Direkt zum Inhalt springen
Info & Kommentare

Ja, wo verläuft denn nun die Flurgrenze am Schöps?

Ja, wo verläuft denn nun die Flurgrenze am Schöps?

War das mal ihr Baum oder nicht? Eine von vielen Fragen, auf die Angelika Ludwig aus Horka am Weißen Schöps gerne eine verlässliche Antwort hätte. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Haben Bürger überhaupt eine Chance, Baumpflegearbeiten an Fließgewässern in Frage zu stellen? Angelika Ludwig aus Horka ist jedenfalls frustriert.

Alternativer Text Infobild

Die Landestalsperrenverwaltung gab mit dieser Karte ihre Eigentumsverhältnisse am Weißen Schöps in Horka an. Quelle: LTV

Horka. „Am 12. Januar fuhr ein Containerfahrzeug und ein Hubsteiger über das Feld bis auf Höhe unseres Grundstückes, das die Arbeitskräfte ohne Vorankündigung betraten“, berichtet Angelika Ludwig, die mit ihrem Ehemann am südlichen Ortseingang von Horka direkt am Weißen Schöps lebt. Auf ihre Nachfrage sei ihr erklärt worden, dass im Auftrag der Talsperrenverwaltung (LTV) eine Baumfällung vorgenommen werde. „Den Baum, den sie sich ausgewählt hatten, war eine hochgewachsene Erle mit intakter Krone und einer begrenzten Schadstelle am Stammfuß, die überwallt war“, fügt sie an. Sie habe in einem Schreiben an die LTV in Pirna gegen die Fällung protestiert, „da der Baum oberhalb der Böschungskante und nicht unterhalb der mittleren Uferlinie stand und damit auf unserem Grundstück unser Eigentum war.“ Sie fühle sich ohnmächtig, da das staatliche Handeln einfach so stattfände, ohne dass man noch irgendetwas gegen eine solche Aktion tun könne.

Erst wenige Tage vor dem Ortstermin mit der Redaktion hatte diese vom Staatsbetrieb und Behörde des Sächsischen Staatsministeriums für Umwelt und Landwirtschaft zugleich eine Pressemitteilung erhalten. „Die Landestalsperrenverwaltung Sachsen hat auch im Jahr 2023 die Unterhaltung und Instandsetzung ihrer wasserwirtschaftlichen Anlagen, die Pflege und naturnahe Entwicklung der Fließgewässer 1. Ordnung, die Beseitigung von Hochwasserschäden und die Umsetzung von Hochwasserschutzprojekten sowie Maßnahmen des Sächsischen Auenprogramms erfolgreich vorangebracht“, lobt sich die LTA darin selbst und erinnert an einige Schlaglichter der hydrologischen Geschehnisse 2023. „Durch das häufigere Auftreten von zu wenig oder zu viel Wasser gewinnt ein effektives Wassermanagement immer mehr an Bedeutung“, blickte der Geschäftsführer der LTA Sachsen, Eckehard Bielitz, auf das vergangene Jahr zurück. Hochwasserschäden hätten 2023 weitgehend vermieden werden können.

Angelika Ludwig stellt die Sinnhaftigkeit solcher Tätigkeiten und auch die 104,3 Millionen Euro für Erhaltungsarbeiten im Vorjahr an sich gar nicht in Frage. An den Fließgewässern entfielen davon rund 11,3 Millionen Euro auf die Werterhaltung und rund 43,1 Millionen Euro auf den Neubau und die Sanierung von Hochwasserschutzanlagen, so die LTV, die weiter ausführte: „Rund 18,7 Millionen Euro wurden für die Beseitigung von Hochwasserschäden an Flüssen und Stauanlagen aufgewendet. Für Gewässerentwicklungsprojekte und das Sächsische Auenprogramm wurden rund 9,2 Millionen Euro investiert. Etwa 20,3 Millionen Euro wurden für Sanierung oder Instandhaltung eingesetzt. Weitere 1,7 Millionen Euro wurden in die Umsetzung der Hochwasserrisikomanagementrichtlinie und die Erarbeitung von Gewässerentwicklungskonzepten ausgegeben.

Auslastung von Maschinen

In einer Zeit, in der alle über das Klima reden würden, dürfe man aber auch nicht leichtfertig mit vermeintlich störendem Bewuchs an den Flussläufen umgehen, meint Angelika Ludwig in eigener Sache als Frau vom Fach – schließlich hat sie selbst viele Jahr im Görlitzer Grünflächenamt in ökologischen Fragen, wenn auch ohne Fließgewässer – Einschätzungen bei Ortsterminen vorgenommen. Nun im Ruhestand stellt sie zudem fest: „Außerdem rechtfertigte der Zustand des Baumes keine Fällung. Der Mitarbeiter der Baumpflegefirma rief jedenfalls seinen Chef an. Er bestand aber auf der Fällung. Der Mitarbeiter erklärte mir, dass der Auftrag ausgeführt werden müsse, sonst bekomme die Firma keine Aufträge von der Talsperrenverwaltung mehr.“ Und sie mutmaßt: „Eigentlich müsste man annehmen, einer Baumpflegefirma geht es vorrangig um die Pflege und Erhaltung der Bäume. In Wirklichkeit ist es die Auslastung riesiger Maschinen und damit geht es ums Geld.“

Sie sei sich sicher, hier sei nicht der einzige Baum gefallen, der bei der Aktion unnötig dran glauben musste. „Am Stamm des gefällten Baumes zeigt sich, dass die Standfestigkeit der Erle nicht beeinträchtigt war. Das wurde mir vom ausführenden Sägeführer sogar bestätigt. Die Fällung war Schikane und Diebstahl zugleich“, stellt sie ein anderes Attest über die Arbeiten aus als die LTV gegenüber der Redaktion auf deren Anfrage. Doch dabei blieb es nicht. Auch die Redaktion musste im zähen Austausch mehrer Anfragen und letztlich einem Telefonat quasi in letzter Minute vor dem Druck hart um Aufklärung ringen, nachdem das Thema zunächst sogar – mit zahlreichen Fragezeichen behaftet – um eine Woche geschoben werden musste.

Im Kern schälte sich heraus, dass sich zwei gegensätzliche Auffassungen zum Eigentum am betreffenden Flurstück gegenüberstehen. Angelika Ludwig hatte der Redaktion erläutert, dass sie bei einem ungefähren mittleren Wasserstand des Schöps den Fußstamm auf ihrem Flurstück sehe, denn die Böschungsschräge sei nicht so steil, dass der Stammfuß das Wasser üblicherweise überragt hätte.

Zunächst hatte die LTV auch nur mit der nebenstehenden Karte ihr Eigentum am Flusslauf ausgewiesen, doch auch auf Nachfrage nicht gleich bekannt, dass das Ufer eben nicht identisch mit dem Verlauf der Grundstücksgrenze sei. Dies scheint an sich nicht ungewöhnlich zu sein, da durch Uferabrutschungen oder Aufschwemmungen auch Nuancen entscheidend werden können. Bei einem Blick über das ’Geoportal’ des Freistaates ist etwa ersichtlich, dass der leicht westlich vom Weißen Schöps verlaufende Neugraben im Grenzverlauf deutlich zu seiner Uferkante abweicht und die Grenze wohl einstigen Mäandern folgt. Im Falle des Weißen Schöps half die Karte nur eben in keiner Weise, da es hier scheinbar um Millimeterarbeit gehen dürfte. Dies konnte aber auch erst in einem Telefonat nach drei schriftlichen Anfragen und fernmündlichem Kartenabgleich als mutmaßliche Ursache der Dissonanz ausgemacht werden. Damit stellte sich abschließend jedoch auch die Frage, ob die Kommunikation des eigenen Standpunktes mehr Pokerface als Transparenz folgt.

Wer ist Eigentümer?

Zuvor hatte es auf eine schriftliche Nachfrage gehießen: „Nach nochmaliger Überprüfung auf den vorliegenden Liegenschaftskarten und vor Ort stand der streitgegenständliche Baum auf dem Grundstück des Freistaates Sachsen“. Es folgte die Angabe der Koordinaten. Daneben betonte die LTV: „Da die Uferlinie nicht identisch ist mit der Grundstücksgrenze und der Wasserstand keinen konstanten Wert beschreibt, da dieser je nach Abfluss schwankt, ist die Lage des Baumstumpfes letztendlich nicht maßgebend. Entscheidend ist in diesem Fall die Grundstücksgrenze und diese wurde im Vorfeld der erforderlichen Fällung geprüft.“

Nur ist der Anwohner eben auch kein Geometer und damit im Grunde an der Uferkante gegenüber einer Amtsperson bildlich gesprochen nicht wirklich satisfaktionsfähig. Und wer gibt schon ein teures Rechtsgutachten in Auftrag, um eine Messung im Gelände in Frage zu stellen? Zumal die eigentlichen Arbeiten dann ja auch längst erledigt sind.

Fehlende Grenzsteine

Angelika Ludwig und ihr Mann Andreas Ludwig ärgert aber genau das besonders. Der Umstand, dass man überfahren eigentlich im Falle solcher Arbeiten nur dumm dastehen kann. Andreas Ludwig wandte sich in einem zweiten Schreiben an Staatsbetrieb/Behörde LTV und führte darin unter anderem aus: „Zwischen den beiden Grenzsteinen an den angrenzenden Flurstücken gibt es keine entlang des Gewässers. (...) Im Schreiben an Herrn Scholtz-Knobloch (Autor dieser Zeilen) stellen Sie Ersatzpflanzungen in Aussicht. Erfolgen diese am Standort der gefällten Bäume und auch bei Fällungen auf Privatgrundstücken?

In dieser Frage bleibt auch die Redaktion am Ende faktisch ahnungslos. Diese hatte bei der LTV selbst gefragt: „Sie hatten am 7. Februar bereits mitgeteilt, dass Flurschäden, „die nachweislich aufgrund der Fällung entstanden sind, (…) durch die von der Landestalsperrenverwaltung beauftragten Fachfirma beseitigt werden würden. Wer nimmt diese Feststellung von Flurschäden allgemein vor und speziell auch in diesem Fall?“ Darauf hieß es allgemein: „Flurschäden werden gemeinsam mit dem Flurstückseigentümer, dem Verursacher und der Landestalsperrenverwaltung dokumentiert und deren Beseitigung auf Kosten des Verursachers bei entsprechender Witterung ausgeführt. In diesem Fall ist es eine von der Landestalsperrenverwaltung beauftragte Fachfirma. Im Moment kann diese Flurschadensbeseitigung aufgrund der nassen Witterung nicht durchgeführt werden, da ein Befahren der Fläche nicht möglich ist.“

Als konkreten Mangel im Fall der Erle sehen die Ludwigs eine Beeinträchtigung des bisherigen Landschaftsbildes. Verdeckte Sichtachsen, Sichtschutz oder der Schutz vor direkter Sonneneinstrahlung wachsen oder bilden sich bekanntlich über viele Jahre. Wie steht es also um das Bemühen etwaige Flurschäden genau zu beseitigen? Aber auch hier bleiben die Ludwigs ratlos. In der Antwort heißt es: „Die Neuanpflanzungen werden nach erfolgten Baumfällarbeiten an geeigneter Stelle mit den zuständigen Behörden abgestimmt und durchgeführt. Dabei werden standorttypische Bäume insbesondere auch für die Beschattung ausgewählt und gepflanzt.“

Welche Ersatzpflanzung ist eigentlich geeignet?

Mit anderen Worten: Eine geeignete Stelle liegt wiederum im Blickwinkel der LTV. Die „geeignete Stelle“ dürfte meist eher nicht die identische Stelle sein. Angelika Ludwig meint bereits eine Stelle am Schöps ausfindig gemacht zu haben, an der bereits einmal eine Ersatzsammelbepflanzung vorgenommen worden sei. Und da sich diese in hydrologisch ungünstiger Lage befände, seien die Bäume dort bislang auch nicht wirklich gut angewachsen. Dabei leitet sich der Name des Schöps vom mittelhochdeutschen Wort ’schöp’ ab, was so viel wie „Sumpf“ oder „feuchtes Gelände“ bedeutet.
Den Sumpf sehen die Ludwigs an anderer Stelle und manche Facetten des Hauptmanns von Köpenick liegen nahe. Der Bürger wird eben schlecht zum Gutachter, der dem öffentlichen Gutachten irgendetwas entgegensetzen kann. Und das macht den Fall exemplarisch eben interessanter als der vergleichsweise unbedeutende Wert von vielleicht einem Quadratmeter Stück Erde mit Baum.

Till Scholtz-Knobloch / 18.02.2024

Schlagworte zum Artikel

Was sagen Sie zu dem Thema?

Schreiben Sie uns Ihre Meinung

Die Mail-Adresse wird nur für Rückfragen verwendet und spätestens nach 14 Tagen gelöscht.

Mit dem Absenden Ihres Kommentars willigen Sie ein, dass der angegebene Name, Ihre Email-Adresse und die IP-Adresse, die Ihrem Internetanschluss aktuell zugewiesen ist, von uns im Zusammenhang mit Ihrem Kommentar gespeichert werden. Die Email-Adresse und die IP-Adresse werden natürlich nicht veröffentlicht oder weiter gegeben. Weitere Informationen zum Datenschutz bei alles-lausitz.de finden Sie hier. Bitte lesen Sie unsere Netiquette.

Kommentare zum Artikel "Ja, wo verläuft denn nun die Flurgrenze am Schöps?"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Fritz schrieb am

    Aber wenn der Baum dann mal umfällt, oder Hochwasser kommt ist das Geschrei dann wieder groß , das nichts gemacht wurde.......

Weitere aktuelle Artikel