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Denkmalfrevel dank Corona

Denkmalfrevel dank Corona

Vergangene Woche schlug die Abrissbirne zu und zerstörte das charakteristische Offizierskasino. Foto: Till Scholtz-Knobloch

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In Nieda (Niedów) ist das alte Pfarrhaus abgerissen worden, um einem Neubau Platz zu machen. Foto: Matthias Wehnert

Görlitz. Das historische Görlitzer Offizierskasino auf polnischer Seite der Neißestadt ist Geschichte. Das Regimentshaus, bei dessen Richtfest Kaiser Wilhelm II. 1910 Ehrengast war, wurde bis 1945 vom deutschen Militär genutzt. In den 50er Jahren vom polnischen Militär übernommen, wurden dort hauptsächlich Tagungen und Besprechungen durchgeführt. In den 60er Jahren wurde das Türmchenhaus zum beliebten Begegnungsort für die Zivilbevölkerung. Tanzabende wurden organisiert, Bälle und Hochzeiten gefeiert.

Auch eine Kantine und eine Bibliothek fanden dort Platz. Eine Immobilienfirma kaufte das Gebäude vom Militär und veräußerte es weiter. Seit zwei Jahren ist es in der Hand des Investors Artur Toronowski, der eine Expertise erstellen ließ, nach der ein Abriss ins Auge gefasst wurde. Eine Abrissgenehmigung erhielt er seitens der Woiwodschaftsdenkmalchutzbehörde Hirschberg (Jelenia Góra) jedoch nicht. Dem Investor kam nun jedoch das am 2. März erlassene polnische Corvid-19-Gesetz zu Hilfe. Dies besagt, dass dort, wo Isolationsräume für unter Quarantäne stehende Arbeiter gebaut werden, ein Abriss historischer, nicht auf der Liste denkmalgeschützter Gebäude stehender Bauten möglich ist. Gegenüber der Internetzeitung „Zgorzelec Nasze Miasto“ (Görlitz – meine Stadt) sagte Toronowski: „Der Zustand des Gebäudes war so schlecht, dass von einer Sanierung keine Rede sein konnte. Das Casino wurde durch viele Jahre Untätigkeit zur Ruine. Das Gebäude in diesem Zustand stehen zu lassen wäre hochgefährlich und könnte mit einer Tragödie enden, wie es im Fall des ehemaligen Infektionskrankenhauses in (Ost-)Görlitz war, wo ein Mensch ums Leben kam. Oftmals wurde im Objekt eingebrochen und gezündelt. So habe ich beschlossen das Haus abzureißen und an seiner Stelle ein Objekt zu bauen, in dem Arbeiter meiner Firma aus der Ukraine und Weißrussland die Zeit der Quarantäne verbringen können“, so der Investor. Bereits in drei Monaten soll der Quarantänebau mit Einzel- und Doppelzimmern stehen, der vielleicht auch nur ein Provisorium an dieser prominenten Stelle im Stadtbild sein könnte. Denn eigentlich verlangt die Lage am Kopf des alten Friedrichsplatzes (Plac Jerzego Popieluszki) nach mehr als nur einer funktionalen Bebauung und könnte leicht als ein Schandfleck gegenüber der Oberlausitzer Ruhmeshalle (Dom Kultury) wirken. Immerhin hätte Toronowski wohl die wirtschaftliche Potenz dazu.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein mit der polnischen Geschichte verbundenes historisches Gebäude aufgrund der skurrilen Coronagesetzgebung mit ähnlich verhaltenem Bürgerprotest hätte verschwinden können.

Ähnlich dem Offizierskasino geht es übrigens auch dem Pfarrhaus von Nieda (Niedów) am Wittig (Witka-)Stausee. Auch in diesem 13 Kilometer südlich von Görlitz gelegenen Dorf sollen anstelle des abgerissenen Pfarrhauses 70 Quartiere für Mitarbeiter von Toronowskis Firma Citronex, die sich in Quarantäne befinden, entstehen. Citronex beschäftigt etwa 1.300 Arbeiter aus dem Ausland. Das 1988 gegründete Familienunternehmen mit Sitz im polnischen Teil von Görlitz ist zum einen ein Unternehmen für Logistik, Tomatenzucht, Bananenimport sowie auch Betreiber von Tankstellen, Supermärkten, Hotels und Restaurants.

Till Scholtz-Knobloch / 01.11.2020

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