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Telemedizin ist 
kein Allheilmittel

Telemedizin ist 
kein Allheilmittel

Das Tablet am Krankenbett ist in manchen Krankenhäusern der Region, wie hier im Uniklinikum Dresden, bereits alltäglich. Doch das ist nur der Anfang.

In Zeiten des Ärztemangels bedarf es neuer Konzepte, um die Versorgung zu sichern. Kamenz soll dafür als Modellregion fungieren. Doch noch ist die Skepsis groß.

Kamenz. Werden wir künftig noch selbst zum Arzt gehen müssen? Und wenn ja, gibt es dann überhaupt noch einen Arzt, zu dem wir gehen können? Diese Fragen sind zwar zugegebenerweise provokant formuliert, doch nicht aus der Luft gegriffen.

Denn: schon heute haben es neu zugezogene Kamenzer schwer, einen Hausarzt zu finden. Und bei den Fachärzten sieht es kaum besser aus. „Die Kamenzer Hausärzte sind mit durchschnittlich 1200 potenziellen Patienten ausgelastet“, weiß auch Lorenz Harst. Der wissenschaftliche Mitarbeiter an der medizinischen Fakultät der TU Dresden ist maßgeblich an dem Forschungsprojekt Care4Saxony beteiligt, das sich mit den Möglichkeiten der Telemedizin für die Versorgung im ländlichen Raum beschäftigt. Und dabei richtet sich ein besonderer Fokus auf die Stadt Kamenz, die für das Netzwerk eine Modellregion darstellt.

Telemedizin – dieser Begriff ist in jüngster Zeit zu einem Schlagwort geworden, in das alles mögliche hineininterpretiert wird. Von Untersuchungen durch Roboter oder Diagnosen per App ist da zuweilen die Rede. Alles Quatsch: „Die Erstuntersuchung muss immer persönlich durch einen Arzt erfolgen.

Das ist in Deutschland gesetzlich geregelt, und daran wird sich auch nie etwas ändern“, versichert Lorenz Harst. Doch was danach folgt, verursacht vor allem in Bezug auf chronisch kranke Patienten einen Aufwand, der nicht immer gerechtfertigt erscheint: Regelmäßige Arztbesuche, nur um „Hallo“ zu sagen, bestimmte Werte zu messen und neue Medikamente zu verschreiben.

„Ein Monitoring – also eine Fernüberwachung – könnte hier beiden Seiten Entlastung bringen“, meint der junge Forscher. Über einen Chip – er muss nicht implantiert, sondern kann einfach auf die Haut aufgesetzt werden – ließen sich permanent die erforderlichen Werte erheben und über eine Datenleitung an eine Zentrale übertragen. Bei erheblichen Abweichungen gäbe es einen Alarm und schnelle Hilfe, ähnlich wie beim Wählen des Notrufs.

Natürlich gäbe es auch weiterhin regelmäßige Arztbesuche, aber in deutlich längeren Abständen.

Der Patient könnte sich den oftmals beschwerlichen Weg sparen, der Arzt hätte mehr Zeit für seine akuten Fälle. „Das Monitoring ist nur eine mögliche Anwendung“, so Lorenz Harst. „Weitere sind die Videosprechstunde, bei der sich Arzt und Patient am Bildschirm gegenüber sitzen, oder auch die Videoanleitung für physiotherapeutische Übungen.“

Allerdings halten sich Zustimmung und Skepsis bei der einen Hälfte der Zielgruppe – nämlich bei den Patienten – derzeit noch die Waage. Dies wurde auf einem Workshop deutlich, den Lorenz Harst in der vergangenen Woche in der Stadtwerkstatt Bürgerwiese moderierte. Insbesondere ältere oder eben chronisch kranke Patienten hätten voraussehbar Probleme, die erforderliche Technik zu installieren und zu bedienen. Die Datenübertragung über das Internet müsse wesentlich leistungsfähiger und stabiler werden, um Pannen – die in diesem Fall fatale Folgen haben könnten – auszuschließen. Und schließlich stelle der Arztbesuch für viele Patienten auch einen wichtigen sozialen Kontakt dar. Und überhaupt: Wäre es nicht besser, dafür zu sorgen, dass ausreichend Ärzte zur Verfügung stehen?

An diesem Punkt muss Lorenz Harst die Hände heben: „Das können wir als Wissenschaftler nicht leisten. Die Situation ist nun einmal so, wie sie ist, und sie wird sich in absehbarer Zeit nicht bessern. Die Rahmenbedingungen ändern – das kann nur die Politik.“ Und auch wenn erste Weichen gestellt seien, dauere es noch Jahre, bis – wenn überhaupt – Ergebnisse sichtbar würden. Wie also jetzt weiter? Lorenz Harst und seine Kollegen nehmen die Anregungen und Einwände mit und werden sie in ihr Konzept für die Telemedizin-Modellregion Kamenz einfließen lassen. Wie sich diese tatsächlich präsentieren wird, ist noch Zukunftsmusik.

Uwe Menschner / 10.10.2019

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