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Das letzte Mal an der Drechselmaschine

Das letzte Mal an der Drechselmaschine

Klaus Kiehle hat für den Niederschlesischen Kurier noch einmal eine Drechselmaschine in seiner Werkstatt eingeschaltet. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Die Liste aussterbender Berufe wird dank Mikrochips immer länger. Nun hat auch der letzte Drechsler in und um Niesky seine Werkzeuge an den Nagel gehängt.

Niesky. Klaus Kiehle ist mit seinen 73 Jahren in einem Alter, wo man – Spaß an der eigenen handwerklichen Arbeit vorausgesetzt, nicht unbedingt von heute auf morgen die Arbeit einstellen muss. Doch im Juni kam der Nieskyer nach Dresden ins Krankenhaus und lebt heute mit drei Bypässen. „Ich darf meinen Oberkörper nur noch vorsichtig bewegen, das ist ja alles noch nicht stabil“, klagt er. Immerhin, er hat das Gröbste überstanden. „Aber meine Werkstatt stand quasi von heute auf morgen still“.

Ob Kunstgewerbe, Treppenstangen, Pfosten, Schalen, Teller oder Gardinenstangen – Klaus Kiehle hatte für viele Anliegen eine Lösung und reparierte über die reine Drechslerarbeit hinaus auch Weihnachtspyramiden oder Fenster. Auch wenn man nicht täglich einen Drechsler aufsucht, so hat sich in Niesky bereits herumgesprochen, dass Klaus Kiehle bei vielen kleinen Alltagsproblemen mit seinen helfenden Händen nicht mehr zur Verfügung steht. Über die Jahrzehnte hatte sich unter der Laufkundschaft das Talent des Handwerkers herumgesprochen. Zu DDR-Zeiten sei übrigens ein großer Teil seiner Erzeugnisse in den Westen gegangen. Für viele Nieskyer gab es bei Klaus Kiehle die perfekten Geschenke, die man der Westverwandtschaft in Weihnachts- oder Geburtstagspaketen zukommen ließ.

„Aber auch sonst hat mein Kundenkreis bis Berlin gereicht“, ergänzt er. Nach der Wiedervereinigung sprach sich bis in die alten Bundesländer herum, dass es in Niesky noch einen echten Drechsler gibt, der für alles eine Lösung findet.

Das Geschäft lief zudem auch dank Internetwerbung gut, denn Sohn Lars und Schwiegertochter Sandra betreiben neben der Werkstatt an der Rothenburger Straße einen Computerservice. Hier sitzt Klaus Kiehle nun inmitten des geschäftigen Treibens einer ganz neuen Zeit und sieht zu, wie sich die nächste Generation dank seiner leerstehenden Werkstatt nun mehr Raum für ihre Geschäfte einrichtet.

Klaus Kiehles Weg zur Drechselei war gar nicht vorgezeichnet. Die Werkstatt hatte sein Schwiegervater Alfred Trentschler Anfang der 60er Jahre eröffnet, ehe er als Dreher seine Meisterprüfung ablegte. Als der Schwiegervater 1983 erkrankte, wechselte Klaus Kiehle seine Werkstoffe, denn grundsätzlich hab es da ja auch eine Ähnlichkeit der beiden Berufsbilder gegeben.

Seit dem 1. September 1985 lief die Drechslerei dann auch unter seinem Namen. In den über 30 Jahren seiner Tätigkeit schuf er manches Stück, das in der Region fast jeder kennt. „Die Störche, die zum 50. Jubiläum für den Görlitzer Tierpark und das Landratsamt entstanden sind von mir“, bekundet er stolz und auch der Stuhl von Fürst Pückler im Muskauer Schlosshabe durch ihn erst wieder Halt gefunden. „Ich hänge an dem Beruf, an der Kreativität und dass ich immer nach Lösungen suchen konnte“, sagt Klaus Kiehle. Doch nur für ein Foto des Niederschlesischen Kuriers schaltet er dann noch einmal eine Drechselmaschine an und hofft, dass sein Arzt dies nicht sieht. „Ich möchte mich aber ganz herzlich bei meinen treuen Kunden bedanken, bei meiner Ehefrau, die stets die lästigen Abrechnungen vorgenommen hat und auch bei den Kollegen in den Tischlerein“, betont Klaus Kiehle zum Abschied. Letztere seien nun häufig ratlos, da ihnen nun manche Zulieferung fehlt und ihnen die eigenen Automaten nicht die gleichen handwerkliche Möglichkeiten anböten. Umgekehrt können die Tischlereien ihren Kunden Klaus Kiehle nun nicht mehr weiterempfehlen. „Sie zucken nun häufig mit den Schultern, wenn Kunden sie fragen: Wo bekomme ich eigentlich...?“, sagt er wehmütig.

Till Scholtz-Knobloch / 06.12.2017

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