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Gedanken aus der Corona-Quarantäne

Gedanken aus der Corona-Quarantäne

Schon bei der ersten Welle im Frühjahr zeigte Görlitz’ größter Sohn Jacob Böhme Verantwortungsgefühl und trug eine Maske. Foto: Matthias Wehnert

Quarantäne – was bedeutet das eigentlich im Alltag? Dieser Frage muss sich NSK-Redakteur Till Scholtz-Knobloch dieser Tage im erzwungenen Selbstversuch unterziehen.

 

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Einer der 20 neuen Corona-Kontakermittler, die von der Bundeswehr zum Landkreis Görlitz abkommandiert sind. Foto: Matthias Wehnert

Görlitz. „Erstens kommt’s anders und zweitens als man denkt“, pflegte meine Oma immer zu sagen. Da hab ich als Redakteur Sozialkontakte im Übermaß, muss diese Zeitung jedoch aus der Quarantäne heraus vorbereiten, weil sich meine Frau trotz deutlich weniger Sozialkontakte mit Covid-19 infiziert hat und gerade zum munteren Anschnellen der Zahlen ganz persönlich ihren Beitrag leistet.

Vor ein paar Tagen kam bei ihr das ungute Gefühl auf, weil auf einmal der Geruchssinn seinen Hut genommen hatte. Da der Zustand tags darauf anhielt, rief sie beim Hausarzt an – der war natürlich im Urlaub. Die Sprechstundenhilfe der Vertretung meinte: „Ja, bei den Symptomen ist ein Test sinnvoll“, einer Meinung, der sich ihr Chef nicht recht anschließen mochte. Er klagte, dass man ja nicht zwangsläufig nach Gefühl einen Test machen müsste, „aber gut, jetzt sind Sie hier.“ Meine Frau entgegnete, dass wir einen 11-jährigen Sohn haben und nun ja auch Ferienende sei. „Was hat denn das damit zu tun?“, blieb er genervt. Das positive Testergebnis kam dann tags darauf gegen 8.15 Uhr telefonisch. Eine halbe Stunde nach dem Anruf bei meiner Frau rief der Kollege vom Gesundheitsamt auch mich an und sprach die Quarantäne bis 9. November aus – ein Brief folge. Er war unsicher aber bestimmt – vielleicht einer von den 20 neuen Helfern von der Bundeswehr, die ganz frisch aus einem Crashkurs kommen? Ein paar Fragen zu meinem Befinden musste ich noch beantworten, mir anhören, was ich nicht darf, aber um Kontaktpersonen ging es (noch) nicht. Per E-Mail war ruck zuck die Belehrung mit einer langen Litanei von Handlungsanweisungen da.

So richtig umgehauen hat uns die Botschaft des Testergebnisses erst einmal nicht. Weiterhin mache ich mir deutlich mehr Sorgen über einen möglichen wirtschaftlichen Zusammenbruch, der alle mitreißt und sich nicht statistisch wenige echte Opfer aussucht. Im Moment des Anrufes vom Gesundheitsamt bei meiner Frau las ich übrigens gerade ein Interview mit dem israelischen Historiker Yuval Noah Harari (Eine kurze Geschichte der Menschheit), der darin sagte: „In 50 Jahren werden sich die Menschen gar nicht so sehr an die Epidemie selbst erinnern. Stattdessen werden sie sagen: Dies war der Moment, an dem die digitale Revolution Wirklichkeit wurde“ – allerdings auch im Wissen einer möglichen negativen Option eines totalitären Überwachungsstaates.

Doch erst einmal geht’s um die kleine Wohnung statt der weiten Welt. Betten umziehen, Sachen hin- und herräumen, so dass quasi eine imaginäre Linie des Reiches für den einen und den anderen die Wohnung teilt. Währenddessen klingelt’s an der Tür und ich sage mit einem Lächeln auf den Lippen zum Postboten: „Stellen Sie das Päckchen einfach ab, ich bin in Quarantäne“. Er zieht seine Maske vor die Nase und schaut mich an wie Alexander von Humboldt, der gerade ein bislang unbekanntes Tier entdeckt hat und noch nicht weiß, ob es gefährlich ist. Fast albern langsam geht er zum Ablegen in die Knie, als höre er einen Zeitzünder ticken.

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„Lok“-Down in Görlitz: Ein Politiker wie OB Ocatvian Ursu kann es sich imagemäßig derzeit kaum erlauben, sich ohne Maske ablichten zu lassen – und sei es auch nur alleine. Foto: Matthias Wehnert

Knäckebrot im Übermaß

Leid tut mir nun mein Sohn. Der muss nun – obwohl seine Oma ihn mit ihren unschlagbaren Kochkünsten zum Gourmet gemacht hat, futtern, was Vattern auf den Tisch bringt. Denn gemeinsame Mahlzeiten oder auch nur das von meiner Frau vorbereitete und kredenzte Mahl sollen laut E-Mail-Hinweisen tabu sein. In der Praxis kann es meine Frau dann doch nicht lassen uns etwas Gutes zu zaubern und ich sage: „Moment, Teller und Besteck nehm ich raus“, um anschließend für Junior und mich zu portionieren. Allerdings gehen uns nach drei Tagen frische Zutaten aus und zum Frühstück und Abendessen gibt es nun erst einmal nur noch Knäckebrot.
Auf die E-Mail an eine Lehrerin unseres Sohnes entgegnet diese u.a.: „Wir sind selbst in Quarantäne und warten immer noch auf die schriftliche Anordnung dieser. Das ist übrigens dann auch das einzige Dokument, welches Sie noch erhalten werden.“

Aha, dann brauch ich mich auch nicht wundern, dass die lapidare telefonische Bekanntgabe der Quarantäne nun anstelle eines schriftlichen Bescheides alles sein soll? Mittlerweile hatte sich nun auch die Mutter eines Freundes meines Sohnes gemeldet. Sie will von mir wissen, ob sich das Gesundheitsamt bezüglich einer Testung bei meinem Sohn und mir gemeldet habe. Aufgrund des Kontaktes zu meinem Sohn hätte sie den Klassenlehrer ihres Sohnes und als Erzieherin auch ihre Chefin in der Kita informiert. Beide Institutionen wollten nun Klarheit, daher müssten sie und ihr Sohn auch erst einmal zu Hause bleiben. Ihre Nachricht leite ich an den Gesundheitsamtsermittler per E-Mail weiter, der sich dann auch bei ihr meldet.

Das änderte jedoch nichts daran, dass mir gegenüber Sendepause durch das Amt herrschte. Kein Brief, kein neuerlicher Anruf. Ich muss davon ausgehen, dass mein Sohn und ich der Logik nach ebenso infiziert sind. Vielleicht erfahr ich das ja irgendwann einmal in der Zukunft, wenn mir ein Arzt beiläufig sagt, dass ich Antikörper habe.

Eher grübel ich nun, woher das Virus eigentlich stammt und ob meine Frau es vielleicht von mir hat. Immerhin war ich doch als wohl einzige inhäusige Veranstaltung vergangene Woche bei einer Corona-Pressekonferenz im Landratsamt. Vor Beginn blätterte Landrat Bernd Lange in seinem Büchlein und meinte im Angesicht einer Infektionsinzidenz von an diesem Tag erstmals über 150: „Bei der Tageslosung lese ich gerade: ’Ich, ich bin euer Tröster! Wer bist du denn, dass du dich vor Menschen fürchtest, die doch sterben?’ (Jesaja 51,12 ).“ Mir gefielen die Worte, die an die unumstößliche Endlichkeit menschliche Seins erinnern, andererseits vermittelten sie jedoch auch die Gegenwart einer gewissen Hysterie.

Wieso wünschen mir alle „Gute Besserung“?

Jedenfalls berichtete mir die Mutter des Freundes meines Sohnes, dass es nach ihren Erkundigungen auch an der Schule ihres Sohnes wohl so 10 bis 15 „Zweifelsfälle“ gebe. Im Umkehrschluss könnte man daraus die These entwickeln, dass ebenso viele Schüler, die ebenso Zweifelsfälle sein könnten, durch weniger ängstliche Eltern am Unterricht teilnehmen. Wenn ich also – wohl im Zeichen der personellen Überlastung bei den Kontaktermittlern – keinerlei Nachfrage zu Kontakten zweiten Grades erhalte ist das im Grunde gleichbedeutend mit der Botschaft: „Kontrolle verloren, die Sache läuft“. Am Mittwoch lag der Inzidenzwert bereits bei 277,77!
Auch der Freund meines Sohnes wird daher wohl in Kürze wieder die Schule besuchen. Die Quarantäne, die ich wie die Masse ohne Beeinträchtigungen erlebe, hat mich eher gelassen, vielleicht gar zynisch amüsiert gemacht. Um mit dem nächsten Vorurteil aufzuräumen. Sieht man von der der langsam schwindenden Geruchlosigkeit meiner Frau ab, ist nicht bei einem von uns auch nur ein zarter Hauch von Unpässlichkeit zu verzeichnen – und das obwohl wir beide jenseits der 50 sind.

Anrufer pflegen uns nun „Gute Besserung“ zu wünschen. Ich sage dann immer wahrheitsgemäß: „Ich bin doch schon vor einem Monat aus dem Krankenhaus entlassen worden“ (übrigens mit einer anderen Infektion). Im Grunde fühlt sich die Quarantäne also eher an wie ein verregnetes Wochenende ohne Familienausflug, vor dem man vergessen hat noch einkaufen zu gehen.

Wenn diese Zeitung erschienen ist, darf ich mich noch zwei Tage an der Quarantäne in den heimischen vier Wänden erfreuen. Das heißt immerhin auch, für die nächste Ausgabe muss ich vorwiegend noch „improvisieren“, denn wie bei allen Tätigkeiten ist der persönliche Kontakt viel authentischer und wertvoller als jede elektronische Information. Und so kommt zu meinen Hauptsorgen jene hinzu, dass unsere Gesellschaft noch verhängnisvoller zu einer virtuellen Welt umgebaut wird. Ertappe ich mich gar, den Gedanken für möglich zu halten, dass genau das vielleicht – und sei es auch nur in Gelegenheit der Pandemie – mit dem ständigen Alarmmodus erreicht werden soll?

Till Scholz-Knobloch / 08.11.2020

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