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Gronicz: „Nach langer Krankheit erstmals wieder an der frischen Luft“

Gronicz: „Nach langer Krankheit erstmals wieder an der frischen Luft“

Die beiden Görlitzer Stadtoberhäupter Rafal Gronicz (l.) und Octavian Ursu waren gefragte Gesprächspartner auch der überregionalen Medien wie hier des ZDFs. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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Noch vor kurzem konnte man selbst mitten im geteilten Pücklerpark in Bad Muskau allenfalls von der Absperrung aus winken, um Kontakt über die Grenze zu halten. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Görlitz. 12. Juni, 23.45 Uhr, Altstadtbrücke Görlitz. Aus allen Richtungen strömen Menschen unterschiedlichen Alters zur Altstadtbrücke. Eine Gruppe führt einen Rekorder mit, aus dem laut „Wind of Chance“ von den Scorpions dröhnt. Die Plätze in den Gaststätten sind voll, aber es ist erstaunlich still an den Tischen – eine Atmosphäre der Erwartung liegt in der Luft. Noch steht der Grenzzaun quer in der Mitte der Brücke, der das Herz der Europastadt teilt. Während auf polnischer Seite weniger Besucher versammelt sind, steht auf deutscher Seite Mensch an Mensch. Einige Minuten vor Mitternacht treffen beide Bürgermeister ein und greifen zum Bolzenschneider. Ein Mann mit Flüstertüte drückt auf einen Sirenenalarm, doch die beiden Stadtspitzen warten eisern, bis die beiden Zeiger der Uhr auf 12 stehen, ehe sie die Zaunelemente zur Seite drücken und die Stadt wieder vereint ist – begleitet von Polska Polska-Rufen – ohrenscheinlich jedoch aus deutschen Mündern. Und während die Masse nun ans Ostufer drängt intonieren drei junge Leute „Kehr ich einst zur Heimat wieder … mein Schlesierland – mein Heimatland“. Octavian Ursu, OB auf deutscher Seite, verharrt wie sein polnischer Kollege Rafal Gronicz für die Kameras und Mikrofone auf der Brückenmitte und gibt zu Protokoll: „Wir haben durch die Grenzschließung 30 Jahre nach der Wiedervereinigung in den letzten Wochen gelitten, jetzt ist die Europastadt wieder vollständig und darüber freuen wir uns und das werden wir auch feiern.“ Rafal Gronicz verrät dem Niederschlesischen Kurier: „Für mich ist die Grenzöffnung so, als ob ich nach einer dreimonatigen schweren Krankheit zum ersten Mal an die frische Luft gekommen wäre. Es bedeutet eine große Freude für mich. Ich freue mich, dass so viele Menschen mit uns die Grenzöffnung feiern. Viele haben darauf gewartet, wir sind nach den Jahren miteinander vertraut geworden, wir leben in einer Stadt und wollen nicht durch eine Grenze geteilt werden.“ 

Im Moment des Wiedersehens auf der Brücke wird es trotz der Emotionen des Augenblicks auch schnell konkret. Auf die Frage, welche gemeinsamen Vorhaben nun anstehen erklärt Octavian Ursu: „Wir planen ein großes Projekt – eine klimaneutrale Wärmeversorgung und darüber reden wir momentan“. Er und sein polnischer Amtskollege seien auch in der Zeit der Grenzschließung näher zusammengerückt, hätten häufiger als sonst miteinander telefoniert: „Das hat uns weiter zusammengeschweißt.“

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Octavian Ursu und Rafal Gronicz setzen mit dem Bolzenschneider zum letzten Schnitt an der Grenze an. Foto: Matthias Wehnert

Für den MDR war Peggy Wolters als freie Radio-Journalistin dabei, die aus Bad Muskau stammt. Sie sei im Grunde ständig zum Einkaufen, ins Restaurant oder beim Spazieren im Park auf beiden Seiten der Grenze zuhause gewesen: „Ich erinnere mich aber auch an meine Kindheit, als der Park getrennt war und dann kam die Trennung doch noch einmal. Es tat weh, es hat Emotionen hervorgerufen, die wir so lange nicht mehr hatten: so ein Zittern, so eine Angst: Was kommt danach? Ich wünsche mir und hoffe, dass den Menschen wieder bewusst geworden ist, was das für ein Geschenk ist, dass die Grenzen wieder offen sind und das dieses Wort offen den Menschen wieder ganz bewusst in den Kopf geht. Ich freue mich wie Bolle.“

Till Scholtz-Knobloch / 24.06.2020

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