach dem 1. Weltkrieg für von den Nazis später verbotene Arbeitersportklubs angelegt worden. Die Nazis siedelten dort die aus zwei ehemaligen Halbfinalisten der Deutschen Meisterschaft, den Vereinigten Sportfreunden und dem BSC 08, zwangsfusionierte Breslauer SpVg 02 an. Damit versuchte man milieubedingte Verankerungen zu sprengen und auch mit den Sportfreunden einen jüdisch-großbürgerlich geprägten Klub auszumerzen, der durch den Unternehmer und Kunstmäzen Leo Lewin groß geworden war. Immerhin, dieser Platz fällt in meiner Ausstellung etwas aus dem Rahmen. Ihn gibt es ja noch, womit „Fußballarchäologie“ hier nicht ganz passt.

Was meinen Sie mit dem Begriff „Fußballarchäologie“?

Till Scholtz-Knobloch: Macht man sich mit alten Stadtplänen auf die Suche, muss man auch Baugeschichte „lesen“. Die schwache Neigung von Zuschauerrängen ist typisch für eine alte deutsche Bauweise, die bewusst nicht die Emotion steiler Traversen des englischen Sports aufgreifen wollte, sondern eher in die Landschaft eingebettet die Antike verklärte (so z.B. Carl Diem). Pappelreihen als Begrenzung sonst verwilderter Areale sind ebenso typisch. Für die haargenaue Lokalisierung des Ortes des Endspiels der deutschen Meisterschaft von 1909 müsste ich eigentlich mal ins Breslauer Katasteramt. Den Ort als solchen habe ich lokalisiert, nur weiß ich bislang nicht die Ausrichtung der Tore. Heute ist dort ein Straßenbahndepot und ein Park.

Was verrät die Ausstellung dem Görlitzer Publikum?

Till Scholtz-Knobloch: Der Görlitzer Fußball ist erst seit 1945 nach Sachsen hin ausgerichtet. Görlitz gehörte zusammen mit dem übrigen Schlesien, der Niederlausitz und anfangs auch Posen dem Südostdeutschen Fußballverband an. Mich ärgert, dass immer nur über die Geschichte von Motor WaMa zu hören ist, aber niemand mehr vom Pionier SC Preußen 06 spricht, der sich als STC 06 später in der Gauliga Schlesien vor allem mit den großen Breslauer Klubs duellierte. In dem Zusammenhang: Nach dem Niedergang von Gelb-Weiß, dem gleichzeitigen Abstieg von Germania und dem KS Nysa Zgorzelec sowie dem Rückzug der Silesia-Frauen ist eine Stadt dieser Größenordnung auf einem völlig indiskutablen Niveau angekommen. Anderenorts bündelt man wie derzeit in Düren im Rheinland gar auf Initiative und unter Vorsitz des Landrats die Kräfte. Wieso nicht mit einem SC Preußen 06 mit preußischem Alleinstellungsmerkmal innerhalb Sachsens einen Neustart in der Stadt wagen? Als Europastadt könnte man hier theoretisch auch etwas ganz Revolutionäres wagen und einen solchen Verein als SC Preußen 06 Zgorzelec mit polnischen und deutschen Spielern durch die polnischen Spielklassen schneller nach oben bringen – aber auch, wenn man nur am Westufer bleibt, kann es so nicht weitergehen sage ich als Fan. Denn eigentlich kann ich auch mit einer WM wenig anfangen. Ein Fan hat einen Verein, den er Wochenende für Wochenende begleitet. Er lässt sich nicht alle Jahre mal von einem Event überrollen, bei dem dann alle auf einmal meinen Fans zu sein.

Görlitz spielt aber in der Ausstellung keine Rolle, oder?

Till Scholtz-Knobloch: Das stimmt. 2012 stand Görlitz bei der Konzeption ja nicht auf der Agenda. Allerdings wäre die Stadt noch ein fantastisches Feld für Quellenforschung. Ein erst 2016 erschienenes Buch, das den Dresden Football Club als ältesten kontinentaleuropäischen Fußballklub entlarvte, belegt am Rande, dass am Görlitzer Gymnasium schon 1895 ein Fußballklub bestand – damit hat die Stadt früher zum Fußball gefunden als Breslau oder München. Görlitz hat diese Sensation interessanterweise bislang noch gar nicht richtig erreicht.

Redaktion / 30.08.2018

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Kommentare zum Artikel "Görlitz hatte eher einen Fußballklub als München"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. MV Radi schrieb am

    Danke für das sehr interessante Interview. Hoffentlich sehen möglichst viele Leute diese Ausstellung. Dass diese am bundesweiten Tag des Offenen Denkmals eröffnet wird, ist ein klug gewählter Zeitpunkt.
    Als Autor des im Beitrag erwähnten Buches über den 1873 gegründeten Dresdner Football Club kurz folgende kleine Korrektur: Ich konnte belegen, dass der D.F.C. nicht der älteste Fußballclub auf dem Kontinent ist, denn die Gentlemen spielten die ersten Jahre Rugby. Der bislang älteste Nachweis für Fußball in unserem Sinne in Deutschland stammt aus Lüneburg und datiert in den August 1875. Denn auch der allseits bekannte Braunschweiger Lehrer Konrad Koch ließ 1874 seine Schüler Rugby und nicht Fußball spielen.

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