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Sächsische Polizei stellt sich der Corona-Debatte

Sächsische Polizei stellt sich der Corona-Debatte

Viele Polizisten erlebten das vergangene Jahr als eine Zeit immer wieder neuer Diskussion über Sinn und Unsinn von Coronamaßnahmen – hier am Görlitzer Uferpark. Foto: Matthias Wehnert

Die sächsischen Polizisten sind letztlich auch nur ein Spiegelbild der Gesellschaft mit unterschiedlichen Haltungen. Dies ist eine wichtige Erkenntnis einer Studie zur Frage, wie die Beamten durch die Coronazeit finden und mit dem neuen Druck umgehen.

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Christoph Meißelbach (r.) erläuterte die Studie. Mirko Göhler (l.) führt die Polizeihochschule kommissarisch. Foto: Scholtz-Knobloch

Rothenburg. An der Hochschule der Sächsischen Polizei (FH) in Rothenburg wurde im August die Forschungsstudie „Polizeidienst in Krisenzeiten – Beschäftigtenbefragung zur Corona-Pandemie“ der sächsischen Polizei durch Dr. Christoph Meißelbach und Prof. Tom Thieme vorgestellt, die auf anonymen Befragung von 2.323 sächsischen Polizisten vom Herbst 2020 fußt. Für jeden unter https://slub.qucosa.de/id/qucosa:75445 abrufbar und im Rahmen der Schriftenreihe „Rothenburger Beiträge“ als Band 107 veröffentlicht, trägt sie also im hohen Maß zur Transparenz bei. Denn die Fragestellungen sind vielfältig: Wie haben die Beschäftigten ihren Dienst während des Lockdowns erlebt? Oder: Welche persönlichen Einstellungen und Sichtweisen prägen ihren Blick auf die Pandemiebekämpfung? Die Studie ist auch insofern bemerkenswert, da es vergleichbare Studien in anderen Bundesländern zum Komplex bislang nicht gegeben hat.

Dr. Christoph Meißelbach erläuterte, dass sich drei Typen herauskristallisierten. Die „unsicheren Konformisten“ zeichneten sich durch eine moderate Gefahrenwahrnehmung aus, hätten demgegenüber jedoch eine hohe Bereitschaft, selbst die Corona-Vorgaben zu befolgen und auch dienstlich durchzusetzen. Sie machen mit 46 % die größte Gruppe vor den „besorgten Interventionisten“ (32 %) aus, die Ansteckungssorgen und eine hohe Gefahrenwahrnehmung hätten. Als „unbesorgte Skeptiker“ seien 22 Prozent der Polizisten auszumachen, die die Corona-Maßnahmen kritisch und Gefahren für sich als gering bewerten.

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Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar bei der Studienvorstellung. Foto: Scholtz-Knobloch

Da sich nur 15 Prozent bei der Durchsetzung von Corona-Vorgaben inneren Konflikten ausgesetzt sähen, sei bei aller Verschiedenheit erkennbar, dass der „Berufsethos“ unter Corona keinen Schaden genommen habe. Die gesellschaftliche Verschiedenheit bei der Polizei müsse als wichtige Stärke innerhalb eines demokratischen Verständnisses gewertet werden, so Dr. Meißelbach, der 2015 bei Werner J. Patzelt promovierte.

Da auch der Fragenkatalog der Erhebung im Anhang komplett wiedergegeben ist, kann die Studie offen diskutiert werden. Hier fielen dem Niederschlesischen Kurier als Kritikpunkte allenfalls auf, dass z.B. keine Frage enthalten war: „Ich habe das Gefühl Unrecht durchsetzen zu müssen“, womit eine solche Bewertung nur indirekter erschließbar ist sowie die Frage, auf welchen Medienkonsum die eigenen Informationen zu Corona beruhen. Hier bestanden gleich zwölf Antwortoptionen, die jedoch über Tiefgründigkeit keine Rückschlüsse zulassen. Hier stehen öffentlich-rechtliche Medien auf einer wohl unterstellten Qualitätsebene. Der Deutschlandfunk und „Jump“ mit seinen jugendgerechten Minimalinfos finden sich so in einer Rubrik öffentlich-rechtliches Radio, während alternative Medienange-bote namentlich erst gar nicht genannt sind und nur indirekt über Internetblogs, Twitter etc. ankreuzbar waren, sofern man sich nicht unter „andere Quellen“ durchringt selbst ein Medium einzutragen. Dabei hätte man selbst in dieser Rubrik – hätte sie überhaupt existiert – deutlich in der Qualität der Infos zwischen halbgarer Scharfmacherei oder Qualitätsjournalismus z.B. eines „Club der klaren Worte“ unterscheiden müssen.

Die Vorstellung der Studie erfolgte nur wenige Tage, nachdem über 60.000 Menschen in Berlin den Christopfer-Street-Day feierten und deutlich erkennbar war, dass ein Großteil im Gedränge keine Masken trug. Der Niederschlesische Kurier fragte daher Landespolizeipräsident Horst Kretzschmar, wie er den Umstand bewerte, dass die Berliner Polizei während des Umzuges über Twitter mehrere wohlgesinnte Gruß- und Feierbotschaften unter das Volk brachte, während in den Folgetagen gleich mehrere Demonstrationen von Kritikern der Coronapolitik verboten wurden, weil diese keine Masken tragen würden.

„Eine gute Frage“, holte Kretzschmar tief Luft, doch er könne dies aus der Ferne nicht in aller Tiefe beantworten. Der Schweizer UN-Sonderberichterstatter für Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlungen, Nils Melzer, hatte einige Videos zum Umgang von Polizisten gegen Querdenker-Demonstranten in Berlin als „besorgniserregend“ bezeichnet. In den Internetforen waren im Anschluss anhand von Uniformen Vermutungen laut geworden, die Berliner Polizei könnte hier ganz anders in die Demos geschickt worden sein als Polizisten anderer Bundesländer. Gibt es aus Berliner Sicht also gute, politisch lancierte Demonstrationsereignisse?

Die Darstellung und das Selbstreflexionsvermögen der sächsischen Polizei anhand der Studie können vielleicht als hoffnungsvolles Zeichen betrachtet werden, dass im Freistaat Berliner Verhältnisse nicht die Oberhand gewinnen.

Till Scholtz-Knobloch / 24.08.2021

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