Welterbetitel bringt Herrnhut neuren Schwung

Das barocke Gebäudeensemble mit dem Kirchensaal ist bis heute das Zentrum der lebendigen Geschichte der Herrnhuter Brüdergemeine. Foto: Rene Pech
So schnell vergeht die Zeit: Die UNESCO hatte die sächsische Kleinstadt Herrnhut am 26. Juli 2024, also genau vor einem Jahr, als Teil der „Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine“ als neues Welterbe ausgezeichnet. Das zuständige Komitee der UN-Organisation für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation (UNESCO) gab die Entscheidung damals auf seiner 46. Sitzung im indischen Neu-Delhi bekannt.
Herrnhut. Laut Konrad Fischer, Leiter des Kultur- und Fremdenverkehrsamtes der Stadt Herrnhut, ging mit dem endgültigen Eintrag in die Liste des Welterbes von Herrnhut ein mehrjähriger Bewerbungsprozess zu Ende: „Trotz der intensiven Arbeit und einiger positiver Signale konnten wir uns aber bis zum Schluss nicht sicher sein, wie die Entscheidung der UNESCO nun tatsächlich ausfallen würde. Somit war dieser Tag schon von einer gewissen Spannung geprägt.“
Die Eintragung in die Welterbe-Liste ist laut Konrad Fischer natürlich eine große Anerkennung für Herrnhut und die Brüdergemeine. Dabei sei unbedingt erwähnt, dass nicht Herrnhut allein diesen Titel erhalten hat. Es war eine gemeinsame Bewerbung mit den Städten Bethlehem in Pennsylvania (USA) und Gracehill in Nordirland. Zusammen mit dem dänischen Christiansfeld, welches bereits 2015 den Titel erhielt, bildet dieses Quartett nun das gemeinsame Welterbe „Siedlungen der Herrnhuter Brüdergemeine“. „Die geteilte Freude war in diesem Falle also letztlich vierfache Freude“, betont er. Konrad Fischer selbst hat sich mit verschiedenen Partnern und Gästen am Vormittag des 26. Juli 2024 die Live-Übertragung der Sitzung des UNESCO-Welterbekomitees in Neu-Delhi auf einem großen Bildschirm im Herrnhuter Kirchensaal angesehen. Und was waren seine ersten Gedankengänge danach? „Zunächst war da natürlich die Freude und Erleichterung, dass sich all die Bemühungen in den Jahren zuvor gelohnt haben. Zugleich wussten wir in dem Moment auch, dass dieser Titel ebenso eine Herausforderung und Verpflichtung ist. Und selbstverständlich kommen dann auch Gedanken dazu, welche Rolle das Welterbe für Herrnhut spielen wird. Schließlich stellt sich auch die Frage, welche Veränderungen der neue Titel möglicherweise mit sich bringt und welche Steuerungsmöglichkeiten wir dazu haben“, antwortet er.
Laut Konrad Fischer hatte Herrnhut schon vor der Einschreibung eine gewisse Bekanntheit, die auch über die sächsischen und die deutschen Grenzen hinausgeht: „Die Stadt selbst war und ist im ganz wesentlichen in einem guten, sanierten und sauberen Zustand. In Herrnhut gibt es mit seinen Sehenswürdigkeiten, den interessanten Museen und der Herrnhuter Sterne-Manufaktur viel zu entdecken.“
In erster Linie geht es seiner Meinung nach natürlich um die städtebaulichen und architektonischen Besonderheiten Herrnhuts und damit verbunden um die Geschichte und das Wirken der Herrnhuter Brüdergemeine. Wichtig und eher ungewöhnlich sei aber vor allem auch der internationale, grenzüberschreitende Aspekt dieses Welterbes. Dies verbindet nun vier Siedlungen, die viele äußerliche und inhaltliche Gemeinsamkeiten haben. „Herrnhut allein als ,Einzelkämpfer’ hätte den Welterbetitel wohl sicher nicht bekommen“, glaubt er.
In den Monaten nach der Titelverleihung gab es laut seinen Auskünften tatsächlich ein deutlich gestiegenes Medieninteresse mit einer ganzen Reihe von Berichten, die zum Teil auch überregional gesendet oder veröffentlicht wurden. Dies wiederum habe viele neugierig gemacht und zunächst auch zu einem Anstieg der Gästezahlen geführt. „Für uns war es in der Anfangszeit vor allem wichtig, das Thema Welterbe insbesondere denjenigen vor Ort näherzubringen, die regelmäßig und viel mit Gästen zu tun haben. So gab es zum Beispiel Schulungen zum Thema Welterbe für die Mitarbeiter der Herrnhuter Sterne-Manufaktur oder auch einen Informationsabend für die Gastgeber, Ladenbesitzer und Gastronomen in Herrnhut.“
Um das gestiegene Interesse auch auf anderen Wegen zu befriedigen, gibt es seit wenigen Wochen einen Audio-Guide für Herrnhut. In Zusammenarbeit mit der Marketinggesellschaft Oberlausitz und dem App-Anbieter SmartGuide konnte dieses neue Angebot zügig entwickelt werden. Nun kann jeder, der es möchte, sein Mobiltelefon als einen digitalen Reiseführer durch Herrnhut nutzen, so Konrad Fischer. Und er fährt fort: „Allgemein hat die gesamte Oberlausitz mit ihrer Verbindung von Natur und Kultur ein gutes touristisches Potenzial. Dabei hat sich Herrnhut auch bisher immer als Teil des Ganzen gesehen. Hier vor Ort hat sich in den vergangenen Jahren vor allem die Sterne-Manufaktur zu einem Gästemagneten entwickelt.“ Mit dem Welterbetitel kommt für Herrnhut nun ein neuer Aspekt hinzu, der den Blick auf die historische Entwicklung und die Besonderheiten des Ortes und der Herrnhuter Brüdergemeine lenkt. Das Interesse an diesen Dingen nimmt laut Konrad Fischer tatsächlich zu und es sei auch mit einem stärkeren Besucheraufkommen zu rechnen. Aus seiner Sicht wird es sehr wichtig sein, hier eine gute Balance anzustreben. Auf der einen Seite kann und soll die Region und Herrnhut selbst von diesem Titel profitieren. Andererseits sollte das normale Alltagsleben der Menschen im Ort auch nicht zu sehr von einem möglicherweise zu starkem Tourismus beeinträchtigt werden.
Künftig soll es eine Koordinierungsstelle mit dem nötigen Personal geben, die sich um alle Fragen rund um das Welterbe kümmert. Perspektivisch ist auch ein Welterbezentrum für die Herrnhut-Besucher im Blick. Für all diese Dinge sind laut Konrad Fischer natürlich ausreichende und kontinuierliche Gelder nötig. Wie bei den beiden anderen sächsischen Welterbestätten wird deshalb in Herrnhut die Finanzierung im ganz wesentlichen durch den Freistaat Sachsen erfolgen. All dies wird vor allem für den Schutz und Erhalt des Welterbes gebraucht, aber auch für gute Vermittlung und Bildung sowie für eine maßvolle touristische Entwicklung.
Konrad Fischer hofft sehr, „dass es uns gelingt, gute und funktionierende Strukturen und Netzwerke aufzubauen, um die schon angesprochenen Zielsetzungen zu erreichen. Hier vor Ort wird es auf ein gutes Zusammenspiel zwischen der Stadtverwaltung, der Brüdergemeine, dem Zinzendorf-Schloss und anderen Akteuren ankommen. Auf sächsischer Ebene haben wir bereits erste Kontakte zu den beiden anderen Welterbestätten ,Muskauer Park’ und ,Montanregion Erzgebirge’ geknüpft. Und schließlich wird es wichtig sein, auch weiterhin in gutem Austausch mit den anderen zugehörigen Welterbestätten in Bethlehem, Christiansfeld und Gracehill zu bleiben.“
Vor kurzem hat Konrad Fischer folgenden Satz gehört: „,Das E (Educational) in UNESCO steht für Bildung.’ Neben dem Schutz und dem Erhalt macht dies noch einmal deutlich, welche Prioritäten die UNESCO für Welterbestätten vorsieht. Und daran möchten auch wir uns gern orientieren.“