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Ein Beruf der erdet und dankbar macht

Ein Beruf der erdet und dankbar macht

Vater Hans-Joachim Dräger und Tochter Jana Neumann-Dräger haben tagtäglich beruflich mit dem Tod zu tun. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Volkstrauertag, Buß- und Bettag, Totensonntag. Der November ist der Monat, in dem das in der modernen Welt verdrängte Thema Tod noch am ehesten die Öffentlichkeit erreicht. Den Niederschlesischen Kurier hat interessiert, wie sich in der Region der Umgang mit dem Tod verändert und ein Bestattungsinstitut besucht.

Rothenburg. Jana Neumann-Dräger, die in Rothenburg ein Bestattungsinstitut führt, ist sich sicher: „Nein, die regionalen Unterschiede, wie mit dem Tod umgegangen wird, sind schon deutlich“, kontert sie meine Annahme, dass die Aufgaben von Bestattern in Deutschland sich doch nicht erheblich unterscheiden dürften. „Ich merke sehr deutlich, wie sich die Gesellschaft in den letzten Jahren gewandelt hat. Viele junge Menschen haben unsere Gegend verlassen, die Alten bleiben oft zurück und der Zusammenhalt unter der übrigen Familie schwindet“, stellt sie klar. Früher hätten die Menschen mental wie auch finanziell vorgesorgt, wenn es um den eigenen Tod gehe.

Ihr Vater Hans-Joachim Dräger, der das Bestattungsinstitut gegründet hat und weiterhin im Geschäft tätig ist, schaltet sich ein: „Vielleicht seit etwa 15 Jahren ist sehr vieles weggebrochen.

Bei etwa jedem fünften Trauerfall merken wir, dass unter den engsten Familienangehörigen gar kein Kontakt mehr bestand und man sich nun erst wieder zusammenfinden muss. Man geht anders mit dem Tod um, der Wunsch den Verblichenen, so wie es früher üblich war, noch einmal daheim oder im Bestattungsinstitut zu sehen lässt nach.“

Vor allem das Zusammenfinden in der Familie sei in mehrfacher Hinsicht oft sehr schwierig. Da gäbe es zum einen oft familiären Zwist, der im Angesicht der Abwicklung der Trauerfeierlichkeiten ausbricht und dann komme in dieser ohnehin schwierigen Situation oft noch das finanzielle Dilemma hinzu.

Bis 1995 gab es das Sterbegeld, dessen Wegfall den Tod heute auch finanziell zur Herausforderung macht.

Eigentlich habe es, wenn man finanziell nicht auf Rosen gebettet sei, zwei Möglichkeiten gegeben, finanziell mit den Kosten, die um den Tod entstehen, klarzukommen: ein Treuhandkonto, bei dem ein Bestattungsinstitut Gelder zweckgerichtet für die Bestattung einsetzen müsse, oder eine Sterbeversicherung. „Doch die Lösung mit Treuhandkonten fällt uns langsam vor die Füße“, sagt Jana Neumann-Dräger. Das läge daran, dass dieses im Gegensatz zu einer Sterbeversicherung nicht pfändungssicher sei. Die Leute würden merken, dass sie zunehmend Vorsorgelücken haben. Die schwierige Lage vieler Menschen in der Region habe dazu geführt, dass Sozialbestattungen zunehmen. Das merkt auch die öffentliche Hand. „Wenn ich in einem Jahr auf etwa 10 Fälle komme, in denen die Stadt die Kosten um das Begräbnis zahlt, so kommt im Jahresverlauf damit schon eine Last von etwa 30.000 Euro für die Stadt Rothenburg zusammen“, denkt sie. Das verauslagte Geld kommt in vielen Fällen letztlich nicht mehr zurück. In der gesamten Gemengelage müsse ein Bestatter sich auch als Anwalt des Verstorbenen fühlen, dessen letzten Willen eine Stimme zu geben. Das ganze gehe letztlich ja oft an die Würde des Verstorbenen, wenn etwa das Sozialamt die Kostenübernahme für ein Füllkissen im Sarg verweigert. „Auch Bestattungswünsche werden immer wieder missachtet. Da auf dem Friedhof in Lodenau die Beisetzung günstiger ist, werden Menschen auch ohne persönlichen Bezug zum Ort oft dort beerdigt“, merkt Hans-Joachim Dräger an.

Seine Tochter empfiehlt, sich früher mit dem Tod auseinanderzusetzen. „Wer sich zu Lebzeiten beraten lässt, welche Art der Bestattung für ihn infrage kommt“, der erspart auch Angehörigen schmerzliche Fragen. Man könne alles auch ganz ohne Angehörige regeln. Etwa zehn Prozent der Menschen seien heute gut auf diese Weise vorbereitet, der Umfang nehme sogar zu. Gerade wegen der finanziellen Entscheidungen müsste sich ein Bestatter als guter Moderator präsentieren. „Im Angesicht des Todes ist man mitunter sogar mehr noch Psychologe“, charakterisiert Jana Neumann-Dräger ihre Aufgabe und wünscht sich, dass der Gesetzgeber eine Pflichtversicherung zur Bestattung einführt.

Gesetzlich ist übrigens geregelt, dass das älteste Kind im organisatorischen Sinne bestattungspflichtig ist, denn das Finanzielle haben alle Kinder gleichermaßen zu regeln, wenn der Verblichene keine Mittel dafür hinterlassen hat. Vor kurzem hat sich Jana Neumann-Dräger mit Kollegen aus Kassel über die Probleme ihres Berufsstandes austauschen können. Auch dort kennt man Ratenzahlungen für Bestattungskosten. Dennoch gingen viele Fälle zum Anwalt.

Im Umfeld einer kleineren Stadt hingegen kennt jeder jeden, hier sei die soziale Einbettung und Verantwortung noch eine andere. „Wir müssen auch einen Ethos mitbringen“, sagt sie. Trotz Grenznähe kommen für sie Überführungen aus Kostengründen ins Nachbarland Polen nicht in Betracht, Särge beziehe man in der Region. Auch beim Tod eines Kindes könne man nicht verdienen wollen. Dies seien auch die schwierigsten Momente in der Arbeit eines Bestatters. „Ich habe kürzlich richtig mitgelitten, als eine Mutter eine Totgeburt zur Welt brachte. Angesichts des Gewichts unter 500 Gramm galt dieses aber nicht als Lebewesen. Eine vernünftige Bestattung haben wir letztlich doch hinbekommen“, sagt sie nachdenklich. Doch wie formt der Umgang mit dem Leid, das tägliches Geschäft ist, den eigenen Charakter? „Man wird geerdet, ist dankbarer, aber man wird auch zynisch und wird – was die eigenen Kinder betrifft – zur Glucke“, beschreibt Jana Neumann-Dräger eigene Wesenszüge. Vor allem eines mache sie im Alltag richtig wütend: unvernünftige Fahrweisen im Straßenverkehr. „Auch wenn wir in Rothenburg nicht so dicht an der Autobahn liegen und das Thema deswegen nicht Alltag ist, ich sehe die Folgen viel intensiver als andere. Das Leben ist einfach das höchste Gut, das kann man doch nicht so leichtfertig gefährden.“

Till Scholtz-Knobloch / 23.11.2017

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