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Mit den Wölfen im Schafspelz heulen

Mit den Wölfen im Schafspelz heulen

Auch beim ganz aktuellen Dreh ging es für die Kommissare „Butsch“ und Viola Delbrück am Sechsstädteplatz wieder auf einen Hinterhof – in diesem Fall vom PC-Dienst Herrmann. Foto: M. Wehnert

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Beim aktuellen Dreh für Wolfsland wurde am Sechsstädteplatz aus Dietmar Herrmanns PC-Service Herrmann kurzzeitig „Eckis Computerservice“. Foto: Till Scholtz-Knobloch

Bis zum 29. November ist das Wolfsland-Filmteam wieder in Görlitz unterwegs. Noch während der Anwesenheit der Filmstars der ARD-Krimireihe wird es auch wieder eine Prämiere im Filmpalast geben. Doch so richtig glücklich ist NSK-Redakteur und Spaßbremse der geschmeichelten Seele der Stadt, Till Scholtz-Knobloch, mit der ganzen Serie nicht. Ein ketzerischer Zwischenruf.

Görlitz. Nein, ich rege mich nicht über Intervallsperrungen des fließenden Verkehrs bei Dreharbeiten auf und auch nicht darüber, dass die Filmteams mit ihrer Entourage im Grunde alles mitbringen, was man zum Leben braucht und selbst eher bescheidene Summen während ihrer Anwesenheit in der Stadt unters Volk bringen. Oft höre ich den Vorwurf, dass „uns“ das ja alles nichts bringt.

Es ist wie mit so vielen Dingen. Die Effekte finden sich an ganz anderer Stelle. Ja, man glaubt es kaum, wie viel Geld heute mit Image generiert wird. Dabei ist völlig egal, ob ein Eindruck real haltbar ist. Es reicht, eine Stimmung in die Welt zu setzen und häufig gehört es danach zum guten Ton mitzureden. Und das kann man natürlich nur, wenn man an einem Produkt Teilhabe hat. Das gilt natürlich auch für Urlaubsziele. Was viele nicht ahnen: Häufig fließen sechsstellige Summen, ehe sich ein Tross von Sängern und Filmteams aufmacht, um z.B. in einer herrlichen Alpenlandschaft die Region und in ihr die hier zufällige zu Gast befindliche Volksmusik in Szene zu setzen. Die Tourismusverantwortlichen wissen, dass sich über Buchungen nach opulenten Sendungen im Bergpanorama größere Einkünfte der Tourismusbranche generieren lassen. Welch ein Geschenk also, wenn (hoffentlich) ohne den schnöden Mammon Film und Fernsehen von selbst auftauchen, weil eine Stadt wie Görlitz von der Geschichte reich beschenkt worden ist.

Doch schon mit dem Titel fängt der Griff in die Klischeekiste an. Als ich Wolfsland erstmals im TV einschaltete, heulte sofort ein Wolf in der nebeligen Pampa und gab eine Marschrichtung vor, die bis heute konsequent verfolgt wird: „Ihr seid am Arsch der Welt“. Und wer sich hierherverirrt – und sei es als Polizeibedienstete wie Kommissarin Viola Delbrück (Yvonne Catterfeld) – der muss schon nach Schicksalsschlägen gezielt die Flucht aus dem normalen Leben gewählt haben. Da kann man eigentlich nur Bonobos im Kongo zählen, tektonischen Verwerfungen auf Kamtschatka nachspüren oder aber nach Görlitz ziehen, wo der Geist Wolfsgestalt annimmt.

An kulturhistorisch einmalige Orte zieht man dann im Morgengrauen, wenn sich niemand auf die Straße traut oder bewegt sich auf morbide Hinterhöfe, auf denen die Wiedervereinigung bis heute unbekannt geblieben ist.

Jäger wie Gejagte sind zu einem nicht unwesentlichen Teil vom gewöhnlichen Gang der Welt scheinbar ausgeschlossene, ja sie dürften selbst im Staatsdienst Manieren vergessen. Man leidet mit Götz Schubert (Kommissar Burkhard „Butsch“ Schulz) und denkt sich: „Ein Charakterschauspieler wie er könnte doch ganz andere Erwartungshaltungen aus Drehbüchern erfüllen.“ Wolfsland ordnet sich letztlich in die Unfähigkeit der gesellschaftskritikschwangeren deutschen Krimitraditionen ein, einen echten Spannungsbogen aufzubauen, der Popcornkinomomente ebenso schafft wie dennoch seelischen Tiefgang. Umso größer die Überraschung, dass Wolfsland bislang noch nicht wirklich den Kampf gegen rechtsradikale Umtriebe oder für bedauernswerte Opfer des Schleppergewerbes an der Grenze aufgenommen hat. Also die gängigen Aspekte, mit denen der mediale Haltung-Zeigen-Betrieb der deutschen Medienschaffenden sonst funktioniert. Vielleicht ist es ja das Gespür, dass beim allgemeinen Griff ist die Baukastenkiste des deutschen Standartkrimis das ganze dann doch eine Schippe zu dick aufgetragen wäre. Aber ich befürchte, auch das erwartet uns noch – schließlich ist die Lausitz ja staatlich anerkanntes Notstandsgebiet in Sachen politisch-gesellschaftlicher Kultur.

Die Verantwortlichen in der Stadt sind nicht zu beneiden. Wer sich innerlich eingesteht, dass Wolfsland vielleicht doch nicht der echte Reißer ist, der dazu beiträgt, Görlitz als schönste Stadt Deutschlands zu vermarkten, und nach der Arbeit eher das stets bei Sonnenschein gedrehte – zugegeben seichte – „Die Rosenheim Cops“ einschaltet, der weiß, dass er a) verwerflicherweise keine gesellschaftliche Problemhaltung zeigt, sich b) nicht leisten kann nicht begeistert zu sein (wie sonst hält man die Filmleute bei Laune wiederzukommen?) und c) selber mehr Lust auf Urlaub in Rosenheim als in Görlitz verspürt. Und so werden sie alle da sein, wenn es am 28. November um 20.15 Uhr zum 3. Mal im Görlitzer Filmpalast eine Wolfsland-Premiere geben wird, ehe die Ausstrahlung am 28. November im Ersten erfolgt.

Die fünfte Folge „Wolfsland – Das heilige Grab“ wurde im Mai 2018 gedreht. Derzeit laufen in der Stadt noch die Dreharbeiten der siebten und achten Folge. Zur Preview am 28. November werden Hauptdarsteller Yvonne Catterfeld und Götz Schubert ebenso im Filmpalast dabei sein wie Stephan Grossmann und Jan Dose, ferner Produzentin Jutta Müller, die Autoren Sönke Lars Neuwöhner und Sven Poser, MDR-Programmdirektor Wolf-Dieter Jacobi, Fernsehfilmchefin Jana Brandt und MDR-Redkateur Adrian Paul.
Aber natürlich: Auch ich schaue mir die neue Folge wieder an und werde manches Mal Herzschlag verspüren, wenn ein für mich magischer Ort der Stadt im Bild erscheint. Doch ganz häufig werden sich wieder die Blicke meiner Frau und von mir treffen, wenn es diese Momente gibt, in denen man verzweifelt: „Oh Gott, war das wieder typisch deutscher Krimidreh“.

Till Scholtz-Knobloch / 23.11.2019

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Kommentare zum Artikel "Mit den Wölfen im Schafspelz heulen"

Die in Kommentaren geäußerten Meinungen stimmen nicht unbedingt mit der Haltung der Redaktion überein.

  1. Gerd.defries schrieb am

    Wenn die Filmmacher um die Gunst des Publikums buhlen müssten, würden sie die Fähigkeit nicht verloren haben, ihre geistigen Ergüsse mit einem gewissen Anstand, d.h.Ehrlichkeit in der Beanspruchung ihrer künstlerischen Freiheit und Glaubhaftigkeit, d.h. Handlungen, gemessen an der Realität des Lebens, zu kreieren.

    Leider ist dies, wie bei diesem und den meisten in irgendeiner Form bezuschussten Filme eben nicht mehr der Fall. Man will wahrscheinlich den Zeitgeist beeinflussen und die Letargie des Zuschauers - auf keinen Fall seine Kritikfähigkeit - fördern!

    Das war kein Krimi sondern ein Psychodram (diese Bezeichnung ist mir ad hoc für dererlei Filme u. es gibt inzwischen viele davon, eingefallen) Man sollte ab sofort diese zutreffende Bezeichnung in jeder Kritik als Schlagwort gegenüber den Verantwortlichen benutzen. Eigentlich ein für die Polizei peinlicher u für Psychologen aufschlussreicher Film. Ich hoffe, meine Mühe lohnt.
    Gruß G.Mennenga

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