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Verpasste Chancen der Geschichte

Verpasste Chancen der Geschichte

Dr. Steffen Menzel zeigt an einem Modell im Rothenburger Museum die einstige Bebauung des Schlossplatzes. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Feierlichkeiten zum 750. Geburtstag von Rothenburg verteilen sich über das Jahr. Doch ausgerechnet der 1. Mai als genauer Geburtstag ist veranstaltungsfrei. Der Rothenburger Präsident der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Dr. Steffen Menzel, erläuterte Till Scholtz-Knobloch, was es mit dem 1. Mai auf sich hat.

Herr Dr. Menzel, wie ist Rothenburg in die Geschichte getreten?

Steffen Menzel: Am Tage der Apostel Peter und Paul teilten sich die Erben der kurz zuvor verstorbenen Markgrafen von Brandenburg die bis dahin gemeinsam regierte Oberlausitz, die danach in ein Land Bautzen und ein Land Görlitz zerfiel. In diesem am 1. Mai 1268 ausgestellten Dokument wird Rothenburg als zum Görlitzer Landesteil gehörig erstmals urkundlich erwähnt.
Die erste Erwähnung ist natürlich nicht gleichbedeutend mit der Gründung der Stadt. Es bleibt nur zu vermuten, dass bereits um das Jahr 1200 eine Adelsfamilie Burg und Stadtanlage im Zuge des mittelalterlichen Landesausbaues als kleines Zentrum ihrer Herrschaft anlegen ließ.
Städte wurden seinerzeit etwa 30 Kilometer oder einen Tagesmarsch voneinander entfernt angelegt. Der Impuls für die Entstehung von Rothenburg ist sicher die Lage an der Neiße-Talrand-Straße von der Ostsee nach Böhmen gewesen.

Was wissen wir über die ersten Siedler?

Steffen Menzel: Zeitgleich entstanden im Umland Dörfer. Die meisten tragen deutsche Namen wie Kaltwasser, Bremenhain, Steinbach, Tormersdorf oder Uhsmannsdorf. Auch aus Untersuchungen der Namen gehen wir nur von einem sehr kleinen Anteil slawischer Bevölkerung im 14. Jahrhundert aus, Richtung Bad Muskau sah das bereits anders aus. Auch die Anlage der Stadt mit einem rechteckigen Markt weist ja auf das klassische Werk von Kolonisten hin. Die Familie von Rothenburg, die ab der Mitte des 14. Jahrhunderts als Besitzer in den Quellen fassbar wird, verstand es leider nicht, die Herrschaft wirtschaftlich voranzubringen. Einige Familienmitglieder gerieten gar auf Abwege und endeten als Raubritter auf dem Schafott. Als 1512 die neuen Eigentümer aus der Familie von Nostitz ihren Besitz unter ihren Söhnen aufteilten, war es mit der ursprünglich 15 Dörfer umfassenden Herrschaft endgültig vorbei. Auf den Dörfern entstanden kleinteilige Rittergüter und Rothenburg blieb als Landstädtchen in der Entwicklung zurück. Auch Brandkatastrophen machten der Stadt zu schaffen.

Dennoch behielt Rothenburg den Charakter einer Stadt?

Steffen Menzel: Ja, denn alle Gewerke waren letztlich vertreten und der Austausch zwischen Stadt und Dörfern blieb erhalten. Ein Beispiel: Es gab eine Brauerei und zudem 26 weitere Brauhöfe. Dazu muss man aber wissen, dass Bier das klassische Getränk war. Es war durch den Brauprozess viel keimfreier als das Wasser aus dem Brunnen und wurde daher auch ganz selbstverständlich von Kindern getrunken. Allerdings auch in deutlich dünnerer Form als heute. Da die in Rothenburg ansässigen Handwerker ausschließlich für den heimischen Markt produzierten, genügten die Erlöse jedoch nicht zum Überleben, so dass als zweites Standbein Landwirtschaft betrieben werden musste – die Stadt also eine Ackerbürgerstadt war. Neben Lebensmittelproduzenten wie Bäcker und Fleischer gab es auch Leinweber, Gerber, Schönfärber, Schuh- und Hutmacher, Tischler, Stellmacher, Schmiede und Strumpfstricker.

Die Neuzeit brachte dann aber ganz neue Strukturen mit sich…

Steffen Menzel: Ja, nach den napoleonischen Kriegen kam die östliche Oberlausitz 1815 zu Preußen, Rothenburg wurde nun Kreisstadt. Ehe die Grenzziehung 1945 an der Neiße die Stadt an den Rand drängte, hatten sich um 1900 jedoch zwei bedeutende diakonische Einrichtungen angesiedelt, die Rothenburg bis heute prägen: Der Martinshof, 1898 unter dem Namen Zoar als Behinderteneinrichtung gegründet und das 1903 eröffnete Schlesische Krüppelheim, heute die orthopädische Spezialklinik Martin-Ulrich-Haus.
Seit 1907 gab es auch einen Bahnanschluss über die Kleinbahn Horka-Rothenburg-Priebus. Den großen Aufschwung durch die Bahn hatten die Stadtväter jedoch beim Bau der Görlitz-Berliner Strecke 1867 verpasst.

Was hat der Verlust des Kreissitzes mental mit den Rotenburgern gemacht? Der Kreis Rothenburg war flächenmäßig ja sogar der größte in Niederschlesien.

Steffen Menzel: (lacht) Das vermag ich nicht zu sagen, es hatte aber natürlich zur Folge, dass viele Mitarbeiter des Landratsamtes die Stadt verließen und die Stadt Einwohner verlor, während der Kreissitz erst Weißwasser und dann Niesky wurde. Aufgefangen hat das letztendlich, dass Rothenburg zur Garnisonsstadt wurde. Als in den 50er Jahren der Flugplatz gebaut wurde und es Zuzug der Militärangehörigen gab, sind die Bevölkerungszahlen wieder nach oben gegangen. Die Stadt hatte damit erneut auch einen erheblichen funktionalen Wandel durchlaufen.

Till Scholtz-Knobloch / 27.04.2018

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