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Baustelle zwingt Händler zum Umzug

Baustelle zwingt Händler zum Umzug

Zeit zum Räumen: Aufgrund der monatelangen Baustelle vor seinem Baby- und Kinderbekleidungsladen zieht Unternehmer Remo Gäbler jetzt ins Kornmarkthaus um. Foto: RK

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Auf den letzten Metern wird jetzt auf die Tube gedrückt. Foto: RK

Einzelhändler in der Karl-Marx-Straße brauchen weiterhin starke Nerven. Mitte Oktober sollen nunmehr die Bauarbeiten vor ihren Geschäften ein Ende finden. Noch im März hatte der Bauherr EWB den 17. September dafür ins Auge gefasst. Doch der steht nicht länger zur Debatte, nachdem kurzfristig mehrere Aufträge für Hausanschlüsse beim Energieversorger eingingen. Die betroffenen Unternehmer sind stinksauer.

Bautzen. Das Ziel ist klar: Die zu 51 Prozent in kommunaler Hand befindlichen Energie- und Wasserwerke Bautzen (EWB) wollen weitere Haushalte an ihr Fernwärmenetz andocken. Um das hinzubekommen, müssen Rohre verlegt werden. Genau das geschieht seit April zwischen den Schilleranlagen und der Tuchmacherstraße. Das Versorgungsunternehmen investiert in sein jüngstes Vorhaben eine sechsstellige Summe, die zwischen 400.000 und 500.000 Euro liegt. Allein in der Karl-Marx-Straße kommen zu den bereits vorhandenen 100 Fernwärmeabnehmern 50 weitere hinzu. Die Trasse, die einmal von der Seminarstraße aus bis zum Kornmarkt und in anderer Richtung über die Bahnhofstraße bis hin zum im Umbau befindlichen Bahnhofsgebäude führen wird, ist bereits ein gutes Stück vorangekommen. Auch an anderen Stellen in der Spreestadt graben sich momentan unter der Regie der EWB Bagger durchs Erdreich, bringen Bauarbeiter spezielle Kunststoffrohre unter Tage – so zum Beispiel an der Andritzki-Straße oder auch an der Hegelstraße. Dort sollen jedoch die Bautrupps aller Voraussicht nach zur Monatsmitte beziehungsweise Ende September abrücken.

Unterdessen befürchten mehrere Einzelhändler entlang der Karl-Marx-Straße, dass sich ihre wirtschaftliche Situation weiter zuspitzt. Schon jetzt beklagen einige von ihnen Umsatzeinbußen von 30 bis 50 Prozent. Remo Gäbler ist einer von ihnen. Bei ihm liegen die Verluste in fünfstelliger Euro-Höhe. Der Inhaber eines Geschäfts für Kinderbekleidung und Babybedarf hat deshalb die Notbremse gezogen. Er und seine Mannschaft werden ab Anfang Oktober im Kornmarkthaus zu finden sein. Vorausgesetzt, ein problemloser Umzug ist aufgrund der Baustellensituation möglich. „Die EWB hat mir zugesagt, dass wir einen straßenseitigen Zugang für die Beladung der Umzugsfahrzeuge bekommen. Wir können ja nicht den Standortwechsel zu Fuß erledigen“, sagte der Bautzener im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier. Kurz darauf hielt der Energieversorger Wort. Für ein paar Stunden konnte Remo Gäbler schon einmal einen ersten Teil seines Umzugs realisieren. Für Ende dieser Woche und die darauffolgende Zeit hoffte er auf ein weiteres Entgegenkommen.

Vor ähnlichen Herausforderungen steht die Inhaberin eines Schnellimbiss. Claudia Hanusch führt seit Januar 2016 die Geschicke in Bautzens einzigem Subway-Restaurant. „Definitiv 30 Prozent weniger Umsatz haben wir zu verkraften“, sagt sie. Sehr wohl sei die Sperrung der Karl-Marx-Straße für den Durchgangsverkehr mit Schuld daran, dass es nicht so wie in der Zeit vor der Baustelle in den Kassen der Einzelhändler klingelt, betont die Unternehmerin. „Im Normalfall halten viele mit ihrem Fahrzeug in unmittelbarer Nähe, weil die Leute gerade bei so heißen Temperaturen wie in diesem Sommer nicht gern größere Strecken zu Fuß absolvieren“, erklärte Claudia Hanusch.

Doch sie steht noch vor einem ganz anderen Problem. Lieferanten können ihr Restaurant schon seit Wochen nicht direkt erreichen, meint die Spreestädterin. Mit Sorge und Unverständnis beobachten die betroffenen Unternehmer dabei, dass auf der großen Baustelle zeitweise nur zwei bis drei Arbeiter ihrem Job nachgehen. Es habe sogar Tage gegeben, an denen dort keine Menschenseele anzutreffen war. Deshalb sind sich die Geschäftstreibenden sicher: Mit mehr Personal hätte sich die Baustelle schneller über die Bühne bringen lassen. „Es ist ein Unding, dass eine Baustelle so lange dauern muss und keinen der Verantwortlichen interessiert die Lage der Händler“, bemerkten Remo Gäbler und die Inhaberin des auf der gleichen Straßenseite gelegenen Baguette-Lokal. Doch auch gegenüber von ihnen sieht es nicht besser aus. Eine Fleischerei machte vorsorglich ihren Laden gleich für mehrere Wochen dicht. Betroffen von der vorübergehenden Schließung ist auch das im ersten Stockwerk befindliche Bistro. Und selbst Oliver Förster, der für einen Mobilfunkladen arbeitet, kann nicht auf die Umsatzzahlen verweisen, die er ohne die Baustelle vorm Haus gehabt hätte. Im Juli fielen diese etwa ein Viertel geringer aus. „Die eingeschränkte Parksituation trägt ihren Teil dazu bei“, betont er. „Dabei haben wir noch das Glück, unsere Kunden hierher lotsen zu können, indem wir mit ihnen telefonieren.“

Die EWB weist indes alle Schuld und Verantwortung von sich. Der Energieversorger geht davon aus, dass Remo Gäblers Geschäft und die Läden all der anderen Anlieger bislang jederzeit zugänglich waren. Auch in der nächsten Bauphase sei die fußläufige Erreichbarkeit stets gewährleistet. An den Bauzäunen angebrachte Werbeschilder sollen den Kunden verdeutlichen, dass sie entlang der Karl-Marx-Straße weiterhin willkommen sind. „Während der kompletten Bauphase sind wir regelmäßig mit den ansässigen Händlern im Kontakt und versuchen für alle Beteiligten die bestmöglichste Lösung zu finden“, versucht Unternehmenssprecherin Bianca Hänisch die Lage zu beruhigen. „Die Verzögerung ergibt sich allein aus dem Grund, das zusätzliche Hausanschlüssen an der Karl-Marx-Straße zu installieren sind, die bis vor Baubeginn noch nicht berücksichtigt werden konnten. Die Hauseigentümer haben sich während der Bauphase für einen Hausanschluss entschieden und erst nach schriftlicher Auftragserteilung konnten wir den notwendigen Mehraufwand einplanen. Im Ergebnis dessen musste der Bau der Hauptleitung aufwendiger ausgeführt werden als ursprünglich geplant.“

Indes droht weiterer Unmut. Denn die Stadt Bautzen als EWB-Mehrheitseigner lehnt eine Kompensation von Umsatzeinbußen strikt ab. „Es ist nicht vorgesehen, dass die Händler der Karl-Marx-Straße in irgendeiner Art und Weise während der Bauzeit entschädigt werden“, erklärt Rathaussprecher André Wucht auf Anfrage. „Die Situation der anliegenden Geschäfte ist uns durchaus bewusst. Grundsätzlich besteht aber gemäß Paragraf 14 Absatz 1 Satz 2 Straßengesetz für den Freistaat Sachsen kein Anspruch auf die Aufrechterhaltung des Gemeingebrauches.“ Was der Stadtsprecher unerwähnt lässt: Nur einige Textstellen weiter im Gesetzbuch findet sich unter Paragraf 22 Absatz 5 folgende Einschränkung: „Werden für längere Zeit Zufahrten oder Zugänge durch Straßenarbeiten unterbrochen oder wird ihre Benutzung erheblich erschwert, ohne dass von Behelfsmaßnahmen eine wesentliche Entlastung ausgeht, und wird dadurch die wirtschaftliche Existenz eines anliegenden Betriebes gefährdet, so kann dessen Inhaber eine Entschädigung in der Höhe des Betrages beanspruchen, der erforderlich ist, um das Fortbestehen des Betriebes bei Anspannung der eigenen Kräfte und unter Berücksichtigung der gegebenen Anpassungsmöglichkeiten zu sichern. Der Anspruch richtet sich gegen den, zu dessen Gunsten die Arbeiten im Straßenbereich erfolgen.“

Ob Remo Gäbler, Oliver Förster, Claudia Hanusch und ihre anderen Leidensgenossen tatsächlich alle Last allein zu tragen haben, das bedarf durchaus einer juristischen Überprüfung. Zumindest deutete sich zur Wochenmitte in einem der Fälle schon einmal eine Lösung an.

Roland Kaiser / 09.09.2018

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