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Angst ist ein schlechter Ratgeber, Vorsicht ein guter

Angst ist ein schlechter Ratgeber, Vorsicht ein guter

Sicher hat nicht jeder eine Boulder-Wand in seiner Wohnung, aber körperliche Betätigung ist gerade in dieser Zeit wichtig.

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Der Kamenzer Bewegungstrainer Tobias Jantsch vermisst bei den Corona-Regeln und ihrer Kommunikation wichtige Aspekte.

Kamenz. Tobias Jantsch ist in Kamenz und Umgebung, aber auch darüber hinaus als erfolgreicher Unternehmer und Bewegungslehrer bekannt. In mehreren Leserbriefen an den Oberlausitzer Kurier hat er die Strategie der Bundesregierung in der gegenwärtigen Corona-Pandemie kritisiert. Unser Redakteur Uwe Menschner wollte etwas mehr über die Hintergründe erfahren und sprach deshalb persönlich mit ihm.

Herr Jantsch, sie haben in mehreren Leserbriefen an unsere Zeitung die einseitige Ausrichtung der Kommunikation auf die Einhaltung der AHA-Regeln und der Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen kritisiert. Was bleibt dabei Ihrer Ansicht nach unbeachtet?

Was mir fehlt, sind Aufklärung und aktive Prävention. Dass wir diese Regeln und Beschränkungen brauchen, bestreite ich nicht. Doch mindestens genauso wichtig ist es, dass die Menschen ihr Immunsystem stärken – das würde die Ärzte und das Pflegepersonal am Meisten entlasten. Diese Aufklärung wünsche ich mir von der Bundesregierung, denn sie bringt mehr, als Angst zu schüren.

Ist es denn aber nicht richtig, die Menschen zur Vorsicht und zur Einhaltung der Regeln zu mahnen?

Natürlich, aber man darf Vorsicht nicht mit Angst gleichsetzen. Angst ist immer ein schlechter Ratgeber, Vorsicht dagegen ein guter. Ich finde es falsch, die Menschen dazu aufzufordern, zu Hause herumzusitzen und gar nichts zu tun, wie es die Bundesregierung in ihrer Videokampagne macht. Denn gerade das hat fatale Auswirkungen auf unser Immunsystem, ja auf unsere gesamte Gesundheit. 

Könnten Sie das bitte ein wenig ausführlicher erläutern?

Die Muskulatur ist der Stimulus aller unserer Organsysteme. Wenn wir alle nur noch zu Hause herumsitzen, wird sich die Homöostase, also unser biochemisches Gleichgewicht im Körper, an die reduzierte Bewegung anpassen. Folglich schalten alle Organsysteme einen Gang runter und werden anfälliger für Störungen. Warum? Weil unser Körper rational arbeitet, der hält nur das am Laufen, was wir stetig gebrauchen und nutzen. Mit der Aufforderung, auf die Bewegung im Freien zu verzichten, wird also genau das Gegenteil von dem gewünschten Resultat erreicht. Wichtig ist es dabei, sich Reiz gebend zu bewegen.

Was genau meinen Sie damit?

Die Bewegung sollte abwechslungsreich sein, ständig neue Reize schaffen. Man kann zum Beispiel einen Berg zügig hoch und langsam wieder herunter laufen. Man kann beim Radfahren zwischendurch auch mal ein Stück gehen und schieben. Man sollte der Alltagsbewegung entgegenwirken. Wer viel sitzt, sollte die Oberschenkel ausgiebig dehnen. Wichtig ist, nicht immer nur dasselbe auf die gleiche Weise zu tun.

Sie weisen auch auf die Notwendigkeit hin, noch besser auf die Ernährung zu achten.

Genau! Kaum jemand spricht davon, dass 80 Prozent unseres Immunsystems über den Darm beeinflusst werden. Ich habe in dieser Zeit noch nirgends gelesen: ’Liebe Bürger, bitte esst ausgewogen, bewegt euch reizgebend und achtet auf einen ausreichend gedeckten Vitamin- und Mineralstoff-Haushalt!’ Das gilt besonders jetzt im Winter, wo ich empfehle, auf regionale und saisonale Kost zu achten. Wintergemüse wie Kohl oder Kohlrabi sind den importierten Südfrüchten vorzuziehen und haben auch noch den Effekt, die einheimischen Bauern und Gärtner zu unterstützen. Und auch im Winter ist es wichtig, ausreichend zu trinken.

Eine Ihrer Thesen lautet: Gesundheit beginnt im Kopf.

Die Menschen geben viel zu oft die Verantwortung für sich selbst an andere ab. Viele von uns haben es verlernt, sich mit der eigenen Gesundheit zu beschäftigen und laufen jetzt Gefahr, sich in der geschürten Angst zu verlieren. Das ständige Desinfizieren der Hände birgt zum Beispiel die Gefahr, den natürlichen Schutz der Haut zu zerstören. Besser ist es, die Hände zum Ausgleich auch mal mit Seife zu waschen, also ein basisches Milieu zu schaffen. In der gegenwärtigen Situation, in der die Politik immer neue Regelungen und Vorschriften erlässt, sehe ich die Gefahr, dass auch die Wohlmeinenden irgendwann sagen: Was sollen wir denn noch alles tun? Besser wäre es, den Menschen nahe zu bringen, wie man sein eigenes Immunsystem und damit die eigene Gesundheit stärken kann. 

Welche Defizite sehen sie noch?

Auch wenn unsere Regierung es gut meinen möge, so bestraft sie die Bürgerinnen und Bürger mit dem aktuellen Maßnahmenkatalog, weil über Jahre hinweg das Gesundheitssystem und der Katastrophenschutz vernachlässigt wurden. Warum wurden unsere Medizinstudenten über den Sommer nicht an den Beatmungsgeräten angelernt? Damit hätten wir unserem überlasteten Medizinpersonal tatsächlich geholfen. 

Unser Gesprächspartner: Tobias Jantsch, Geburtsjahr 1983, saß nach einem Unfall mit der Diagnose, nie wieder gehen zu können, im Rollstuhl. Nach „einem Jahr Hadern“, wie er selbst sagt, bemerkte er, dass die Beweglichkeit zurückkam und arbeitete intensiv daran. Erst las er Bücher über das Thema, dann schrieb er sie selber. Fünfeinhalb Jahre nach der Diagnose absolvierte er wieder einen Triathlon. 
Vor sieben Jahren gründete Tobias Jantsch, „ohne einen Cent in der Tasche“, das La Vida Zentrum für Gelenk- und Wirbelsäulenrekonditionierung, das nach einem selbst entwickelten Trainingskonzept arbeitet. Heute hat das Zentrum sechs Mitarbeiter an zwei Standorten (Kamenz und Dresden), die Kunden kommen aus der ganzen Welt

Uwe Menschner / 15.12.2020

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