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Allzeit ein offenes Ohr für Sorgen

Allzeit ein offenes Ohr für Sorgen

Die stellvertretende Leiterin der Telefonseelsorge Oberlausitz Nicole Hackel. Foto: Telefonseelsorge Oberlausitz

Bautzen. Weihnachten, das ist nicht nur das Fest der Familie und der Liebe. Dahinter verbirgt sich auch eine Zeit der Erwartungen. Wenn diese sich für manche Menschen nicht erfüllen, kann es durchaus zu Verzweiflungstaten kommen. Um dem vorzubeugen, hilft Experten zufolge am besten Zuhören. Die Mitarbeiter der Telefonseelsorge Oberlausitz machen das tagtäglich – auch zu Weihnachten. Der OLK sprach mit der stellvertretenden Leiterin Nicole Hackel über den Dienst an den Feiertagen, Emotionen und die Sorgen derer, die zum Hörer greifen.

Frau Hackel, womit motivieren Sie Ihre Mitarbeiter, die über Weihnachten den Dienst am Telefon schieben?

Nicole Hackel: Wir versüßen ihnen den Dienst gern ein wenig damit, indem wir das Büro entsprechend weihnachtlich gestalten und Naschereien hinstellen. Der 24-Stunden-Dienst wird von etwa 90 ehrenamtlichen Mitarbeitern in Görlitz und Bautzen abgedeckt. Das heißt: Während einer vierstündigen Schicht nimmt stets eine Person in einer der beiden angemieteten Büros die Anrufe entgegen. Bezogen auf die Zahl der Anrufe unterscheidet sich ein Weihnachtstag eher nicht von anderen. Vielmehr rufen zu den Feiertagen öfter einmal Menschen an, um sich zu bedanken, weil wir ihnen in schweren Zeiten zur Seite gestanden haben. Neben den bundesweit mehr als 100 Telefonseelsorge-Anlaufstellen ist unsere für die Region Oberlausitz zuständig.

Wie stehen eigentlich die Familienangehörigen Ihrer Mitarbeiter zu deren Arbeit?

Nicole Hackel: Bis auf die ganz nahen Angehörigen – den Partner und die Kinder – wissen Familienangehörige meist nichts von dieser ehrenamtlichen Aufgabe. Denn so wie die Anonymität für die Anrufer gilt, kommt sie auch bei den Telefonsellsorger/innen zum Tragen. Nur ein sehr eingeschränkter Personenkreis soll darum wissen. Das wünschen sich auch unsere Mitarbeiter/innen. Zum einen dient die Anonymität dem eigenen Schutz. Andererseits hemmt es potenzielle Nutzer nicht, das Krisentelefons anzurufen. Anders wäre es der Fall, wenn sie wüssten, dass am anderen Ende der Leitung der eigene Chef oder die Verkäuferin vom Einkaufsladen um die Ecke sitzt. Auch wenn dieses Ehrenamt bedeutet, dass der jeweilige Mitarbeiter monatlich drei Mal für die Telefonseelsorge unterwegs ist, so sind Partner oder Kinder doch eher stolz. Sie erfahren, dass der Einsatz für andere den Ehrenamtlern selbst gut tut. Sei es die Zufriedenheit zu wissen, anderen helfen zu können oder dass sich auch in der eigenen Familie die Kommunikation verbessern kann. Denn während der Ausbildung, die sich fast über ein ganzes Jahr erstreckt, lernen sich die zukünftigen Telefonseelsorger/innen nicht nur selbst besser kennen. Darüber hinaus erfahren sie viel über Gesprächsführung und Kommunikation.

Wenn Sie auf die vergangenen Jahre seit Gründung der Telefonseelsorge Oberlausitz zurückblicken: Welche Herausforderungen waren in dieser Zeit für die Mitarbeiter zu meistern?

Nicole Hackel: Am eigentlichen Telefondienst hat sich über die Jahre grundsätzlich nicht so viel geändert. Allerdings erhöhte sich das Anrufaufkommen deutlich im Vergleich zu den Anfängen. Da das Krisentelefon einen Spiegel der Gesellschaft darstellt, bekommen unsere Mitarbeiter/innen jedes Jahr aufs Neue mit, dass es sich bei den vorgetragenen Problemen oft um familiäre Schwierigkeiten handelt. Die Tendenz, dass die Einsamkeit und auch die Zahl psychischer Erkrankungen zunehmen, zeigen die eigenen Telefonerfahrungen und unsere Statistik. Weil viele unserer Ehrenamtlichen berufstätig sind oder anderen Verpflichtungen nachgehen, ist es für die meisten schon eine Herausforderung, monatlich die erforderlichen Dienstzeiten in dem ohnehin vollen Terminplan unterzubringen. Gerade an den Feiertagen, denke ich, mag es sicherlich gar nicht so einfach sein, die Familie unterm Tannenbaum allein zu lassen, um sich an das Krisentelefon zu setzen.

Welche Geschichte hat Sie besonders berührt?

Nicole Hackel: Für mich als Mutter ist es besonders schwer, wenn ich höre, wie schlecht es Kindern geht. Und ja: Manches, was Menschen ertragen müssen, bewegt unsere Ehrenamtlichen schon sehr. In solch einem Fall fließt mitunter die eine oder andere Träne.

Wie können Sie den Menschen helfen, die sich am Weihnachtsfest an die Telefonseelsorge wenden und was können Sie partout nicht leisten?

Nicole Hackel: Dass jemand da ist, der zuhört – das kann die Telefonseelsorge leisten. Besonders an einem Fest wie Weihnachten, wenn das Bedürfnis einzelner Menschen nach Beisammensein und Harmonie besonders groß ist. Oft steckt dahinter jedoch eine unerreichte Idealvorstellung. Im besten Fall ergeben sich im Gespräch Ideen, wie sich Probleme schrittweise lösen lassen. Die Lebensumstände eines Anrufers können wir jedoch nicht ändern. Es liegt in seiner eigenen Verantwortung, Schritte zu unternehmen – oder eben auch nicht.

Wie viele Anrufer sind das im Schnitt, die die Nummer der Telefonseelsorge wählen?

Nicole Hackel: Im letzten Jahr hat das Telefon bei uns in Bautzen und Görlitz 18.454 Mal geklingelt. Manchmal trauen sich die Anrufer aber nicht sofort, über ihre Sorgen zu sprechen. Sie schweigen oder legen gleich wieder auf. Andere Male werden ausgedachte Geschichten erzählt, um die Telefonseelsorger auszutesten. Ernsthafte Gespräche wurden in 12.725 Fällen geführt.

Mit welchem Typ Mensch haben es Ihre Mitarbeiter am häufigsten zu tun und wie stellen Sie sich auf diesen ein?

Nicole Hackel: Die Anrufer sind so unterschiedlich wie auch unsere Mitarbeiter. Sie kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten. Zum größeren Teil handelt es sich um Frauen, die sich bei uns melden. Mit 41 Prozent nimmt der Anteil der Männer jedoch über die Jahre stetig zu.

Was erhoffen Sie sich für Weihnachten und 2018?

Nicole Hackel: Was die Telefonseelsorge betrifft, wünsche ich mir, dass sich auch in Zukunft Menschen finden lassen, die für andere da sein wollen.

Roland Kaiser / 22.12.2017

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