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Bürger erkämpfen sich die Nachtruhe zurück

Bürger erkämpfen sich die Nachtruhe zurück

Bei einer Informationsveranstaltung zum Tagebau Pließkowitz kamen mehrere Ungereimtheiten zur Sprache. Foto: RK

Malschwitz. In mehreren Ortschaften der Gemeinde Malschwitz könnte es von Anfang Oktober an in den Nachtstunden merklich ruhiger werden. Unter dem Druck der Einwohner von Kleinbautzen, Malschwitz, Pließkowitz und Doberschütz hat der Betreiber des Steinbruchs Pließkowitz seine vor einigen Jahren durch das Sächsische Oberbergamt (OBA) erteilte Genehmigung für die Nachtarbeit zurückgegeben. Das bestätigte die Aufsichtsbehörde auf Anfrage. Damit schweigt fortan des Nachts die Aufbereitungsanlage, die seit Monaten zahlreichen Menschen den Schlaf raubt. Für eine Bürgerinitiative (BI), die sich seit ihrer Gründung im Frühjahr 2017 für eine bessere Lebensqualität im Umfeld des Tagebaus einsetzt, ist das ein wichtiger Teilerfolg.

Entgegenkommen des Tagebaubetreibers

Gleichzeitig bemüht sich die Protestbewegung darum, dass die Staubbelastung, die vom Steinezermahlen und den ringsum befindlichen Abraumhalden ausgeht, endlich eingedämmt wird. Selbst in dem Punkt ist ein Fortschritt erkennbar. So soll nach übereinstimmenden Meldungen von BI und OBA eine geplante Haldenerweiterung erst erfolgen, wenn vom Inhaber des Steinbruches ein Staubminderungskonzept vorgelegt wird. Dieser kündigte an, ein solches Papier ebenfalls im Laufe des kommenden Monats bei der Genehmigungsstelle in Freiberg einzureichen. Wie es hieß beziehen sich die darin enthaltenen Eckpunkte sowohl auf den Tagebaubetrieb als auch auf die Zufahrtsstraße und den nicht unter Bergaufsicht stehenden Lagerplatz.

Die Firma Pro Stein, die bis in die 2040er Jahre hinein vor Ort in Größenordnungen Granodiorit mit einem Quartz-Anteil von bis zu 30 Prozent abbauen will, betrachtet die jüngsten Entwicklungen als Entgegenkommen des Unternehmens an die Bürger, wie Geschäftsführer Jens Gerisch mitteilte. Bei künftigem Bedarf wolle sie gern wieder auf die Erlaubnis zurückgreifen, jedoch dann nur mit Zustimmung der Gemeinde. Doch das lehnten die Besucher einer Informationsveranstaltung, die am Donnerstagabend vergangener Woche im Malschwitzer Gasthof „Wassermann“ stattfand und eigentlich Auskunft zum aktuellen Stand der geplanten Haldenerweiterung geben sollte, schon einmal demonstrativ ab. Sie sind der Auffassung, dass Lärmmessungen in der Vergangenheit nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurden. Das bestreitet Pro Stein. Jens Gerisch: „Die zulässigen Lärmimmissionswerte an nächstgelegenen Bebauungen in Malschwitz, Pließkowitz und Kleinbautzen wurden eingehalten.“ Damit verwies er auf die in den Jahren 2018 und 2017 ermittelten Ergebnisse, die vom Sächsischen Oberbergamt auch bestätigt worden seien. Seltsam mutet in diesem Punkt an, dass sich Vertreter der Aufsichtsbehörde bei einzelnen Lärmmessungen in den Abend- und Nachtstunden gar nicht in der Gemeinde aufhielten. Mehr noch: Die Behörde ging stets davon aus, dass deren Zulassung – also das permanente Betreiben von industriellen Anlagen in der Zeit von montags, 5.00 Uhr, bis samstags, 19.00 Uhr – über kommunalem Recht und insbesondere der Polizeiverordnung der Gemeinde, in der die Nachtruhe für alle ihre Ortsteile geregelt ist, steht. Das zumindest habe der Abteilungsleiter Tagebau beim Sächsischen Oberbergamt, Christof Voigt, gegenüber der BI so kundgetan. Die hält dagegen: Dem ist nicht so.
Doch wie kommt es zu solchen Ungereimtheiten, fragen sich mittlerweile die Menschen in Malschwitz. Schenkten die in Freiberg ansässige Aufsichtsbehörde bislang dem Tagebaubetreiber zu großes Vertrauen, wenn es um die Einhaltung der rechtlichen Vorgaben ging?

OBA räumt ein: Halde wurde illegal verkippt

Offenbar schon. Fest steht seit wenigen Wochen: Der Tagebaubetreiber hielt sich nicht zu einhundert Prozent an die Spielregeln. So musste am 19. Juli das OBA im Zuge einer überdurchschnittlichen Staubentwicklung sowie auf Drängen von Anwohnern und der Bürgerinitiative eine mobile Brecheranlage stilllegen. Wie sich herausstellte, lag für deren dauerhaften Betrieb keine Genehmigung vor (der OLK berichtete). Inzwischen ist auch bekannt, dass im Zuge der geplanten Haldenerweiterung Flächen illegal überkippt worden waren. Damit verschwand gleichzeitig ein Lebensraum für streng geschützte Zauneidechsen. Entsprechende Recherchen von Mitgliedern der Protestbewegung wurden jetzt während der Informationsveranstaltung durch das Oberbergamt offiziell bestätigt. „Die illegale Haldenerweiterung erfolgte vermutlich zwischen 2015 und Mai 2017“, ließ OBA-Chef Dr. Bernhard Cramer im Nachhinein auf Anfrage wissen. „Im Juni 2017 wurde dem Oberbergamt vom Kreisumweltamt Bautzen eine Anzeige zugeleitet, wonach der Bergbauunternehmer die bestehende und zugelassene Halde in südliche Richtung illegal um circa 3.800 Quadratmeter erweitert hatte.“ Dieser Umstand habe dazu geführt, dass zwischenzeitlich die Staatsanwaltschaft ermittelte – allerdings ohne nennenswertes Resultat. Die Anklagebehörde habe in dieser Angelegenheit keinen Straftatbestand erkannt, wie wiederum Christof Voigt erklärte. Er führte weiter aus, dass im Nachgang durch das Landratsamt Bautzen ein Ordnungswidrigkeitsverfahren geführt und ein entsprechender Bescheid erlassen wurde. „Bergrechtlich war die Haldenerweiterung nicht zugelassen. Die Überkippung von Bäumen wurde als illegale Waldumwandlung und somit als Verstoß gegen das Sächsische Waldgesetz gewertet. Bezüglich Artenschutzrecht wurde eine Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten wild lebender Tiere besonders geschützter Arten festgestellt“, führte Bernhard Cramer weiter aus. Das sei in nördlicher Richtung der Fall gewesen, erläuterten Mitglieder der BI unserer Zeitung. Sie machten darauf aufmerksam, dass die Außenhalde an zwei Stellen erweitert wurde, ohne dass dafür eine Erlaubnis vorlag. Seitdem zeigt sich der Tagebaubetreiber darum bemüht, für die Reptilien ein Ersatzbiotop anzulegen. Das zumindest geht aus der zweiten Ergänzung der Abänderung des Rahmenbetriebsplanes hervor, in der wiederum auch gewichtige Forderungen der Kreisverwaltung enthalten sind. Eine sieht vor, mit der Aufforstung der Außenhalden bereits zeitnah zu beginnen. Dies sei bei der Zulassung des Tagebaus in den 90er Jahren noch kein Thema gewesen, weiß die 2. Beigeordnete des Bautzener Landrates, Birgit Weber. Für sie ist klar: „In der Form, wie der Rahmenbetriebsplan damals aufgestellt und genehmigt wurde, hätte er heute keine Chance, grünes Licht zu erhalten.“ Sie ärgert sich noch immer darüber, dass das Oberbergamt als Aufsichtsbehörde in punkto illegale Abraumverkippung die Ermittlungsarbeit auf den Landkreis abschob.

Bürger fordern neue Umweltverträglichkeitsprüfung

Unterdessen drängt der Tagebaubetreiber darauf, mit dem abgeänderten Rahmenbetriebsplan endlich die notwendige Genehmigung für die dann legitime Haldenerweiterung zu bekommen. Die Grundstücke dafür befinden sich laut Jens Gerisch mittlerweile im Besitz von Pro Stein. Rechtsanwalt Heiko Kosel, der gleichzeitig für die Linken im Sächsischen Landtag sitzt, verfolgte wie rund 100 andere Besucher während der Informationsveranstaltung die Ausführungen von Tagebaubetreiber und Oberbergamt. Der Politiker sieht beide inzwischen in der Defensive und wertete ebenfalls die jüngste Entwicklung als Teilerfolg für die Bürger der Gemeinde Malschwitz. Die beharren nun erst recht darauf, dass die Behörden eine nochmalige Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) in die Wege leiten. Das Oberbergamt sperrt sich nach wie vor dagegen. Die angedachte Haldenerweiterung separat betrachtet rechtfertige einen solchen Verwaltungsakt nicht, machte Christof Voigt einmal mehr deutlich. Es gehe in dem Fall lediglich um 2,9 Hektar. Insgesamt würden die Außenhalden künftig eine Fläche von etwa zehn Hektar beanspruchen. Eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehe jedoch erst ab einer Abbaufläche von mindestens 25 Hektar. Diese Rechtsauffassung des OBA gilt es zu kippen, um in diesem Punkt erfolgreich zu sein, meinte Heiko Kosel im Gespräch mit dem Oberlausitzer Kurier.

Um die gesamte Größenordnung einmal zu verdeutlichen: Zwischen Pließkowitz und Kleinbautzen wächst ein Steinbruch, der sich bis zu seinem vorgesehenen Betriebsende im Jahr 2042 auf etwas mehr als 26 Hektar erstrecken wird. Dabei soll die künftige Außenhalde nicht wie ursprünglich vorgesehen an manchen Stellen bis zu 35 Meter in die Höhe wachsen, sondern deutlich niedriger ausfallen. Mittlerweile stehe nur noch eine Aufstockung um fünf Meter zur Debatte – bezogen auf das schon jetzt vorhandene Niveau von 18 Metern. Und das lediglich punktuell, wie Jens Gerisch einschränkte. Eine Sicherstellung der Sichtachsen zum sagenumwobenen Naturdenkmal Teufelsstein, eines der ältesten Observatorien, sei eingeplant, versicherte abermals der Geschäftsführer. „Die Halde wird in Abschnitten begrünt und aufgeforstet, sodass die ursprünglich am Bauerberg vorhandene Waldfläche nach Abschluss bergbaulicher Tätigkeiten fast verdreifacht sein wird. Antragsinhalt ist zudem eine Innenverkippung im ausgesteinten Bereich des Steinbruches mit ebenfalls bergbaueigenem Material. Die Fläche des bisher geplanten Restsees soll dadurch unverändert erhalten bleiben.“ Aus den Zuschauerreihen verlautete daraufhin der Einwand, dass aufgrund der Staubentwicklung eine Vegetation gar keine richtige Möglichkeit habe, sich zu entfalten. Dies allerdings gilt es erst noch herauszufinden.

Freistaat verdient mit am Schicksal der Menschen

In der Betriebsstätte Pließkowitz, die am Rande des Biosphärenreservates „Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft“ liegt, wird nicht nur Gestein abgebaut, sondern auch produziert. Gesteinsbaustoffe als Zuschlagstoffe für Beton im Brücken-, Kraftwerks- und Rollbahnbau kommen genauso von dort wie Edelsplitte und Splittgemische, die unter anderem beim Autobahnbau Anwendung finden. Der Freistaat Sachsen erzielt aus dem Steinbruchbetrieb Einnahmen aus der gesetzlichen Feldes- und Förderabgabe. Wie hoch diese jährlich ausfällt, dazu hüllen sich inzwischen sowohl das Oberbergamt als auch das übergeordnete Wirtschaftsministerium in Schweigen. „Die Bekanntgabe der Zahl lässt direkt auf die Fördermenge schließen und unterliegt daher dem Datenschutz“, betonte wiederholt Bernhard Cramer. Noch vor wenigen Monaten war das anders. Damals hatte die Behörde dem Oberlausitzer Kurier offen darüber Auskunft gegeben, wie hoch die Förderabgabe im Freistaat Sachsen für Natursteine ausfällt. 2017 betrug sie demnach rund 0,23 Euro pro Tonne. Laut BI-Angaben lag das Vorratsvolumen nach Betriebsaufnahme im Jahr 1994 bei 16,3 Millionen Tonnen. Im Umkehrschluss bedeutet das: Für die Staatsregierung verbindet sich mit dem Steinbruch Pließkowitz durchaus ein lukratives Geschäft.

Was bleibt ist die Frage nach einer gesundheitlichen Beeinträchtigung, die möglicherweise vom Steinbruch Pließkowitz ausgeht. Darauf hätten die Menschen in der Gemeinde Malschwitz endlich eine fundierte Antwort der Aufsichtsbehörde. Seitens des Oberbergamtes wird diese wohl ausbleiben. Denn ob abweichend von den gesetzlichen Grenzwerten, die in der Vergangenheit laut Angaben der Behörde offenbar nicht überschritten wurden, trotzdem eine Gesundheitsgefährdung durch die Staubemissionen besteht, vermag keiner der Fachleute in Freiberg zu beurteilen. Weil dem OBA die fachliche Kompetenz dazu fehle, so Bernhard Cramer. Bislang werden BI-Angaben zufolge vor Ort keine Messungen zu Fein- und Schwebestäuben vorgenommen. Dabei gelten Quarzpartikel in Kreisen der Wissenschaft schon seit einiger Zeit als krebserregend. Allein in einem Straßenzug in Kleinbautzen leben neun an einem Tumor erkrankte Menschen. Zwei von ihnen sind bereits gestorben.         

Schon aus diesem Grund wollen sowohl die Bürgerinitiative als auch der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) in Widerspruch gehen, sollte Pro Stein für seine Haldenerweiterung freie Bahn bekommen. Die Gemeinde zögert noch. Aber auch sie hatte in einer schriftlichen Stellungnahme bereits angekündigt, von diesem Rechtsmittel Gebrauch zu machen.

Roland Kaiser / 08.09.2018

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