Ein wachsames Holzauge am Berzdorfer See

Ein Auge schaut seit über drei Jahren über den Berzdorfer See. Foto: Till Scholtz-Knobloch
Tauchritz. Immer wieder lädt die Görlitzer Loge bei freiem Eintritt zu öffentlichen Veranstaltungen im Literaturhaus „Alte Synagoge“ am Obermarkt 17 ein und denkt dabei auch daran, die Redaktion im Hinblick auf eine Ankündigung im Niederschlesischen Kurier zu informieren. Rolf-Thomas Lehmann führt viele Veranstaltungen, so etwa in diesem Jahr über „Freimaurerische Gräber auf dem Städtischen Friedhof“, um nur ein Beispiel zu nennen.
Seinem Forschergeist entgeht eigentlich kein Aspekt freimaurerischer Vergangenheit oder Gegenwart in Görlitz. Doch bei einer Frage der Redaktion musste er dann doch passen.
Bereits im letzten Jahr war in einem Reiseforum von einem Reisenden, der es sich am Berzdorfer See gut gehen ließ, zu lesen, dass er über ein recht dominantes Freimaurersymbol am Ufer in Tauchritz gestolpert sei. Unweit der Insel der Sinne habe er die sehr deutliche Freimaurersymbolik entdeckt – das ominöse Auge im Dreieck.
Das oft als „Auge der Vorsehung“ oder „allsehendes Auge“ bezeichnete Symbol steht für göttliche Wachsamkeit und ist oft von Strahlen umgeben – in einem gleichseitigen Dreieck. Seine Ursprünge liegen in der christlichen Ikonografie der frühen Neuzeit, wo das Auge Gottes als Zeichen der Allgegenwart und Allwissenheit Gottes verstanden wurde.
Freimaurer übernahmen das Symbol im 18. Jahrhundert und gaben ihm eine aufklärerische Deutung: Das Auge steht für sie nicht nur für das Göttliche, sondern auch für das Licht der Vernunft, der Wahrheit und der inneren Erkenntnis. Das Dreieck verweist zugleich auf die Zahl drei, die in der Freimaurerei eine zentrale Rolle spielt – etwa für Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit. Kritiker erkennen darin hingegen Allmachtsbestrebungen, die der Mensch Gott babylonisch entreiße – oft wird als Beispiel dafür die Gestaltung der US-Banknoten oder die Struktur der Stadt Washington von der Wende des 18. zum 19. Jahrhundert herangezogen. Im Reiseforum bahnte sich diese Interpretation ebenso an und beschäftigte Kommentatoren und Deuter. Hat etwa die besagte Bank eine besondere Botschaft zu verborgenen einflussreicher Kreisen?
Und da sich Rolf-Thomas Lehmann ob der Frage verblüfft und rätselnd zeigte, recherchierte die Redaktion weiter und fragte bei der in Görlitz omnipräsenten Wohnungsbaugesellschaft KommWohnen sowie dem Hafencafé nach, auf deren gemeinsame Intention die Bank entstanden sein dürfte. Immerhin war die Bank ja unter https://hafen-goerlitz.eu/kommausruhen vorgestellt worden.
Jenny Thümmler, Medienreferentin der KommWohnen, teilte der Redaktion auf Anfrage mit: „Der Gedanke einer möglichen Anlehnung an die Freimaurer ist uns in den mehr als drei Jahren, die die Bank nun schon steht, noch nie zu Ohren gekommen. Und natürlich gibt es keinerlei Botschaft in Richtung Illuminaten dazu. Die Gestaltung stammt aus einem bao-Projekt namens ,Aus- und WeitBLICK Berzdorfer See’. Die Teilnehmer damals empfanden das als passendes Symbol – und so sehen es auch wir.“ Ihrer Ansicht nach sei das Symbol in der Kunst und bei Gestaltungsfragen ein Instrument „völlig ohne Freimaurer-Bezug“. Die dreieckige Plakette an der Bank sei allein der Anbringung an zwei schräg aufeinandertreffenden Holzbalken geschuldet. Die bao GmbH ist ein hiesiger Träger von Bildungsmaßnahmen.
Daniela Hanisch, Leiterin Marketing/Personal der bao GmbH in Bautzen, schrieb der Redaktion: „Ihre Anfrage hat uns sehr überrascht und wir haben recherchiert, da uns das Auge zwar bekannt ist, uns der Bezug aber nicht mehr gegenwärtig war.“ Auch bao argumentiert, dass die Dreiecksform größtmöglichen Halt für das Schild geboten habe. Außerdem heißt es weiter: „Es hat in keinster Weise einen Freimaurer- bzw. Illuminatenbezug, auch wenn die Ähnlichkeit gegeben ist. Da alle Involvierten den Bezug des Auges zur Maßnahme kannten, wurde es auch nicht hinterfragt.“
Das unbewusste Erinnern von Wissen oder Ideen, die man zuvor schon einmal aufgenommen hat, ohne sich ihrer Herkunft während des Schöpfungsprozesses bewusst zu sein, wird in der Wissenschaft als Kryptomnesie bezeichnet. Menschen glauben, sie hätten etwas Neues erschaffen, reproduzieren aber in Wirklichkeit etwas bereits Bekanntes – oft mit einem symbolischen Gehalt, den sie selbst nicht vollständig reflektieren, was wiederum das Unterbewusstsein anderer anregt. Als eine kulturell wirkenden „mimetische Reproduktion“ bezeichnet man ein Phänomen, bei dem kulturelle Symbole, Bilder oder Handlungen unbewusst wiederholt werden – nicht als Kopie, sondern als Re-Inszenierung eines innerlich verankerten Musters.
Egal ob Urlauber, Internetdiskutant, Redakteur oder Leser. Für anregende Diskussion am Strand des Berzdorfer Sees oder anderenorts im Sommerloch taugt das alles also allemal. Denn letztlich weiß ja auch die Forschung nicht bis ins letzte Detail, ob oder wie Menschen über Zeichen zu bestimmten Tun gelenkt werden. Und wäre dies unstrittig, bliebe im nächsten Schritt dennoch weiterhin die Frage offen, ob ein solches Tun dann auch gut oder schlecht ist. Der Kern der Presseanfrage: „Welche Botschaft wird hier dem Nutzer eigentlich mitgegeben?“ liegt letztlich also „im Auge des Betrachters“.