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Ringlein, Ringlein, du musst wandern

Ringlein, Ringlein, du musst wandern

Cornelia Pönitz richtet den 3-D-Scanner ein, der Ring liegt bereits auf einem Blatt Papier auf dem Drehteller.

Im sächsischen Landesamt für Archäologie hat sich jetzt ein etwa 1000 Jahre alter slawischer Ring auf eine digitale Reise begeben. Der Oberlausitzer Kurier durfte ihn dabei ein Stück begleiten.

Göda. Es war einmal ein Ring. Vor etwa 1000 Jahren formte ihn ein kunstfertiger Handwerker aus Silber und bog dabei das eine Ende in die Gestalt einer Öse, die an die Zahl „6“ erinnert. „Diese Art von Ringen bezeichnet man in der Archäologie als Schläfenring“, erklärt Susanne Schöne vom Sächsischen Landesamt für Archäologie. Sie wurden an einem Kopftuch oder Lederband einzeln, als Paar oder zu mehreren an der Schläfe getragen und waren im 11. und 12. Jahrhundert ein beliebter Schmuck slawischer Frauen. Entsprechend häufig fand man diese besondere Form von Ringen als Beigabe in Gräbern.

So geschah es auch 1993 in der Nähe des kleinen Ortes Dobranitz in der Gemeinde Göda (Landkreis Bautzen). Hier war im Zuge des Sandabbaus ein Gräberfeld entdeckt worden – eine gute Gelegenheit für die Archäologen, im Untergrund nach Zeugnissen vergangener Zeiten zu fahnden. „Grabungen werden im Freistaat Sachsen nur durchgeführt, wenn sonst aufgrund von menschlichen Aktivitäten, wie Baumaßnahmen oder auch den Abbau von Rohstoffen, die Zerstörung möglicher Funde droht“, betont der Pressesprecher des Landesamtes, Christoph Heiermann. Ansonsten lässt man die Artefakte ruhen, bis spätere Generationen Anlass haben, sie ans Tageslicht zu holen.

Der Dobranitzer Ring befand sich in einem Feld von insgesamt 126 Gräbern, von denen die Forscher 76 als slawischen Ursprungs identifizierten. Sein Alter von etwa 1000 Jahren prädestiniert ihn geradezu dafür, innerhalb des Projektes „1000 Jahre Oberlausitz – Menschen, Burgen, Städte“ eine wichtige Rolle zu spielen. Und so holte man ihn aus dem Depot, indem er sicher verwahrt neben vielen anderen Zeugnissen früherer Kulturen ruhte, um ihn zum Anschauungsobjekt für die Möglichkeiten und Methoden der modernen Archäologie zu machen.

Modernste Technik mit Tücken

Ein Labor in den Räumlichkeiten des Sächsischen Landesamtes für Archäologie: Hier haben Cornelia Pönitz und mehrere Kollegen ihr Domizil. Neben den obligatorischen Computerbildschirmen steht abgetrennt in einer Nische ein kreuzförmiger Stativaufbau, an dessen horizontalem Ausleger eine entfernt an ein Mikroskop erinnernde Apparatur befestigt ist. „Das ist unser Streifenlichtscanner“, berichtet die für die 3D-Scans im Rahmen des Oberlausitz-Projektes zuständige Mitarbeiterin des Amtes. „Mit ihm können wir unsere Objekte berührungslos und hochgenau digitalisieren.“

Hier beginnt die virtuelle „Wanderung“ des Ringes. Das Objekt wird auf dem Drehteller des Scanners fixiert. Der Scanner projiziert ein sich veränderndes fächerartiges Muster aus hellen und dunklen Flächen auf das Objekt, wobei die Streifen mit jedem Wechsel schmaler werden. Nach dem Durchgang dreht sich der Teller um etwa 90 Grad, und das „Spiel“ beginnt von vorn. So wird der Ring aus mehreren verschiedenen Perspektiven aufgenommen, was später eine genauere Berechnung seines digitalen Abbildes ermöglicht.

So einfach, wie sich das ein Laie vielleicht vorstellen mag, ist das aber nicht: „Zuvor muss ich mir das Objekt genau anschauen, seine Besonderheiten und mögliche Probleme analysieren“, erklärt Cornelia Pönitz. Gegenstände wie unser Schläfenring, die aus Silber bestehen, reflektieren einen Teil des auf sie geworfenen Lichtes, was zu einem „Messrauschen“ führt – kleinen Zacken auf dem Abbild, die bei der Nachbearbeitung herausgerechnet werden müssen. Einzelne Bereiche des Ringes, die im „Messschatten“ liegen, kann der Lichtstrahl auch nach mehrmaligem Scannen nicht erfassen. Sie werden von einem speziellen Computerprogramm nachberechnet – ganz ähnlich, wie das menschliche Gehirn unvollständige Informationen, die ihm die Augen liefern, zu einem schlüssigen Gesamtbild ergänzt. „Durch das 3D-Scannen kann jeder interessierte Forscher auf der ganzen Welt mit dem Objekt arbeiten, es drehen, vergrößern, nachbearbeiten und natürlich drucken – ohne dass er körperlich auf das Original zugreifen muss“, erklärt Susanne Schöne, die als stellvertretende Leiterin des Projektes „1000 Jahre Oberlausitz – Menschen, Burgen, Städte“ fungiert.

Mit Hightech und Pinzette

Der Erste, der in diesem Fall auf den digitalen Schläfenring zugreift, ist Max Hilse. Der junge Löbauer war maßgeblich am Aufbau des Makerspace „Geistesblitz“ im Gründungsort des Oberlausitzer Sechsstädtebundes beteiligt. Es verfügt über ein beachtliches Portfolio von 3D-Druckern und hat bereits mehrere Objekte für das sächsische Archäologie-Landesamt ausgedruckt. Die spektakulärste war zweifellos die detailgetreue Nachbildung der Burgruine Karlsfried in der Nähe von Oybin, die in den Städtischen Sammlungen Zittau bewundert werden kann.

Der Schläfenring von Dobranitz ist ein paar Nummern kleiner – so klein, dass sich Max Hilse spontan dazu entschließt, ihn in doppelter Größe auszudrucken. „Der 3D-Druck hat auch seine Tücken“, weiß er nur zu genau. Er richtet den Drucker so ein, dass der Ausdruck stehend erfolgt. Dazu muss zunächst am Boden eine Art „Platine“ gedruckt werden, ein Viereck, das dem Druckobjekt Halt verleiht. Schicht für Schicht wachsen an den Rändern die Bögen des späteren Ringes empor, in der Mitte erhebt sich eine klobige, eckige Struktur. „Sie dient als Stütze und muss nach dem Druck herausgetrennt werden“, erläutert Max Hilse.

Nach etwa 30 Minuten hat er erkennbar Gestalt angenommen, zehn Minuten braucht die filigrane Form der Öse an der Spitze. Mit dem Entfernen des Stützquaders ist die Nachbearbeitung jedoch noch nicht beendet: „Der in diesem Drucker verwendete Kunststoff härtet nicht sofort vollständig aus“, erklärt Max Hilse. Und in der Tat haften an den Innenseiten feine Fäden, die der Löbauer mit einer Pinzette abschabt. Erst wenn diese Arbeit – „sie erfordert viel Konzentration, um den Ausdruck nicht zu beschädigen oder gar zu zerstören“ – erledigt ist, hat das 3D-Druckobjekt eine Form angenommen, in der man es präsentieren kann. 

Für unseren kleinen Ring ist die digitale Wanderung damit vorerst beendet, er kann wieder seinen angestammten Platz im Depot des Landesamtes für Archäologie einnehmen. Seine Duplikate – ihrer Anzahl sind keine Grenzen gesetzt – können jedoch noch vielen Wissenschaftlern und interessierten Laien auf der ganzen Welt von dem kunstfertigen Handwerker, der ihn vor 1000 Jahren erschuf, und seiner Zeit Kunde geben.

Das Forschungs- und Vermittlungsprojekt „1000 Jahre Oberlausitz – Menschen, Burgen, Städte“ erfolgt in Kooperation des Sächsischen Landesamtes für Archäologie mit mehreren Partnern in Deutschland und Polen. Es beleuchtet drei Themenfelder. Eine breite Präsentation erfolgt ab dem Frühjahr 2022 im Stadtmuseum Bautzen.

Uwe Menschner / 09.12.2021

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