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Wer kann mir schon etwas vormachen?

Wer kann mir schon etwas vormachen?

Hansjörg Goetz hat in seinem Keller akribisch Dokumente zur Geschichte des Rothenburger Flugplatzes zusammengetragen. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Vergangenheit des Rothenburger Flugplatzes ist vielschichtig. Persönliche Erfahrungen haben Hansjörg Goetz daher zu einem Forscher in eigenen Diensten werden lassen. Er will seine Sammlung einmal beim Bundesarchiv sehen.

Rothenburg. Hansjörg Goetz sitzt in seiner Freizeit am liebsten im Keller und archiviert manche historische Schätze. Stolz ist er auf die Sammlung mit seltenen Erinnerungsstücken aus der Raumfahrtgeschichte und vor allem den Autogrammkarten zahlreicher Kosmonauten. Doch die akribisch zusammengestellten Erinnerungsstücke nehmen sich bescheiden aus gegenüber der persönlichen Dokumentation seines Lebens, seiner Familie und vor allem seiner Zeit auf dem Flugplatz Rothenburg. „Ich bin wohl der einzige, der die gesamte Zeit des Militärflugplatzes von den 50er Jahren bis 1990 miterlebt hat“, meint er und blättert in den Ordnern. Dabei handelt es sich nicht einfach um aufgehobene Dokumente. Vielmehr sind die Seiten feinsäuberlich laminiert, kommentiert und Fehler aus kopierten Büchern, Zeitungen oder Dokumenten jeweils fett in roter Farbe und durch sauber gesetzte Balken gekennzeichnet. „Ich habe im Niederschlesischen Kurier den Aufruf gelesen, dass für einen zweiten, zu überarbeitenden Teil des Buches ‚Stets wachsam und verteidigungsbereit – die Geschichte des Flugplatzes Rothenburg/Oberlausitz’ ergänzende Dokumente gesucht werden“. Doch Hansjörg Goetz hat sich nicht an den Museumsverein in Rothenburg gewandt, sondern an die Presse. Der 78-jährige lässt die Antwort wieso zunächst offen und betont stattdessen die militärische Familientradition der ursprünglich als Hugenotten nach Preußen gekommenen Vorfahren. Die Militärtradition in der Familie reiche bis in die Kaiserzeit zurück. Er selbst habe eine solche Kontinuität gar nicht angestrebt. Nachdem er Schlosser gelernt habe, sei er sechs Tage vor seinem 18. Geburtstag aus dem Tagebau in Senftenberg zum Fliegertechnischen Bataillon nach Bautzen gerufen worden. Als er sich am 2. Oktober 1957 marschfertig zu melden hatte, habe er nicht gewusst wo es hingeht. An der Offiziersschule wurde er beim 4. Flugzeugführerlehrgang für den neuen Flugplatz Rothenburg fit gemacht, den die Sowjets 1954 zunächst für eigene Zwecke geschaffen hatten. 1959 war er Unterleutnant.

Wer sollte Hansjörg Goetz also etwas vormachen? Er schaut verärgert auf ein Taschenbuch, dessen Titelseite ein geöffnetes Cockpit zeigt. „Ich bin als Fotograf des Bildes auf der Titelseite im Buch nicht einmal genannt. Und wieso schreiben eigentlich so viele Menschen über Dinge, bei denen sie nicht dabei gewesen sind?“, fragt er sich und blättert in dem Taschenbuch, in dem er den Rotstift zur Korrektur auf vielen Seiten eingesetzt hat. Dabei geht es dem agilen Rothenburger gar nicht um das Geld, das er Herausgebern z.B. wegen falscher Angabe von Autorenschaften außergerichtlich abgerungen hat. „Das bekommt sowieso die Kinderkrebshilfe“. Aber historisch sauber könne man doch nur arbeiten, wenn man nicht einfach oft falsche Dokumente heranzieht, sondern vor allem mit Zeitzeugen wie ihm spreche.

In der bohrenden Art, Dinge auf den Grund zu gehen, versteht sich Goetz. Nach seiner Zeit als Stadtratsmitglied für den Kulturbund der DDR von den 70er Jahren bis zur Wende, führte er die Untersuchungskommission Korruption und Amtsmissbrauch im Altkreis Niesky. „Ich bin eigentlich ein typisches Kind der DDR. 1953 habe ich die Schule in Stalin-stadt (AdR.: heute Eisenhüttenstadt) abgeschlossen und ich wurde von der in Odessa in der Ukraine geborenen jüdischen Mutter von Che-Guevara-Wegbegleiterin Tamara Bunke unterrichtet.“

Nach der Wende musste Goetz dann erfahren, dass gleich 22 inoffizielle Mitarbeiter der Staatssicherheit auf ihn angesetzt waren: „Für jeden Klarnamen habe ich bei der Gauck-Behörde 15,- Euro berappen müssen. Das ist ein teuer Spaß geworden“. Wieso er sich ohne Parteibuch unter den – wie er sich auszudrücken pflegt – „Edelgenossen“ lange unbeschadet behaupten konnte, kann er nur vermuten. „Onkel Fritz hat in Spanien zusammen mit dem späteren Armeegeneral und DDR-Verteidigungsminister Heinz Hoffmann gekämpft“, sagt er fast beiläufig, denn was nicht belegt ist, zählt für ihn auch nicht in gleicher Weise wie das persönlich verbürgte. Wie eben auch bei den militärischen Dokumenten. Dabei sitzt er im Grunde auf einem Schatz. Handschriftliche Flugpläne zeugen davon, wer an welchem Tage welche Maschine flog. Und ein Stück Gelassenheit schwingt auch mit, wenn er von noch weit finstereren Zeiten spricht: „Ich habe drei Bombenangriffe überlebt“, sagt er und erzählt davon, dass er in der Soldatensiedlung von Guben auf dem heute polnischen Ostufer der Stadt das Licht der Welt erblickt hat. Als man von Crossen an der Oder (Krosno Odrzanskie) bereits Kämpfe hörte sei die Flucht über Berlin nach Güstrow in Mecklenburg zum Heereszeugamt gegangen. Von hier sei der Onkel zum Militär nach Schleswig-Holstein gekommen und bereits zu seinen Dienstzeiten in Rothenburg hätten Angehörige im Westen bereits in hohen militärischen Dienstgraden gedient.

Hier kommt sein Unbehagen zu vielen einstigen Wegbegleitern durch, immerhin habe Rothenburg die höchstdekorierten Flieger der DDR hervorgebracht. Dabei flog Hansjörg Goetz selbst die Jak-18U und A, die MiG 15 oder MiG 17 F. Besonders ist ihm seine Rettung aus einer MiG 21 F-13 mit dem Schleudersitz mitten im Dorf Gruna (Gronów) bei Zgorzelec am 2. April 1970 in Erinnerung. Aber ab 1975 musste er dann als Flugleiter oder für Sonderaufgaben ran, ehe er mit dem 31. Dezember 1990 mit 51 Jahren als Oberstleutnant in den Ruhestand ging. „Mich hat damals geärgert, dass manch einer die Kurve bekommen hat. Da wurden Ersatzteile einfach teuer an Amerikaner verkauft“, sagt er. Und dieses Misstrauen gegenüber „Edelgenossen“ hat ihn zum Archivar in eigenen Diensten gemacht.

„Ich habe nach der Wende aufgrund meiner eigenen familiären Beziehungen nach Berlin Kontakte zum Flugplatz Berlin-Gatow gesucht. Über die Gatower Kontakte werden wohl auch meine Kinder mal die Sammlung an das Bundesarchiv geben“, meint er nicht unzufrieden und findet gleich ein weiteres Indiz dafür, dass sein Weg der richtige ist. „Rothenburg hatte das einzige NVA-Geschwader, das heute keinen Traditionsverein hat“. Doch Schlagworte will er dabei als Mann sicherer Quellen nicht in den Mund nehmen: „Ob es eine DDR-Fliegerelite in Rothenburg gab, das müssen andere entscheiden“.

Till Scholtz-Knobloch / 14.11.2017

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