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Nachruf statt Interview in der Apartheidstadt

Nachruf statt Interview in der Apartheidstadt

Randolph Braumann lebte seit 2008 in Görlitz und war nach Anlaufschwierigkeiten dann doch zu einem echten Görlitzer Original mit kritischer Liebe zu seiner Stadt geworden. Foto: Matthias Wehnert

Eigentlich sollte an dieser Stelle einer der großen Journalisten der alten Bundesrepublik, der seinen Lebensabend in Görlitz verbrachte, über den Wandel der Informationsgesellschaft, die weite Welt und die neue kleine Heimat, zu Wort kommen. Doch es kam ganz anders. Zur Verabredung erschien Randy Braumann nicht, nachdem er in der Nacht zuvor für immer die Augen geschlossen hatte.

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In einem Flugzeug über dem afrikanischen Dschungel. Der groß Blonde galt vielen schwarzafrkanischen Interviewpartnern als „Der weiße Riese“. Foto: Privatarchiv Braumann / Archiv M. Wehnert

Görlitz. „Mein Vater hat so eine kalkulierte Kühnheit mitgebracht“, sagt Marcel Braumann, Sprecher der Domowina, dem Verband der Lausitzer Sorben, und Sohn des verstorbenen Kriegsberichterstatters Randy Braumann über seinen Vater, der bei den Schurken dieser Welt ein- und ausging, die Psychologie von Saddam Hussein, Idi Amin, Mobutu Sese Seko, Muammar al-Gaddafi oder Papa Doc im direkten Kontakt erlebte und dennoch bekannte, in ihnen gleichwohl auch ganz viel Sympathisches entdeckt zu haben.

Sohn Marcel und seine Mutter waren es, die Randy Braumann in die Oberlausitz verpflanzten, nachdem Marcel nach seiner Zeit als Redakteur beim Neuen Deutschland als Pressesprecher der Fraktion der Linken im Sächsischen Landtag anheuerte. Denn Randy betonte selbst „umgezogen worden“ zu sein. Als 1934 geborenes Kind des Ruhrgebiets zog es ihn in der neuen Heimat nicht wie viele andere zunächst in die pittoreske Märchenkulisse seines neuen Domizils Görlitz, sondern an das polnische Ostufer, wo sich die gewohnten grauen Häuserfassaden des Verfalls mit einem Aufbruch der Unvollkommenheit paarten. Dort gab es noch an riesigen Wohnblocks überdimensionierte Werbung mit langbeinigen Frauen, die seit den 70er Jahren in der alten Bundesrepublik nicht mehr korrekt erschienen und nach und nach verschwanden.

Zgorzelec, das war für ihn auch mit der Geschichte der vielen nach dem Krieg hier angesiedelten griechischen Bürgerkriegsflüchtlinge ein Ort, der seine Sehnsucht nach Griechenland stillte.
So war ich am vergangenen Freitag mit ihm und Buchhändlerin Carola Preuß bei Evangelos „Vangelis“ Papadopoulos am Obermarkt zum privaten und dennoch ungezwungen Arbeitsessen verabredet.

Denn Randy stand ganz oben auf der langen Liste hochinteressanter Persönlichkeiten, die man einfach portraitieren muss. Und mein Gefühl verstärkte sich, dass ich nun auch langsam mal Nägel mit Köpfen machen muss, denn Randy kam mit seinen Krücken immer schwieriger vor die Tür. Besonders freute er sich, dass wir drei kurz darauf auch noch einen Besuch in der Sweet Water Station in Kosel bei Niesky anschließen wollten. Verständlich, wenn man sein Buch „Auf den Spuren von Karl May“ kennt.

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Randy 1963 bei der Bild-Sportredaktion. Foto: Privatarchiv Braumann / Archiv M. Wehnert

Sein geliebter SV Höntrop

Bei „Vangelis“ im „Mediteranos“ hatte ich Randy, der eigentlich als Friedhelm Braumann zur Welt kam und in jungen Jahren als Sportreporter den Künstlernamen „Randolph Braumann“ verpasst bekam, erstmals wahrgenommen. Die hünenhafte Gestalt saß am Nachbartisch und plauderte über das Verhalten von Menschen unter Besatzungs- und Belagerungszustand, sodass ich indiskret die Ohren spitzte. Bald kam mit ihm das erste Gespräch noch ganz lapidar über Fußball und das Ruhrgebiet zustande. Da ich beim Bochumer Fußball nicht allein auf den VfL und die SG Wattenscheid 09 zu sprechen kam, sondern auch auf Union Günnigfeld und den SV Höntrop, hatte ich ab sofort einen Stein bei ihm im Brett. „Jemand, der noch den SV Höntrop kennt, kann nur mein Freund sein“, funkelten seine Augen.

Randy, die Freundschaft und die Hitler-Tagetücher

Wissbegierde und Scharfsinnigkeit ließen ihn alles hinterfragen, unveränderliche Wahrheiten waren ihm fremd. Manche Sympathie für Befreiungsbewegungen in der Dritten Welt folgten seinem politisch linken Herz, doch er verstand, dass am Ende nicht die Ideologie entscheidet, sondern das Wesen von Handlungsträgern. Auch daheim pflegten die Braumanns eine Offenheit der Diskussion. Ehefrau Dorothea zog für die CDU in den Bezirksrat von Hamburg-Wandsbek mit seinen über 400.000 Einwohnern ein, was im Umfeld von Randys Redaktion, dem Stern, auch Kopfschütteln hervorrief. Bis zuletzt hielt Braumann zu einem alten Weggefährten, dem Fotografenkollegen Gerd Heidemann, der die Lawine um die gefälschten Hitler-Tagebücher in Bewegung gesetzt hatte und anschließend eiskalt von einem nicht verzeihen könnenden Berufsstand geschnitten wurde.

Todesurteil durch die PLO

Braumann nahm der Wandel in der heutigen Medienwelt sichtlich mit, die plakativ Urteile kolportiert, ohne dass sich Träger unpopulärer Auffassungen überhaupt erklären dürfen. Und als kommunikativer Mensch nahm ihm die Corona-Pandemie die Möglichkeit des ungezwungen-herzlichen Austausches. Sie bedrückte ihn stärker als das Todesurteil in Abwesenheit, das der Generalsekretär der PLO, George Habasch, nach einer Berichterstattung im Stern über Braumann einst gesprochen hatte. Ehefrau Dorothea attestierte ihm daraus folgend eine regelrechte Lebensmüdigkeit, obwohl er sich mit Verspätung doch noch in seine neue Heimat Görlitz verliebt hatte. Alte Weggefährten beim Stern in Hamburg waren verstorben oder dement, hingegen viele neue Freundschaften an der Neiße entstanden.

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Randy Braumann interviewte Saddam Hussein am 18. August 1974 in Bagdad. Foto: Privatarchiv Braumann / Archiv M. Wehnert

Die Behauptung von der Europastadt Görlitz

Es war jedoch nicht die devote Ehrfurcht vor der Perle der Renaissance und der Gründerzeit. Vielmehr faszinierte ihn bis zuletzt die innere Gegensätzlichkeit. Seiner Auffassung nach habe die südafrikanische Apartheid im Calvinismus gewurzelt. In Peter Chemnitz’ Buch „Ach los, scheiß der Hund drauf“, in dem dieser Braumanns Leben protokollierte, beklagte Braumann, dass sich eine von ihm diagnostizierte Apartheid in Görlitz von der in Südafrika eigentlich nur dadurch unterscheide, dass die eine erzwungen, die andere freiwillig sei. Denn trotz der Nähe und der behaupteten Europastadtcharakteristik interessiere sich im Grunde niemand so richtig für das Leben am Ostufer der Neiße. Wie sonst sei es zu erklären, dass die Tagespresse in Kehl gegenüber vom französischen Straßburg über die Ergebnisse der ersten französischen Fußballliga berichte, während die polnischen Ergebnisse auf deutscher Seite von Görlitz völlig ignoriert würden und man hier nicht einmal eine polnischen Tageszeitung im Handel kaufen könne.

Hinter eines Baumes Rinde

Das letzte persönliche Lebenszeichen empfing ich von ihm in Form einiger E-Mail-Zeilen zu einer politisch völlig inkorrekten Glosse im Niederschlesischen Kurier, die ihn amüsierte und zu einer Rezitation eines Heinz-Erhardt-Gedichtes anregte (Hinter eines Baumes Rinde, sitzt die Made mit dem Kinde. Sie war Witwe, denn der Gatte, den sie hatte, fiel vom Blatte...). Eigentlich wollte ich noch mehr über die Görlitzer Apartheid hören, die er gar nicht böse, sondern als lokale Antwort der Geschichte empfand. Doch Ehefrau Dorothea bemerkte vergangenen Freitag früh um 1.30 Uhr, dass der unruhige Geist sich nicht wie sonst üblich, um diese Zeit seinen nächtlichen Kaffee aufgebrüht hatte. In der Todesanzeige steht nun der 21. August als Sterbedatum, obwohl Randy auch bereits am späten 20. August der Odem des Lebens ausgegangen sein könnte.

Till Scholtz-Knobloch / 30.08.2020

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Kommentare zum Artikel "Nachruf statt Interview in der Apartheidstadt"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. SwissLife schrieb am

    Der Artikel zeigt noch einmal, was der Verstorbene geleistet hat und welch ein Typ er war. Görlitz kann sich glücklich schätzen, dass er seinen Ruhestand hier verlebt hat und wie man lesen kann noch besondere Freundschaften im hohen Alter schließen konnte. Er fehlt nun und hinterlässt als kritischer Geist und als Sympathieträger unserer Stadt eine Lücke.
    Ekkehard Schulze

  2. Sauerbrei schrieb am

    Sehr interessanter stilistisch guter Beitrag. Erstaunlich, dass solche Dinge in einer Provinz Zeitung stehen.

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