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Hoffnung im Kampf gegen das Gewitter im Kopf

Hoffnung im Kampf gegen das Gewitter im Kopf

Gertraude Kother managt seit Jahren in Bautzen und Umgebung die Migräne-Selbsthilfegruppe. Deren Engagement wurde 2017 von der Migräne-Liga entsprechend honoriert. Foto: RK

Bautzen. Wenn es im Bauch eines Kindes zwickt, ziehen wohl die wenigsten Eltern Rückschlüsse auf eine mögliche Migräneerkrankung. Und doch kann sich daraus ein dauerhaftes Kopfschmerzleiden entwickeln. Darauf weist eine Selbsthilfegruppe mit Sitz in Bautzen hin, die im Spätsommer ihr 20-jähriges Bestehen feiert. Ihr voran bemüht sich Gertraude Kother um Aufklärung und Unterstützung von Migränepatienten. Erst vor wenigen Wochen gab es für dieses Engagement eine Auszeichnung der Migräne-Liga. „Darauf sind wir noch immer sehr stolz“, berichtet die ehemalige Deutsch-, Mathe- und Kunstlehrerin, die selbst seit mehr als vier Jahrzehnten immer wieder dunkle und geräuscharme Räume aufsuchen muss – und das nur, um das Hämmern im Kopf recht schnell wieder los zu werden. „Die Ehrung haben wir in erster Linie dem Umstand zu verdanken, dass wir uns intensiv mit Migräne bei Kindern und Jugendlichen auseinandersetzen. In unseren Reihen betreuen wir den Nachwuchs von fünf Müttern und Vätern. Die Mädchen und Jungen im Alter von 6 bis 15 Jahren bekommen die Möglichkeit, über ihre Erfahrung mit dem Gewitter im Kopf zu sprechen und mit anderen Leidensgenossen zu basteln und zu spielen. Gern würden wir noch mehr Menschen helfen, doch nicht jeder will das auch.“

Was aber steckt eigentlich hinter Migräne? „Es handelt sich dabei um eine angeborene Erkrankung, an der fünf Prozent der männlichen und 15 Prozent der weiblichen Bevölkerung leiden“, weiß Dr. Gudrun Goßrau. Die Neurologin und Schmerztherapeutin ist zugleich Chefin der Kopfschmerzambulanz der Uniklinik Dresden. „Für Migräne gibt es eine genetische Veranlagung und für einige besondere Formen wurden bereits konkrete Genmutationen identifiziert.“ Die Medizinerin empfiehlt für eine genauere Differentialdiagnose und für den Therapieverlauf das Führen eines Kopfschmerzkalenders.

Gertraude Kother beherzigt gemeinsam mit ihren fast 30 Mitstreitern diesen Ratschlag seit Längerem. Sie zeigt sich erfreut darüber, dass es inzwischen Medikamente gibt, die den Verlauf lindern. „Wer unter dieser Krankheit leidet, sollte auf jeden Fall jede Art von Stress vermeiden, denn Gefäße erweitern sich und drücken schließlich auf Nervenbahnen. Bezogen auf Kinder und Jugendliche meine ich da in erster Linie den Gebrauch von Videospielen, Mobiltelefonen und Computer. Bei Erwachsenen kommt hinzu, dass sie möglichst auf Alkohol und auch auf diverse Lebensmittel verzichten.“ Hingegen würden Entspannungsübungen und bestimmte Atemtechniken dazu beitragen, die Migräne und andere Arten von Kopfschmerz in Schach zu halten.

Welche Folgen Kopfweh haben kann, zeigt eine Studie an Dresdener Bildungseinrichtungen. Dort klagen circa 70 Prozent der Schüler mindestens einmal im Monat über Gewitter im Gehirn. Das Ganze würde zu Unterrichtsausfall führen und das Alltagsleben einschränken, wie weiterhin aus der Untersuchung hervorgeht. Ähnlich dürfte die Situation im Landkreis Bautzen sein. Deshalb gibt es Pläne, die Erkenntnisse der Dresdener Kinderkopfschmerzambulanz auch den jüngeren Menschen in der Lausitz zugutekommen zu lassen. „Wir haben ein Gruppentherapieprogramm mit acht Modulen für Patienten und deren Eltern entwickelt“, erklärte Gudrun Goßrau. „Erste Ergebnisse weisen auf eine Kopfschmerzreduktion bei drei Viertel der Teilnehmer nach einem halben Jahr hin. Dieses Programm soll als nächstes in verschiedenen Städten Sachsens, darunter in Bautzen, etabliert werden, damit Hilfesuchende eine wohnortnahe Therapie erhalten.“ Gelder für dieses Vorhaben wurden beim Bund beantragt. Für Oktober rechnet Gudrun Goßrau mit einer Zusage. Zwei große Krankenkassen ließen sich bereits als Partner gewinnen.

Gertraude Kother begrüßt diese Initiative, denn Neurologen, die mit ihren Behandlungsmethoden zu einer Linderung beitragen könnten, seien in der Region inzwischen Mangelware. Darüber hinaus bestehe zusammen mit dem Erfahrungsschatz der Selbsthilfegruppe die Möglichkeit, Menschen, die permanent unter Kopfschmerzen leiden, noch besser als bisher zu helfen. Zu finden sind die Großpostwitzerin und ihre Mitstreiter jeweils am letzten Montag im Monat im Frauenzentrum an der Karl-Marx-Straße 7 in Bautzen – und zwar von 16.30 bis 17.30 Uhr.

Übrigens: Am Mittwoch, 19. September 2018, ist es soweit, dann begeht die SHG Migräne ihren 20. Geburtstag. Noch steht der Feierort nicht zu einhundert Prozent fest, wie Gertraude Kother sagte. Jedoch habe die Stadt signalisiert, der Initiative einen Raum im Gewandhaus zur Verfügung stellen zu wollen. Aus deren Sicht wird zum Jubiläum hoher Besuch erwartet. Lucia Gnant, die Vorsitzende der Migräne-Liga, dem Dachverband aller Migräne-Selbsthilfegruppen in Deutschland, habe ihr Kommen zugesagt, hieß es. Bis dahin allerdings gibt es noch so einiges auf die Beine zu stellen. Und sollte doch einmal im Vorbereitungsstress ein Gewitter im Kopf dazwischenfunken, dann schwört Gertraude Kother auf ihr ganz persönliches Motto: „In der Ruhe liegt die Kraft, nur keine Aufregung.“

Roland Kaiser / 18.06.2018

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