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Brillenreißer, Rambo und die Tote vom Gleis

Brillenreißer, Rambo und die Tote vom Gleis

Eveline Schulze in Görlitz. In diesem Milieu spielt eine Geschichte ihres neuen Buches, das am Donnerstag, 15. September, 19.30 Uhr, in der Thalia-Buchhandlung vorgestellt wird. „Die Tote auf den Gleisen“ ist ein authentischer Kriminalfall. | Foto: fum

Görlitz. Erneut hat Eveline Schulze Akten gewälzt, Zeitzeugen befragt, Zusammenhänge hergestellt. In drei spannenden Episoden erzählt die Autorin aus der Neißestadt authentische Kriminalfälle. Einer davon scheint noch ungelöst, da sich im Laufe der Recherchen viele Ungereimtheiten ergeben haben.

Es ist das Jahr 1954. Ruth Fende stammt aus Spitzkunnersdorf. Die junge Frau, Halbschwester eines ortsbekannten Bäckermeisters, lernt dort Weberin. Sie ist jedoch so gut in der Schule, dass sie auf die so genannte Arbeiter- und Bauernfakultät (ABF) nach Görlitz geschickt wird, wo sie sich für ein späteres Studium fit machen soll. In der Neißestadt wohnt sie zur Untermiete. Knapp zwei Monate nach Beginn des Schuljahres ist sie tot. Anfang November aufgefunden an den Bahnschienen auf der Brücke Reichenbacher Straße, genau am Kilometerpunkt 1,3.

Die Todesumstände jedoch, findet Eveline Schulze heraus, sind widersprüchlich. Auf der Sterbeurkunde, die die Kriminalbuchautorin selbst in den Händen hält, steht als Todesursache: überfahren, überrollt, nach Volkspolizeiangaben Suizid. Doch die zuvor angeordnete Verwaltungssektion hatte ergeben, dass die Leiche weitgehend intakt war. Keine Spur von abgetrennten Gliedmaßen, wie man es beim Überfahren durch einen Zug vermuten könnte.

Eveline Schulze macht sich auf die Spur, denn der Fall ist für sie noch ungelöst. Entscheidend ist für sie die Frage: Wie ist Ruth Fende tatsächlich zu Tode gekommen? Mit etwas Glück macht sie die Familie ausfindig, bei der die Spitzkunnersdorferin in Görlitz zur Untermiete wohnte. Waltraud, die Enkelin der damaligen Vermieterin, gibt ihr wertvolle Hinweise, denn sie hat mit Ruth in einem Zimmer gelebt. Angeblich, so die Angaben der Polizei 1954, soll die junge Frau an Tuberkulose, einer unheilbaren Krankheit, gelitten haben. Deshalb habe sie sich das Leben genommen. Doch in Spitzkunnersdorf weiß niemand etwas davon, auch wenn im Sektionsbefund ein angeblich massiver TBC-Befund vermerkt ist.

Fest steht aber auch, dass Ruth Fende mit gebrochenem Zungenbein an den Gleisen liegen blieb – eine Verletzung, die man beim Erwürgen zugefügt bekommt. Es könnte also auch sein, dass die Schülerin erst getötet und dann auf der Bahnbrücke an der Reichenbacher Straße abgelegt wurde.

Eveline Schulze ist hin und her gerissen. Denn um die offizielle Todesursache anzuerkennen, gibt es zu viele Unstimmigkeiten. Sie hofft deshalb, weitere Zeitzeugen zu finden – vielleicht aus der ABF-Klasse, in der Ruth Fende 1954 ein paar Wochen lang die Schulbank drückte. Oder aus dem Wohn-, Freundes- und Schulumfeld der verstorbenen Frau. Gelingt das, soll die Aufarbeitung weiter gehen.

„Der Brillenreißer“ beruht auf Tatsachen aus dem Ende der 1960er Jahre. Görlitz ist beunruhigt über die Häufung von Überfällen junger Frauen. Ein Unbekannter lauert ihnen auf und vergewaltigt sie. Immer an bestimmten Tagen, immer in einem bestimmten Teil der Altstadt – zwei entscheidende Fakten für die Ermittler, die daraufhin einen weiblichen Lockvogel einsetzen. Und tatsächlich: der Vergewaltiger wird überführt. Es ist ein psychisch labiler Mann aus Löbau, der an zwei Tagen in der Woche zur Behandlung nach Görlitz fährt. Wenn er hier ist, reagiert er seinen Drang ab, Frauen mit Brille nachzustellen. In seiner Jugend hatte er mit ansehen müssen, wie sein Vater oft über seine Mutter herfiel und sie sexuell nötigte, ihr zuvor aber die Brille von der Nase riss. Für ihn der innere Anstoß, es seinem Vater gleich zu tun. Nach seiner Verurteilung landet der Mann in einer geschlossenen Anstalt der Psychiatrie.

Nicht minder spannend ist der Fall aus dem Jahr 1991. Eines Tages wurde die Polizei darüber verständigt, dass eine Ende 20-Jährige in einer Rauschwalder Wohnung tot in der Badewanne lag. Ein Stromschlag, meinte der entsetzte Anrufer. Seine Frau habe sich geföhnt und nicht aufgepasst. Doch was sich den Kriminalisten nach ihrem Erscheinen bietet, ist ein gänzlich anderes Bild. Die Polizei findet Einstichstellen und das Tatwerkzeug – ein Messer, wie es Rambo in dem gleichnamigen US-Film benutzt hat.

Der Täter, ihr Mann, ist ein mehrfach wegen Diebstahl und Körperverletzung vorbestrafter Görlitzer. Als er aus seiner letzten Haftstrafe entlassen wird, bekommt er eine Arbeit als Heizer zugewiesen. Beim Tanz lernt er seine spätere Freundin kennen. Er bessert sich und sie ziehen zusammen. Schon seit Längerem ist er von der Figur des Rambo fasziniert. Nach der Wende besorgt er sich die Filme, von seiner Freundin bekommt er ein so genanntes Rambo-Messer geschenkt.

Das Drama passiert am Himmelfahrtstag. Nach einer Sauftour durch die Stadt lässt er sich nicht besänftigen. Meint, er habe hier das Sagen. Im Vollrausch, aber auch im Affekt, ersticht er die junge Frau, legt sie danach in die Badewanne und tischt der Polizei eine falsche Geschichte auf. Seine Strafe lautet vier Jahre Gefängnis. Als er frei kommt, verkraftet er seine Einsamkeit nicht. Er will nicht wahr haben, dass er sich selbst jenen Menschen genommen hat, der ihm Halt gab und ihm das Liebste war. In einer Kurzschlussreaktion nimmt er sich das Leben.

 

Frank-Uwe Michel / 29.08.2016

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