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Trotz „Click & Meet“: Handel braucht eine Öffnungsstrategie

Trotz „Click & Meet“: Handel braucht eine Öffnungsstrategie

Mitarbeiter des Kornmarktcenters, Händler des Einkaufszentrums und aus der Innenstadt sowie die Vorstände des Bautzener Innenstadtvereins haben kürzlich ein Zeichen gesetzt: Die Branche benötigt eine Öffnungsstrategie. Foto: Norman Paeth

Bautzen. Dresden zeigt sich großzügig! Die Landesregierung hat inmitten der zweiten Corona-Welle den Fuß ein wenig von der Bremse genommen und wertet für sich das Ganze als Erfolg. Seit Montag darf der Einzelhandel wieder Kunden in den Läden empfangen. Möglich macht dies das sogenannte „Click & Meet“-Verfahren. Verbraucher können im Vorfeld mit dem Geschäft ihrer Wahl per Telefon einen Termin vereinbaren und im Anschluss vor Ort ungestört einkaufen. Der eine oder andere mag sich dabei sogar wie ein V.I.P.-Gast fühlen, also eine sehr wichtige Person. Ein Vorteil gegenüber dem Modell „Click & Collect“, das im Freistaat seit Mitte Februar gestattet ist, liegt zweifelsohne darin, dass eine Anprobe von Kleidungsstücken und eine Vor-Ort-Beratung wieder möglich ist. Allerdings haben Kunden dem Inhaber des jeweiligen Ladens ihre Kontaktdaten auszuhändigen. So verlangt es die am Montag in Kraft getretene Corona-Verordnung. Zudem darf pro angefangene 40 Quadratmeter Verkaufsfläche nur eine Person die Geschäftsräume zum Shoppen betreten. Unterstützungsbedürftige Personen und Minderjährige zählen dabei nicht mit.

„Die Zulassung von ‚Click & Collect’ war ein erster wichtiger Schritt“, sagte in dem Zusammenhang Wirtschaftsminister Martin Dulig. „Mit ‚Click & Meet’ bieten wir den Händlern ab dem 8. März 2021 weiteren Öffnungs- und Handlungsspielraum. Doch damit der Lieblingsladen nach dem überstandenen Lockdown wieder im Stande ist, wirtschaftlich zu arbeiten, sind wir alle gefragt – als Kunden mit unserem Einkauf vor Ort. Oder anders formuliert: Jede und jeder ist gefragt!“

Welchen Preis die Unternehmer in dem Zusammenhang zahlen, bleibt abzuwarten. Ab kommendem Montag beispielsweise sind sie laut der neuen Regelung verpflichtet, ihr eigenes Personal einmal pro Woche einem Virentest zu unterziehen. Das könnte zu einem Kraftakt werden, befürchtet unter anderem René Meißner vom Bautzener Innenstadtverein. Wie sich bereits in dieser Woche zeigte, sind gar nicht ausreichend Testmöglichkeiten am Markt, um all die Dinge zu ermöglichen, die die neue Corona-Verordnung vorgibt.

Darüber hinaus drohen die geforderten Tests für manch einen zu einer kostspieligen Angelegenheit zu werden. Auch vor diesem Hintergrund sieht der studierte Sportpsychologe in den vermeintlichen Lockerungen eine verborgene Botschaft. „Die Politik gibt dem Handel zwar ein Stück Freiheit wieder“, meint er, „jedoch setzt sie solch hohe Hürden, dass es für den einen oder anderen Gewerbetreibenden nur wenig Sinn macht, seine Ladentüren offen zu halten. Auch für Kunden wird es schwierig, den Durchblick zu behalten, sollten schon in naher Zukunft aufgrund einer Inzidenz von über 100 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner die Geschäfte wieder schließen müssen. Am Ende könnten die Händler diejenigen sein, die den Ärger der Kundschaft zu spüren bekommen.“ Dass dagegen Bau- und Gartenmärkte ab sofort zum unkomplizierten Einkaufsbummel bitten dürfen, erklärt er sich folgendermaßen: „Der Kunde soll kommen, für Wohnung und Garten einkaufen und sich ganz schnell wieder in die privaten Gefilde zurückziehen, um dort seinen Hobbys nachzugehen oder zu werkeln.“ 

René Meißner führt in dem Zusammenhang das Prinzip des Stockholm-Syndroms an. „Die Politik verhält sich wie ein Kidnapper, für den man Sympathie entwickelt. Im übertragenen Sinne gibt sie Dinge vor, die viele begrüßen und mittragen, auch wenn sich am Ende einiges davon als nutzlos beziehungsweise wenig akzeptabel erweist.“ So kann er sich beispielsweise nicht erklären, weshalb Tätowierer jetzt wieder ihrer Arbeit nachgehen dürfen, während der Kontaktsport vorerst untersagt bleibt. „Ich kann unseren Händlern nur raten, noch einen Moment lang mit der Öffnung ihrer Geschäfte zu warten. Auf jeden Fall sollten sie sich fit für das digitale Zeitalter machen, um bei einem nächsten Lockdown besser auf Kundenwünsche reagieren zu können.“ 

Christian Polkow, Manager des Bautzener Kornmarktcenters, kann sich für „Click & Meet“ nicht erwärmen: „Diese Angebote oder vergleichbare Ideen sind keine Alternative – im Gegenteil. Die Kosten für Personal und Ladenbetrieb sind zumeist höher als die Umsätze, sodass derartige Angebote die aktuellen Verluste nur weiter erhöhen würden.“ Die Geschäfte hätten bereits im vergangenen Jahr umfangreiche Hygiene- und Präventionskonzepte eingeführt, die auch weiterhin konsequent umgesetzt werden sollen. „Wir benötigen eine echte Öffnungsstrategie“, betont wiederum René Meißner im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier, „darüber muss man sich Gedanken machen.“

Martin Dulig sieht offenbar einen Ausweg in der Kampagne „#JetztLokalHandeln“. Um Händler in dieser schweren Zeit zu unterstützen und die Innenstädte perspektivisch wiederzubeleben, habe sein Haus gemeinsam mit der Sächsischen Staatskanzlei diese Aktion ins Leben gerufen. „Sie betont die Vorzüge des lokalen Handels und zeigt, dass sich der Einkauf und Besuch vor Ort lohnt.“ Und weiter: „Mit unserer Kampagne wollen wir den Einzelhandel vor Ort unterstützen und gleichzeitig die Lebens- und Einkaufsqualität in unseren Innenstädten bewahren und stärken.“ Denn: Schon seit geraumer Zeit ändere sich das Kauf- und Freizeitverhalten. In vielen Innenstädten würden die Kundenfrequenzen sinken. Verstärkt würden die Probleme durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie. Während der Lebensmitteleinzelhandel gut durch die Krise komme, würden viele andere Bereiche des Einzelhandels unter massiven Umsatz- und Ertragseinbrüchen leiden, weil sie ihre Ladengeschäfte geschlossen halten müssen. Der Internet- und Versandhandel hingegen boome. 

Indes forderten die sächsischen Industrie- und Handelskammern, den Einzelhandel ab dem 15. März komplett zu öffnen. Sie appellierten an Ministerpräsident Michael Kretschmer, um Wettbewerbs- und Standortnachteile zu beenden. Ihren Vorstoß begründeten die Interessenvertretungen zum einen mit der Tatsache, dass mittlerweile mehrere Gutachten dem stationären Einzelhandel ein geringes Infektionsrisiko bescheinigen. Selbst im Lebensmitteleinzelhandel, der in allen Lockdown-Phasen geöffnet hatte, und in dem deutschlandweit täglich circa 40 Millionen Einkäufe stattfinden, sei die Infektionshäufigkeit nachweislich unauffällig geblieben. Gleichlautendes habe das Robert Koch-Institut (RKI) in seiner „Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021 – ControlCOVID“ vom 18. Februar 2021 anerkannt. 

Roland Kaiser / 14.03.2021

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