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Auf eigenen Füßen nicht nur auf dem Seil

Auf eigenen Füßen nicht nur auf dem Seil

Gemeinsam geht es besser: Bewohner und Betreuer der therapeutischen Wohngruppe geben sich auf dem Niedrigseilparcours gegenseitig Hilfestellung.

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Die Wanderwege führen am Haus Keulenberg vorbei, aber nicht in das Gelände hinein.

Auf dem Keulenberg werden Jugendliche mit Sucht- und psychischen Problemen betreut. Die Einrichtung würde sich gern erweitern, darf das aber (noch) nicht.

Oberlichtenau. „Was, da soll ich drauf? Nie im Leben!“ Kathis (*) Augen sind groß und rund, ungläubig schaut sie auf die blau umwickelten Seile, die sich in etwa einem halben Meter Höhe über den Erdboden spannen. Rudi (*) ist da schon ein ganzes Stück weiter. Der blasse, schmächtige Junge bewegt sich so geschickt und fast schon elegant über den ungewohnten Untergrund, als hätte er nie in seinem Leben etwas anderes gemacht. „Der Niedrigseilparcours ist das neuestes Angebot für unsere jugendlichen Klienten“, erklärt Eckard Mann. Er ist Geschäftsführer der Radebeuler Sozialprojekte gGmbH (RaSop), welche die therapeutische Wohngruppe auf dem Gipfel des Keulenberges betreibt. Neun Plätze bietet die Einrichtung, in der Jugendliche im Alter von 14 bis 18 Jahren mit Suchterkrankungen oder psychischen Auffälligkeiten betreut werden. Sie sind auf Empfehlung des Jugendamtes, aber freiwillig hier.

So wie Kathi, die sich jetzt tatsächlich auf das Seil getraut hat. Vorsichtig tastend, Mückenschritt für Mückenschritt, arbeitet sie sich voran, begleitet und gehalten von Nico Darwich. Der Erlebnispädagoge kommt einmal in der Woche auf den Keulenberg und freut sich über den Niedrigseilparcours, der dank einer Spende des Allianz-Kinderhilfsfonds aufgebaut werden konnte. „Hier lernen die Jugendlichen, sich aufeinander zu verlassen, sich gegenseitig zu helfen und zu ermutigen“, erklärt er. Sozialkompetenz, Teamfähigkeit – so lauten die Schlagworte, mit denen die RaSop für ihre Angebote wirbt. Eineinhalb Jahre verbringen die Jugendlichen in der Regel hier oben, in der ganz bewusst als Standort gewählten Abgeschiedenheit des Keulenbergs. „Sie sind hier einem konsequent strukturierten Tagesablauf unterworfen“, erklärt Geschäftsführer Eckard Mann. In den ersten sechs Wochen gilt eine totale Kontaktsperre nach außen – die Jungen und Mädchen sollen sich ganz auf ihre neue Umgebung konzentrieren, sich auf sie einlassen. Später dann gibt es Kontakt mit den Angehörigen, Ausgang – was mit Anstrengungen verbunden ist: Liegt doch Pulsnitz gut fünf Kilometer und 300 Höhenmeter entfernt. Doch wozu gibt es Fahrräder?

Kathi ist schon recht weit fortgeschritten – sowohl was ihren Aufenthalt auf dem Keulenberg anbelangt, als auch hinsichtlich ihrer Fähigkeiten auf dem Seil. Sie lacht und scherzt mit Nico, wenngleich auch die Beine noch ein wenig zittern. „Das macht ja richtig Spaß!“, juchzt sie. Im Hintergrund zeichnen sich an diesem ersten Regentag seit Langem die Konturen des Funkturmes ab, der den Keulenberg weithin erkennbar macht.

Zu seinen Füßen kauert ein Haus von gleicher Bauart wie die beiden, in denen die Wohngruppe untergebracht ist, allerdings in einem sichtbar schlechteren Zustand.
Jan Heimpold, der Eigentümer des gesamten Grundstücks, möchte es gern als „Wohn- und Seminarhaus“, wie es in den entsprechenden Antragsunterlagen heißt, herrichten.

Ein entsprechender Antrag wurde vom technischen Ausschuss des Pulsnitzer Stadtrats jedoch schon zwei Mal mit der Begründung abgelehnt, die Trinkwasserversorgung könne nicht sichergestellt werden. Die RaSop ist in diese Auseinandersetzung nicht involviert, hat aber dennoch eine Meinung dazu: „Wir würden uns freuen, wenn es zur Verwirklichung des Vorhabens käme, denn wir hätten durchaus Verwendung für das Haus“, erklärt Eckard Mann. Einzelne Räume werden bereits zum Tischtennisspielen oder für die Arbeitstherapie genutzt.

L„Doch man könnte darin auch ein Appartement als Probewohnung herrichten.“ Für Jugendliche, die wie Kathi bald auf eigenen Füßen stehen müssen. Auf dem Seil hat sie es geschafft. „Was, ich soll schon wieder runter?“, ruft sie. „Nie im Leben!“ (* – Namen geändert)

 

Uwe Menschner / 08.09.2018

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